Geht Kühlwasser aus?

Nach Dammbruch drohen „fatale Folgen“ für AKW

Ukraine-Krieg
08.06.2023 11:33

Der Bruch des Kachowka-Staudamms in der Ukraine ist eine menschengemachte Katastrophe gigantischen Ausmaßes. 600 Quadratkilometer Land - eine Fläche eineinhalbmal so groß wie Wien - sind überschwemmt, 14.000 Häuser stehen unter Wasser, Tausende Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Nun drohen auch noch fatale Folgen für das Kernkraftwerk Saporischschja.

Weil die Kühlsysteme des AKW in der Südukraine auf Wasser aus dem Stausee angewiesen sind, werde die Situation dort immer prekärer, warnt Astrid Sahm, Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zwar sei die Lage derzeit nicht akut, weil auf Wasserreservoire in der Nähe zurückgegriffen werden kann, so Sahm gegenüber der APA, sie spricht aber von einem „Spiel mit dem Feuer“. Denn durch den mutmaßlich von russischen Truppen gezielt gesprengten Damm fließt das Wasser ungehindert ab.

Der Wasserstand in dem See sei binnen 24 Stunden um einen Meter gesunken und liege mit Stand Donnerstagmorgen (7 Uhr MESZ) bei 13,05 Meter, teilte der staatliche Wasserkraftwerksbetreiber Ukrhydroenergo in Kiew mit.

Das von Russland besetzte Kraftwerk liegt am nördlichen Ende des Stausees. (Bild: APA/AFP/2023 Planet Labs PBC/Handout)
Das von Russland besetzte Kraftwerk liegt am nördlichen Ende des Stausees.

„Sehr fatale Folgen“ möglich
Zu der ohnehin schon angespannten Situation, Versorgungsproblemen und dem Vorhandensein von nur einer funktionierenden Stromleitung zum Kraftwerk kommen jetzt noch Kühlwasserprobleme dazu, sagt Expertin Sahm. Es sei nicht auszuschließen, dass es zu „sehr fatalen Folgen“ beim seit September abgeschalteten Kernkraftwerk kommen könnte. Das tatsächliche Ausmaß der Folgen ist derzeit noch schwer einschätzbar, in Saporischschja wurden am Mittwoch aber bereits Strahlenschutzübungen abgehalten.

Am Atomkraftwerk selbst wird aktuell kontinuierlich Wasser in Auffangbecken gepumpt, um die Kühlwasserreserven aufzufüllen. Das sei nötig, da kein Wasser auf das Gelände des Kraftwerksgepumt werden könne, wenn der Pegel unter 12,7 Meter sinke, teilte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Mittwochabend mit. 

Strahlenschutzübung in Saporischschja (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Strahlenschutzübung in Saporischschja
Ukrainische Einsatzkräfte mit Strahlenschutzkleidung bei einem Training am Mittwoch (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Ukrainische Einsatzkräfte mit Strahlenschutzkleidung bei einem Training am Mittwoch

Pegel könnte bald drastisch sinken
Das Absenken des Pegelstands hatte sich nach Grossis Angaben am Mittwoch zwar leicht verlangsamt, er schloss aber nicht aus, dass der Pegel innerhalb von wenigen Tagen unter diese Marke sinken könnte. Wenn die Auffangbecken Becken voll seien, reiche das Wasser zur Kühlung der sechs Reaktoren für mehrere Monate. Zwar seien die Reaktoren abgeschaltet, aber sie brauchten trotzdem Kühlwasser. Grossi will nach eigenen Angaben kommende Woche selbst nach Saporischschja reisen, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. Das IAEA-Team vor Ort soll verstärkt werden.

Durch die Wassermassen wurden die betroffenen Gebiete mitsamt Tier- und Pflanzenwelt massiv in Mitleidenschaft gezogen. Fast die gesamte Ernte sei dort zerstört, so Astrid Sahm. Sie weist auch auf ein steigendes Risiko für Infektionskrankheiten hin. Die Osteuropa- und Umweltpolitik-Expertin betont, dass im Ukraine-Krieg „Umweltprobleme sehr bewusst in Kauf genommen werden“. Das zeige sich etwa in der starken Verminung von Naturschutzgebieten.

Satellitenbilder zeigen den Staudamm vor ...
... und nach der mutmaßlich gezielten Sprengung.

Rotes Kreuz warnt vor Minengefahr
Auch im betroffenen Gebiet wurden Antipersonenminen und Antipanzerminen in großer Zahl verlegt. Die teilweise Zerstörung des Kachowka-Staudammms hat auch katastrophale Auswirkungen für die Lokalisierung dieser Landminen, schlägt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Alarm. „Wir wussten, wo die Gefahren waren“, sagte Erik Tollefsen, Leiter der Abteilung für Waffen-Belastung beim IKRK, am Mittwoch. „Nun wissen wir es nicht mehr. Alles, was wir wissen, ist, dass sie irgendwo flussabwärts sind.“

Das sei sehr beunruhigend, sowohl für die betroffene Bevölkerung als auch „für all diejenigen, die kommen, um zu helfen“. Das IKRK habe mehrere Monate bei Minenräumarbeiten in der Ukraine geholfen, Minenfelder kartiert und markiert sowie Training und Ausrüstung bereitgestellt. „Nun wurde all das weggespült“, sagte er.

Die Evakuierungen aus überschwemmten Wohnungen und Häusern laufen. Laut ukrainischen Behörden zeigte der Hochwasserpegel In der Gebietshauptstadt Cherson am Donnerstagmorgen 5,6 Meter an. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Die Evakuierungen aus überschwemmten Wohnungen und Häusern laufen. Laut ukrainischen Behörden zeigte der Hochwasserpegel In der Gebietshauptstadt Cherson am Donnerstagmorgen 5,6 Meter an.

Vieles spricht für Sprengung durch Russen
Moskau und Kiew geben sich gegenseitig die Schuld an der Zerstörung des Staudamms in der Südukraine. Der Militäranalyst und Garde-Kommandant des Österreichischen Bundesheers, Markus Reisner, geht davon aus, dass Russland den Damm gesprengt hat. Dafür spreche, „dass die Russen den Damm vermint haben und immer wieder mit einer Sprengung und einem Dammbruch gedroht haben.“

Für eine Verantwortung der Russen spricht auch, dass der Staudamm unter ihrer Kontrolle war. Sie wollten wohl den Vormarsch der Ukraine, konkret eine amphibische Anlandung im Süden, verhindern“, so der Militärexperte im „profil“-Interview.

Große Abschnitte im Süden der 1200 Kilometer langen Front seien durch die Überflutungen militärisch temporär nicht nutzbar. Reisner erinnerte auch daran, dass die Ukraine durch eine Dammsprengung den russischen Vormarsch auf Kiew gestoppt habe. „Nordwestlich von Kiew haben die Ukrainer am Anfang des Krieges den Zugang zum Fluss Irpin gesprengt. Durch die Flutung des Flussbetts und die Sprengung wichtiger Brückenübergänge war es möglich, die Russen aufzuhalten. Ihnen war der Zugang nach Kiew von Westen gesperrt“, erklärte Reisner.

Weltbank will Schaden schnell einschätzen
Unterdessen will die Weltbank die Ukraine mit einer zügigen Einschätzung der durch die Fluten ausgelösten Schäden und des Bedarfs unter die Arme greifen. Die Zerstörung des Staudamms habe „viele sehr ernste Folgen für die Erbringung grundlegender Dienstleistungen und die Umwelt im Allgemeinen“, schrieb Anna Bjerde, Geschäftsführerin Betrieb bei der Weltbank, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

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