Alles neu in Ankara?
Erdogan baut Regierung komplett um
Mit versöhnlichen Tönen und einer massiven Regierungsumbildung versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen politischen Neustart. Der türkische Machthaber will „Ressentiments und den Ärger des Wahlkampfs“ beiseitelegen.
Am Samstagabend stellte der frisch vereidigte Recep Tayyip Erdogan sein neues Kabinett vor, mit dem angesehenen Ökonomen Mehmet Simsek als Finanzminister. Dies wird als Abkehr von der bisherigen Inflationspolitik gewertet.
Der Präsident hatte jahrelang trotz explodierender Teuerung an niedrigen Zinsen festgehalten, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Die Folge war eine weitere Abwertung der Landeswährung Lira und ein massiver Wohlstandsverlust, was Erdogan fast den neuerlichen Sieg bei der Präsidentenwahl kostete.
Nur eine Frau im Erdogan-Kabinett
Erdogan brachte zudem enge Vertraute auf wichtige Posten. So wird Geheimdienstchef Hakan Fidan neuer Außenminister. Mevlüt Cavusoglu muss damit nach zehn Jahren als Chefdiplomat seinen Hut nehmen
Neuer Verteidigungsminister wird Erdogans bisheriger Stabschef Yasar Güler, neuer Innenminister der bisherige Istanbuler Gouverneur Ali Yerlikaya. Einzige Frau im Kabinett ist die neue Familienministerin Mahinur Özdemir Göktas.
Bei seiner Angelobung vor den 600 Parlamentsabgeordneten versprach Erdogan, „seine Pflicht unparteiisch zu erfüllen“.
Erdogan „schwört“, sich an Rechtsstaatlichkeit zu halten
„Ich schwöre, als Präsident all meine Kraft einzusetzen, um die Existenz und Unabhängigkeit des Staates zu schützen“, sagte der Präsident in der live vom türkischen Fernsehen übertragenen Zeremonie. Erdogan versprach, nicht von der Rechtsstaatlichkeit und den säkularen Grundsätzen der vor 100 Jahren vom ersten Staatspräsidenten Mustafa Kemal Atatürk gegründeten Republik abzuweichen.
Nach der Vereidigung erhoben sich Erdogans Anhänger und applaudierten minutenlang. Einige Oppositionsabgeordnete weigerten sich hingegen, aufzustehen.
Bei strömendem Regen begab sich Erdogan vom Parlament zum Mausoleum des Republikgründers Atatürk, wo er eine „neue Ära“ ausrief und versprach, die nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar aus der betroffenen Region geflohenen Menschen „so schnell wie möglich nach Hause zu bringen“. Bei dem Erdbeben waren mindestens 50.000 Menschen ums Leben gekommen, rund drei Millionen Menschen hatten ihre zerstörten Städte verlassen.
Versöhnliche Worte Richtung Opposition
In seinem gigantischen Präsidentenpalast auf einem Hügel in Ankara hielt Erdogan anschließend eine überraschend versöhnliche Rede. Er erwarte von der Opposition, „dass sie mit Verantwortungsbewusstsein für das Wohlergehen und die Demokratie der Türkei eintritt“. Erdogan forderte die Parteien, aber auch Journalisten, Schriftsteller, die Zivilgesellschaft und Künstler auf, „sich mit dem nationalen Willen zu versöhnen“. Die zehntausenden Vertreter dieser Gruppen, die derzeit im Gefängnis sitzen, erwähnte er nicht.
Mit seiner Frau Emine an seiner Seite versprach Erdogan weiter, alle 85 Millionen Einwohner der Türkei „zu umarmen, unabhängig von ihren politischen Ansichten, ihrer Herkunft und ihrem Glauben“.
Mehrere Staats- und Regierungschefs sowie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wohnten der Amtseinführung bei. Stoltenberg saß beim festlichen Abendessen in der ersten Reihe. Er will während seines Besuchs in Ankara Erdogan dazu bewegen, seinen Widerstand gegen den NATO-Beitritt Schwedens aufzugeben. Das skandinavische Land hatte seinen Ex-Premier Carl Bildt nach Ankara geschickt, um gute Stimmung für den NATO-Beitritt zu machen.
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