Nach jahrelangem Ringen wollen sich die EU-Innenminister am Donnerstag endlich auf die zentralen Streitfragen für das künftige gemeinsame EU-Asylsystem verständigen. Bei einem Treffen in Luxemburg soll die Frage der Verteilung von Asylsuchenden innerhalb der EU geklärt werden, zum anderen stehen Vorprüfungen von Asylanträgen an den europäischen Außengrenzen im Raum. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) erwartet sich ein „hartes Ringen“, aber auch ein Ergebnis.
„Gerade die letzten Meter eines Weges sind oft die härtesten und schwierigsten, daher erwarte ich intensive Verhandlungen“, sagte Karner vor dem Treffen. Es bräuchte „schnellere, schärfere und damit gerechtere Verfahren an den EU-Außengrenzen“. Zudem werde er für Asylverfahren in „sicheren Drittstaaten“ kämpfen, betonte der Innenminister weiter.
Auf die Frage nach der Verteilung von Flüchtlingen und möglichen Kompensationszahlungen antwortete Karner: Österreich habe „in der Vergangenheit immer wieder Solidarität gezeigt“, wie etwa mit österreichischen Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze. Karner unterstrich, dass in Österreich in den letzten Jahren pro Kopf die zweitmeisten Asylanträge gestellt wurden.
Österreich hat die meisten asylsuchenden Kinder
Österreich verzeichnet in der EU zudem den höchsten Anteil von asylsuchenden Kindern. Die Zahl unbegleiteter Kinder, die um Asyl ansuchten, hat sich in Österreich laut dem diesjährigen, am Donnerstag veröffentlichten Grundrechtebericht der in Wien ansässigen EU-Grundrechteagentur (FRA) 2022 mit 13.275 Anträgen mehr als verdoppelt, 2021 hatten 5605 Kinder um Asyl angesucht.
Damit liegt Österreich an der Spitze in der EU, gefolgt von Deutschland (7275) und den Niederlanden (4205). Auch EU-weit ist die Zahl der Asylanträge von Kindern dem Bericht zufolge stark angestiegen - von 25.130 Anträgen im Jahr 2021 auf 39.520 im Jahr 2022.
Die steigende Zahl von Asylanträgen habe in der zweiten Hälfte von 2022 in Österreich zu sinkenden Aufnahmekapazitäten geführt. In Österreich hätten rund 5000 Unterkünfte gefehlt, heißt es in dem Bericht. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) habe die Verwendung von Zelten zur Unterbringung von Asylsuchenden unter sehr kalten Bedingungen kritisiert.
Drängen auf „historische Entscheidung“
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser drängte im Vorfeld des Treffens in Luxemburg auf eine „historische Entscheidung“. Im ARD-„Morgenmagazin“ sagte Faeser: „Ich befürchte, wenn wir kein gemeinsames Asylsystem bekommen, dann fallen wir in die Nationalstaatlichkeit zurück.“ Wahrscheinlich sei dann Schengen mit offenen Grenzen nicht mehr möglich. Für Deutschland stelle eine Einigung in der Asylfrage deshalb einen guten Kompromiss dar. Als „Kernpunkt dieser Reform“ bezeichnete sie die vorgesehene Registrierung von Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen. Diesbezüglich hatte Berlin jüngst Bewegung signalisiert, zugleich aber auf Ausnahmen für Familien mit Kindern gedrängt.
„Wir sind so knapp davor wie nie zuvor. Es ist nicht leicht. Aber es wird nie wieder leichter sein als heute, zu einer Entscheidung zu kommen“, sagte die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard vor dem Treffen. Ähnlich äußerte sich der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska: „Wenn uns das nicht gelingt, sind wir alle Verlierer.“ Schweden hat noch bis Ende Juni den EU-Ratsvorsitz inne, danach übernimmt Spanien für ein halbes Jahr.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson verglich die Verhandlungen mit einem Marathon, bei dem „wir vielleicht noch hundert Meter vor uns“ haben. „Wir sind so nah dran“, zeigte sich Johansson zuversichtlich und sprach von einem „ausgewogenem“ Vorschlag.
EU-Umverteilung von Asylwerbenden umstritten
Umstritten ist vor allem die Umverteilung der an den EU-Außengrenzen ankommenden Asylwerbenden innerhalb der EU. Dieser „Solidaritätsmechanismus“ soll in Ausnahmefällen, wie etwa bei einer hohen Ankunft an Schutzsuchenden greifen - doch die Fronten unter den EU-Staaten sind verhärtet.
Während Staaten wie Österreich, Polen und Ungarn eine verpflichtende Quote bei der Umverteilung strikt ablehnen, fordern südliche Länder wie Italien und Griechenland, in denen viele Migranten ankommen, seit Jahren mehr Unterstützung. Künftig soll es aber die Möglichkeit geben, sich von der Flüchtlingsaufnahme freizukaufen. Im Gespräch waren zuletzt Kompensationszahlungen um die 20.000 Euro pro Asylbewerber.
Wer aus einem Staat einreist, der als relativ sicher gilt, könnte künftig nach dem Grenzübertritt in eine streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtung kommen. Dort würde dann innerhalb weniger Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat - wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt werden. Dies gilt derzeit etwa für Menschen aus Tunesien, Ägypten oder Bangladesch.
Können sich EU-Innenminister einigen?
Ob sich die EU-Innenminister am Donnerstag darauf einigen können, ist noch unklar. Gesucht wird die Zustimmung von 15 EU-Staaten, die gleichzeitig zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Kommt es zu einer Einigung, müssten sich die Mitgliedsländer noch mit dem EU-Parlament auf den finalen Gesetzestext verständigen.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola forderte eine zügige Entscheidung. „Wir brauchen jetzt von allen EU-Ländern einen konstruktiven Ansatz und eine schnellstmögliche Entscheidung, idealerweise an diesem Donnerstag“, sagte Metsola der „Welt“ (Donnerstagsausgabe). Dann könne das EU-Parlament das neue Migrations- und Asylpaket der EU noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Juni 2024 verabschieden. „Wir können uns nicht erlauben, Zeit zu verlieren, möglicherweise sogar Jahre“, sagte Metsola.
Reform ist „bitter nötig“
ÖVP-EU-Abgeordnete Angelika Winzig und Lukas Mandl forderten „dringend eine gemeinsame Lösung“ in Asyl- und Migrationsfragen. „Den bei der Migration überdurchschnittlich belasteten EU-Ländern, wie Österreich, muss nun geholfen werden“, hieß es am Donnerstag in einer Aussendung. Theresa Bielowski, SPÖ-EU-Abgeordnete, sprach bei einer Einigung von einem „historischen Schritt“. Die Reformen seien „bitter nötig“.
Die grüne EU-Abgeordnete Monika Vana pochte auf „europäische, solidarische und inklusive Politik für flüchtende Menschen“. Einer „Festung Europas“ müsse deutlich eine Absage erteilt werden. Eine „klare Absage“ erteilte der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Hannes Amesbauer den „abstrusen Wunschträumen Brüssels“ für eine Flüchtlingsverteilung. Österreich müsse seine „Souveränität und Selbstbestimmung“ stärken.
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