„Opfer von Propaganda“

Russische Gefangene: „Nicht auf Seite der Guten“

Ausland
18.06.2023 15:42

Während der aktuellen Gegenoffensive der Ukraine können die Truppen viele russische Soldaten in Gefangenschaft nehmen - so kommen auch viele Informationen über unmenschliche Praktiken von Moskaus Militärführung ans Tageslicht. Viele, die freiwillig in den Kriegsdienst eingetreten sind, bereuen nun ihre Entscheidung und realisieren allmählich, dass sie „nicht auf der Seite der Guten stehen“. Einen Gefangenenaustausch wollen sie aus Angst vor Landsleuten vermeiden.

Dem „Wall Street Journal“ erzählte ein russischer Soldat, wie er in Welyka Nowosilka Kriegsgefangenschaft geraten war. „Es war chaotisch“, erzählt Anatoli. „Überall wurde geschossen, jeder ist losgerannt. Ich habe versucht, im Feld vor uns den Feind zu finden, konnte aber niemanden erkennen. Ein paar Minuten später haben Ukrainer unsere Position gestürmt und Granaten in unseren Graben geworfen. Ich bin aufgestanden und habe ,Ich gebe auf! Ich gebe auf!‘ gerufen.“ Fünf seiner Kameraden lagen da bereits tot im Graben. 

„Uns wurde erzählt, alle Leute hier sind Nazis“
In dem temporären Kriegsgefangenenlager, in dem die Reporter des Magazins waren, befanden sich reguläre Soldaten, Wehrpflichtige und Söldner. Diese berichteten von einer schlechten Moral innerhalb der russischen Truppen, um ihr eigenes Leben hätte sich die Armee nicht geschert: Sie sehen sich als Opfer von Moskaus Propaganda. Uns wurde erzählt, dass die Ukraine schlecht ist. Die Leute hier sollen alle Nazis sein. Das haben wir überall gehört", so Anatoli. Er hatte als Bauarbeiter im südlichen Sibirien gearbeitet, bevor er sich freiwillig für den Einsatz gemeldet hatte.

Bei einem Austausch von Kriegsgefangenen Ende 2022 kann die Mutter eines russischen Soldaten ihren Sohn wieder in ihre Arme schließen. (Bild: AP)
Bei einem Austausch von Kriegsgefangenen Ende 2022 kann die Mutter eines russischen Soldaten ihren Sohn wieder in ihre Arme schließen.

Sperrtrupps schossen auf eigene Soldaten
Der ehemalige Häftling Anton wurde mit der Aussicht auf Begnadigung in den Kriegsdienst gelockt. Im März sei er von Schrapnellen unter anderem am Kopf schwer verwundet und von einem Arzt als kriegsuntauglich erklärt worden. Trotz dieser Verletzungen sei er wieder zurück an die Front geschickt worden. Ein taktischer Rückzug sei ihnen dort verwehrt worden - so hätten sich hinter ihnen ein sogenannter Sperrtrupp mit Schießbefehl befunden. Anton wurde von ukrainischen Kugeln zuerst im Bein, dann im Arm getroffen haben. Er rief den feindlichen Einheiten schließlich zu: Wenn wir zurückgehen, erschießen sie uns!" In Gefangenschaft habe er nun realisiert, „dass wir in diesem Krieg nicht auf der guten Seite stehen“.

Niemand kam zu geplanten Ablösedatum
Der Kriegsgefangene Dmitri ist als Wehrpflichtiger zum Kriegsdienst gekommen. Seine Einheit sei schlecht ausgebildet und ausgerüstet gewesen. Er habe nur kurzes Waffen- und Erste-Hilfe-Training absolviert, bevor er an die Front kam. Dort habe es schließlich an Mannschaften für Panzer und anderes schweres Gerät gemangelt. „Wir haben irgendwann in unseren Unterlagen festgestellt, dass wir schon vor einem Monat abgelöst werden sollten. Aber es ist niemand gekommen“, erklärt Dmitri.

Die ukrainische Armee wollen die gefangen genommenen Soldaten möglichst rasch mit eigenen Truppen tauschen, die sich in russischer Gefangenschaft befinden. Doch viele Kämpfer, wie auch Dmitri, wollen gar nicht zurück in ihre Heimat. Sie haben Angst, dass sie der  Inlandsgeheimdienst sie bestrafen oder töten könnte, wenn sie zurückkommen.

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