Tirols ÖGB-Chef Philip Wohlgemuth spricht im „Krone“-Interview über Mitgliederzuwachs, den Kampf für die Schwachen, die 4-Tage-Woche, die Arbeit in der Regierung und seine Loyalität gegenüber Andreas Babler.
„Krone“: Wie geht es dem ÖGB in Tirol?
Philip Wohlgemuth: Wir können für den ÖGB in Tirol in den letzten Jahren eine außerordentlich positive Bilanz ziehen, auf die wir mit Stolz zurückblicken. Wir haben uns bei unserer ÖGB-Landeskonferenz im vergangenen Jahr inhaltlich und auch personell neu aufgestellt, haben uns geöffnet und bieten den Arbeitnehmern ein breites politisches Angebot. Ich bin davon überzeugt: Wir, die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und Personalvertreter, sind der Garant für Stabilität und Verlässlichkeit in unserem Land.
Wie viele Mitglieder hat der ÖGB aktuell in Tirol?
Immer mehr halten die Fahnen der Solidarität hoch und organisieren sich. Mit Stichtag 31. Dezember 2022 waren 64.570 Tirolerinnen und Tiroler Gewerkschaftsmitglied, das entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 621 Mitgliedern. Ein starker ÖGB ist wichtiger denn je. Erfreulich ist der aktuelle Zuwachs im Bereich der Jugend - 13 Prozent - und bei den Frauen - zwei Prozent.
Was wir aktuell erleben, ist keine Teuerungswelle mehr, das ist ein Teuerungstsunami! Und ich sage es ungern, aber ich befürchte, diese Teuerung ist gekommen, um zu bleiben.
Philip Wohlgemuth
Bild: Franz Preschern
Was sind aktuell die drei größten Probleme eurer Mitglieder?
Teuerung, Teuerung und nochmals Teuerung. Was wir aktuell erleben, ist keine Teuerungswelle mehr, das ist ein Teuerungstsunami! Und ich sage es ungern, aber ich befürchte, diese Teuerung ist gekommen, um zu bleiben. Die Preise steigen zum Teil völlig unverhältnismäßig und die Profitgier einzelner weniger wird leider immer größer. Während andere die Champagnerkorken knallen lassen, wissen viele Menschen in unserem Land nicht mehr, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher und der Mittelstand droht komplett auszusterben.
Was können Sie als ÖGB dagegen tun?
Wir sind bereits im September auf die Straße gegangen und wir werden dies wieder tun, sollte die Bundesregierung nicht endlich die Zuschauertribüne verlassen und auf das Spielfeld kommen, um diese Teuerung zu bekämpfen. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung gleichen einer Realsatire. Es braucht keine Mietpreisbremse, sondern einen Mietpreisstopp. Und es braucht auch keine Einmalzahlung, sondern nachhaltige Maßnahmen. Einmalig ist eben einmalig und viele Menschen stehen im nächsten Monat vor dem gleichen Problem, die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Die Menschen haben sich eine Politik verdient, die rasch und entschlossen handelt. Bis dato ist es ausschließlich die Gewerkschaftsbewegung, die mit hervorragenden Abschlüssen bei Kollektivvertragsverhandlungen für den einzigen nachhaltigen Ausgleich der Teuerung sorgt. Mein erklärtes Ziel lautet: Ein gutes Leben für alle und eine Zukunft ohne Verliererinnen und Verlierer! Dafür werden wir uns einsetzen – zur Not auf der Straße!
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, speziell mit der AK?
Arbeiterkammer und Gewerkschaft sind Partner und wir gehen den Weg für die Arbeitnehmer Hand in Hand und Seite an Seite. Die Sozialpartnerschaft sorgt insgesamt seit jeher für sozialen Frieden in Österreich und einen Interessensausgleich in unserer Gesellschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dadurch wird soziale Gerechtigkeit sichergestellt und für soziale Sicherheit gesorgt. Und das soll auch so bleiben.
Stichwort 4-Tage-Woche – ist dieses System überhaupt umsetzbar?
Fakt ist, dass in der Praxis bereits jetzt schon viele Betriebe in Österreich eine 4-Tage-Woche umsetzen, auch um attraktive Arbeitsverhältnisse anzubieten. Und das ist ein Trend, der nicht aufzuhalten ist. In der Geschichte hat man uns bei jeder Arbeitszeitverkürzung erklärt, dass die Wirtschaft zugrunde geht und der Wirtschaftsstandort nachhaltig geschädigt wird. Anstatt uns bei der Arbeitszeit des vorigen Jahrtausends zu orientieren, müssen wir endlich im 21. Jahrhundert ankommen und uns mit den besten Ländern der Welt messen. Andere machen es uns nämlich vor. Eine moderne Arbeitswelt steht für gesundes Arbeiten bis in die Pension. Ein Pilotprojekt in Großbritannien spricht eine klare Sprache: Die Arbeitnehmer fühlen sich gesünder, die Krankenstandstage nahmen stark ab, es gab weniger Kündigungen und mehr Neuanstellungen. Eine solche Evaluierung wäre für Österreich nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig.
Wie ist es jetzt in der Regierung? Sie waren ja davor fünf Jahre in der Opposition?
Mein Anspruch ist das Gestalten in der Politik. Ich habe Verantwortung in der Politik übernommen, um zu verändern und für die Menschen da zu sein, ihr Leben ein Stück gerechter zu gestalten. Und ich fühle mich den Schwächeren in unserer Gesellschaft absolut verpflichtet, die dringend eine stabile Sozialpolitik benötigen. Nach dem Motto: Laut für die Leisen, stark für die Schwachen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Tiroler VP?
Wir haben ein ambitioniertes Regierungsprogramm und haben in den nächsten Jahren viel vor. Wir stehen aber auch vor großen Herausforderungen, die wir gemeinsam meistern müssen. In der Koalition arbeiten wir hart in der Sache, aber konstruktiv. Ich erlebe eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Wie sehen Sie die aktuelle Situation in der SPÖ? Zuletzt ließen die Verantwortlichen auf Bundesebenen kein Fettnäpfchen aus.
Wir werden, so wie bisher, mit einer konstruktiven und guten politischen Kultur das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen und, wo es verloren gegangen ist, zurückgewinnen. Die Sozialdemokratie, ihre Haltung und ihre Wertegemeinschaft verliert durch diesen Fehler weder an Aktualität noch an Wichtigkeit für die Menschen in diesem Land.
Wie stehen Sie zum neuen Chef Andreas Babler?
Ich darf unserem Vorsitzenden Andreas Babler sehr herzlich zur Wahl gratulieren. Ich hätte ihm gewünscht, unter anderen Voraussetzungen Vorsitzender dieser stolzen Bewegung zu werden. Er genießt meine volle Loyalität und ich werde gemeinsam mit ihm dafür kämpfen, die Sozialdemokratie wieder aufzurichten.
Welche Koalition wünschen Sie sich im Bund?
Als Gewerkschafter bin ich es gewohnt, jede Partei und jede Politik daran zu messen, was sie für die arbeitenden Menschen in unserem Land leistet und vorhat. Und dies werde ich auch künftig tun und ganz genau beobachten.
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