Kampf gegen Ausbeutung
„Bildung ist der einzige Weg aus der Kinderarbeit“
Weltweit sind 160 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen. Die Arbeitsbedingungen sind gefährlich und ausbeuterisch, wie zum Beispiel in Goldminen in Burkina Faso, auf den Baumwollfeldern in Indien oder auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste. Anlässlich des Welttags gegen Kinderarbeit am Montag sprach die „Krone“ mit Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt. Die Organisation kämpft im Globalen Süden gegen diesen eklatanten Missstand an.
„Krone“: Wie viele Kinder müssen rund um den Globus arbeiten und Geld verdienen? Ab welchem Alter werden Kinder schon dazu missbraucht?
Reinhard Heiserer: Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten rund 160 Millionen Kinder im Alter zwischen fünf und 17 Jahren unter Bedingungen, die als Kinderarbeit einzustufen sind (97 Millionen Buben, 63 Millionen Mädchen). Mehr als die Hälfte von ihnen sind zwischen fünf und elf Jahren alt. 79 Millionen dieser Kinder arbeiten unter ausbeuterischen und oft gesundheitsschädlichen und gefährlichen Bedingungen. Das bedroht nicht nur ihre Gesundheit, sondern verletzt ihre grundlegenden Kinderrechte und beraubt sie ihrer Zukunft.
In der Altersklasse der 5- bis 17-Jährigen hat mehr als ein Drittel der arbeitenden Kinder keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Fast zwei Drittel können zwar am Unterricht teilnehmen, Studien haben jedoch gezeigt, dass sie aufgrund von Zeit- und Energiemangel häufig geringere Leistungen erbringen und weniger Lernfortschritte machen können als ihre nicht arbeitenden Altersgenossen.
Kinderarbeit findet in verschiedensten Formen statt: als Zwangsarbeit oder Schuldknechtschaft, in Privathaushalten und Industriebetrieben. Rund 70 Prozent der Kinderarbeiterinnen und -arbeiter sind in der Landwirtschaft beschäftigt, einem der unfallträchtigsten Wirtschaftsbereiche. Dort finden kaum staatliche Arbeitsinspektionen statt und es fehlt der Schutz durch Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen. Auch im Bergbau und in der Textil- und Teppichindustrie werden häufig Kinder beschäftigt. Nur etwa 30 Prozent der Kinder erhalten für ihre Arbeit Geld; der größte Teil der Kinderarbeit wird unbezahlt in familiären Betrieben geleistet. Von den 160 Millionen arbeitenden Kindern leben rund 87 Millionen in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara.
Jugend Eine Welt unterstützt weltweit Projekte um gegen diesen Missstand anzukämpfen. Ein Leuchtturmprojekt ist in Indien. Um was geht es dort? Wie sieht der Arbeitstag eines Kindes aus?
Im Jhajjar-District im indischen Bundesstaat Haryana, wenige Autostunden von der Millionen-Metropole Neu-Delhi entfernt, leben und arbeiten rund 10.000 Menschen in den gut 500 Ziegelfabriken unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Unter ihnen sind auch tausende Kinder.
Gemeinsam mit ihren Kindern schuften sie zwölf Stunden, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Jeden Tag. Ein Wochenende gibt es nicht.
Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt
Die Bedingungen sind für Europäer nicht nachvollziehbar. Es gibt kein Fließwasser, keinen Strom, keine Toiletten. Als Übernachtungsmöglichkeit dienen einfache Lehmhäuser, die sich am Rand der Ziegelfabriken befinden. Oft müssen sich die Familien einen winzigen Raum teilen, geschlafen wird auf Stroh. Die Eltern, meist Analphabeten, kommen mit ihren Kindern für gut acht Monate aus anderen Bundesstaaten nach Haryana, um Geld zu verdienen und um damit ihr Überleben zu sichern. Gemeinsam mit ihren Kindern schuften sie zwölf Stunden, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Jeden Tag. Ein Wochenende gibt es nicht.
Bezahlt wird nach der Anzahl der Ziegelsteine, die hergestellt werden. Um ein Einkommen von rund fünf Euro pro Tag zu erwirtschaften, muss eine Familie 2000 Ziegelsteine herstellen. Die Arbeitskraft der Kinder ist für die Familien daher unerlässlich. Die Mädchen und Buben haben dadurch keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Ohne Bildung bleiben sie allerdings im Teufelskreis der Armut gefangen.
Bildung ist also der Schlüssel zum Erfolg?
Einen Schulabschluss zu besitzen, und lesen, schreiben und rechnen zu können, ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Laut Zahlen von UNESCO können weltweit 262 Millionen Kinder und Jugendliche nicht in die Schule gehen. Doch ohne Schul- oder Berufsausbildung haben junge Menschen nur sehr eingeschränkte berufliche Perspektiven. Sie erhalten keine dauerhafte Anstellung, sondern können nur Gelegenheitsarbeiten ausführen, die gerade in den Ländern des Globalen Südens oft gefährlich oder ausbeuterisch sind.
Unter dem Motto „Bildung überwindet Armut“ fördert Jugend Eine Welt deshalb insbesondere Schul- und Ausbildungsprojekte für Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer sozialen Situation sonst keine Möglichkeit auf Bildung hätten. Beispielsweise, weil sie aus armen Familien stammen, die sich den Schulbesuch der Kinder nicht leisten können. Oder weil sie als Waisen- oder Straßenkinder auf sich alleine gestellt aus dem Bildungssystem gefallen sind. Um diesen Kindern eine echte Chance auf eine lebenswerte Zukunft zu geben, gilt es ihnen kostenlose Schulbildung anzubieten.
In vielen Regionen der Welt ist Schule zudem der Ort, an dem die Kinder ihre einzige tägliche Mahlzeit und spezielle Unterstützung oder Schutz sowie Zugang zu sauberem Wasser bekommen.
Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt
Oft reicht dies nicht aus, da die Eltern auf das Zusatzeinkommen ihrer Kinder angewiesen sind, und es müssen zumindest Kost und ggf. auch Logis während des Besuchs einer Schule angeboten werden. In vielen Regionen der Welt ist Schule zudem der Ort, an dem die Kinder ihre einzige tägliche Mahlzeit und spezielle Unterstützung oder Schutz sowie Zugang zu sauberem Wasser bekommen.
Wie können wir aus Österreich gegen die Kinderarbeit vorgehen?
Auf zwei Wegen. Zum einen braucht es Hilfe vor Ort in den Ländern, wo Kinderarbeit vorkommt. Nur so können wir das Problem an der Wurzel in den Griff bekommen. Zahlreiche von Jugend Eine Welt geförderte Projekte geben arbeitenden Kindern und Jugendlichen die Chance, aus dem Teufelskreis Kinderarbeit auszusteigen: Durch den Zugang zu Bildung und Ausbildung, aber auch durch die fürsorgliche Begleitung der Jugendlichen bei ihren ersten Schritten in ein Berufsleben ohne Ausbeutung.
Auf diese Weise wird den jungen Menschen die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut gegeben. Denn Bildung überwindet Armut! Zum anderen braucht es in Österreich ein kritisches Bewusstsein in der Öffentlichkeit.
Denn indirekt sind wir hierzulande mit dem Problem Kinderarbeit sehr wohl konfrontiert - in Form vieler Waren und Produkte, die im Globalen Süden mit Hilfe von Kinderhänden hergestellt wurden. Wir brauchen uns hier nur den Frühstückstisch anschauen, der oft unwissentlich Produkte beinhaltet, in denen missbräuchliche Kinderarbeit steckt. Ich denke hier zum Beispiel an den Orangensaft oder an Kakao, der in sieben Ländern durch ausbeuterische Kinderarbeit gewonnen wird.
Oder an Palmöl, das in Schokoladencreme enthalten ist, und etwa in Malaysia, Indonesien und Sierra Leone unter ausbeuterischen Umständen von Kindern hergestellt wird. Oft wissen wir gar nicht, welches Leid wir mit unserem Kaufverhalten unterstützen. Da heißt es für alle, auch das eigene Konsum- und Einkaufsverhalten zu hinterfragen bzw. auf die Herkunft der Produkte sowie auf Gütesiegel des fairen Handels zu achten.
Findet Kinderarbeit auch in Europa statt? Falls ja, wo? Kämpft Ihre Organisation dort auch dagegen an?
Berichte der ILO (International Labour Organisation) aus dem Jahr 2019 zeigen, dass es auch in Europa, zu Kinderarbeit kommt. Aus der Türkei stammen drei Viertel aller Haselnüsse, die rund um den Globus verzehrt oder z.B. zu Schokolade oder Nutella weiterverarbeitet werden. Der aktuellen „Produktliste 2020“ (ILAB - US-amerikanisches Amt für internationale Arbeitsangelegenheiten) folgend, werden diese jedoch oft unter Einsatz von Kinderarbeit geerntet.
Die Internationale Arbeitsorganisation berichtet, dass im Jahr 2019 nicht weniger als 720.000 Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren in der Türkei arbeiten mussten. Von dieser unglaublich hohen Zahl an Kinderarbeitern waren 30,8 Prozent in der Landwirtschaft tätig. Sie sind dabei Risiken ausgesetzt, die zu lebenslangen chronischen Gesundheitsproblemen führen können. Darüber hinaus sind diese Kinder häufig mit Unterbrechungen ihrer Schulausbildung konfrontiert. Manchmal verlieren sie sogar ganz den Anschluss an das Schulsystem und bleiben somit im Teufelskreis Kinderarbeit gefangen.
Kommen die Spenden auch direkt an und bewirken etwas?
Natürlich kommen die Spenden direkt in unseren Projekten an. Jugend Eine Welt ist seit der Einführung im Jahr 2001 Träger des österreichischen Spendengütesiegels. Dieses bestätigt den verantwortungsbewussten Einsatz der Mittel und gibt auch unseren SpenderInnen Gewissheit, dass ihre Spendengelder gemäß der Widmung von uns effizient und vertrauenswürdig verwendet werden. Dass die Spenden auch etwas bewirken, zeigt unsere Bilanz. Jugend Eine Welt unterstützt jährlich weltweit mehr als 134 Sozialprojekte auf vier Kontinenten für benachteiligte Kinder und Jugendliche und leistet zudem Katastrophenhilfe in den Ländern des Globalen Südens.
Gemeinsam mit unseren Don Bosco-Partnern hat Jugend Eine Welt seit 1997 Projekte in über 107 Ländern unterstützt. In den über 7400 Einrichtungen unserer Projektpartner, darunter Bildungs- und Freizeitzentren, Schulen und Straßenkinderheime, erhalten über 1,8 Millionen benachteiligte Kinder und Jugendliche die Ausbildung und Zuwendung, die sie brauchen, damit ihr Leben gelingt und sie in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken können.
Jugend Eine Welt-Spendenkonto: AT66 3600 0000 0002 4000
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