Megadamm zerstört
Panik in Fluten: „Haben uns im Stich gelassen“
Bereits mehr als 15 Monate dauert der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Am Dienstag hat er mit der Explosion am Kachowka-Staudamm einen weiteren fürchterlichen Tiefpunkt erreicht. Russlands Katastrophenschutzministerium ist mit der Situation völlig überfordert. Menschen sitzen auf den Dächern und warten auf die Evakuierung - doch in vielen Fällen vergeblich.
Der Kachowka-Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk liegen in der Stadt Nowa Kachowka in dem von Russland besetzten Teil der ukrainischen Region Cherson. Russische Besatzungsbehörden haben dort den Notstand verhängt. Einen Tag nach der Zerstörung des Megadammes geht der Wasserstand in Nowa Kachowka laut den russischen Besatzungsbehörden allmählich wieder zurück. Der Wasserstand auf den zuvor überfluteten Straßen beginne zu sinken, teilte die von Russland installierte Stadtverwaltung mit. Flussabwärts ist der Wasserstand am Ufer des Dnipro indes weiter angestiegen.
Bewohner sitzen auf Dächern
Mindestens sieben Menschen seien in Nowa Kachowka als vermisst gemeldet worden, sagte der „Bürgermeister“ der Stadt, Wladimir Leontjew, am Mittwoch gegenüber der russischen Nachrichtenagentur TASS. Im „Kazkova Dibrova“-Tierpark sind alle 300 Tiere in den Fluten zu Tode gekommen.
Am schwierigsten sei die Lage im Viertel Korabel in der Großstadt Cherson, erklärte der stellvertretende Kabinettschef des ukrainischen Präsidenten, Oleksij Kuleba. Das Wasser habe dort einen Stand von 3,5 Metern erreicht, mehr als 1000 Häuser seien überflutet. „Die Bewohner sitzen auf den Dächern ihrer Häuser und warten auf ihre Rettung. Das sind russische Verbrechen gegen Menschen, die Natur und das Leben an sich“, schrieb Kuleba auf Telegram.
Das unabhängige russisch-lettische Nachrichtenportal Meduza meldet, dass es laut freiwilligen Helfern massive Probleme bei der Evakuierung der Einwohner gebe. Es fehle an jeglicher Organisation, die Menschen seien in Panik. Ganz auf sich selbst gestellt, würden sie sich über Messengerdienste Tipps schicken. Häufig gebe es allerdings nicht einmal eine Funkverbindung.
Wir sitzen auf dem Dach. Wir werden nicht evakuiert. Die russischen Behörden haben alles zerstört und uns im Stich gelassen. Wir haben kein Licht, die Mobilfunkverbindung bricht allmählich ab. … Wir wissen nicht, was wir machen sollen.
Augenzeugenbericht. Quelle: ASTRA
Schwere Folgen erwartet
Der UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths erklärte vor dem Sicherheitsrat, dass der Dammbruch „schwerwiegende und weitreichende Folgen für Tausende von Menschen in der Südukraine auf beiden Seiten der Frontlinie haben wird, da sie ihre Häuser, Nahrungsmittel, sauberes Wasser und ihre Lebensgrundlage verlieren werden“. Das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe werde erst in den kommenden Tagen sichtbar. Nach nicht unabhängig prüfbaren Angaben der ukrainischen Führung sind mindestens 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnipro gelangt. 300 weitere Tonnen Öl drohten noch auszulaufen. Auch Flora und Fauna werden sicherlich in Mitleidenschaft gezogen.
Megadamm wurde bereits angegriffen
Schon lange war befürchtet worden, dass der Staudamm zerstört und das Gebiet überflutet werden könnte. Denn es ist nicht das erste Mal, dass er Ziel von Attacken wird. Im Herbst 2022 etwa hatten ukrainische Kräfte die Brücke über den Staudamm mit Präzisionsschlägen angegriffen und den russischen Nachschub gestört. Russische Truppen wiederum hatten bei Rückzügen mit kontrollierten Sprengungen weitere erhebliche Schäden angerichtet. Bald war die Brücke nicht mehr passierbar. Für besondere Beunruhigung sorgte, als die Besatzer im November die Evakuierung Nowa Kachowkas ankündigten.
Keiner will es gewesen sein
Moskau und Kiew weisen einander die Schuld an der Explosion zu. Während die Ukraine Russland Staatsterrorismus vorwirft und die Tat mit dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe vergleicht, beschuldigt Moskau ukrainische Truppen des Beschusses und einer vorsätzlichen Sabotage. Keine der beiden Seiten legte bisher Beweise vor. Auch der Westen macht Russland für die Tat verantwortlich. Für NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeige die Tat „einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine“. Der britische Außenminister James Cleverly spricht von einem „Kriegsverbrechen“.
Viele Todesopfer erwartet
Der in russisch besetztem Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Dnipro war bei einer Explosion in der Nacht auf Dienstag großteils zerstört worden, große Mengen Wasser traten aus. Ukrainische Behörden leiteten die Evakuierung von rund 17.000 Menschen ein, auf der von Russland besetzten Seite sollten weitere 25.000 Anrainer fortgebracht werden. US-Regierungssprecher John Kirby geht davon aus, dass die Überschwemmungen wahrscheinlich „viele Todesfälle“ mit sich bringen. Experten zufolge sollten die Fluten am Mittwoch ihren Höhepunkt erreichen.
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