Michael „Breiti“ Breitkopf ist seit 41 Jahren Gitarrist der Toten Hosen und gilt nach außen hin als der Ruhepol der Band. Vor dem gefeierten Auftritt beim Lido Sounds sprachen wir mit dem Musiker über das neue Festival in Linz, die Grenzen bei moralischen Richtlinien und warum es okay ist, wenn man sich im Laufe des Lebens verändert.
„Krone“: Breiti, hast du vor dem Auftritt mit den Hosen ein paar Impressionen vom Lido Sounds gewonnen?
Michael „Breiti“ Breitkopf: Wir haben uns am Freitag Florence + The Machine angesehen, ich habe sie zum ersten Mal gesehen. Am Samstag war ich natürlich gespannt auf die Beatsteaks, aber auch auf die Bands, die danach kamen. Es ist ein Festival der kurzen Wege und die Atmosphäre ist großartig.
Ihr spielt diesen Sommer ein paar Festivals und keine große Tour.
Nach einer langen Tour kommen die Festivalshows, das ist oft so. Später im Sommer machen wir noch eine andere Sache, aber die kündigen wir erst noch an. Das ist aber der Grund, warum es nicht mehr Festivalauftritte geworden sind.
Im Laufe eurer mehr als vierzigjährigen Karriere wart ihr schon das eine oder andere Mal in Linz zu Gast. Die Posthof-Show 1984 bleibt wohl unvergessen …
Nach 41 Jahren verschwimmt so einiges, aber an ein paar Konzertnächte wird man sich immer erinnern - zum Beispiel dieses Konzert im Posthof. Das war so legendär, dass sie uns erst einmal Hausverbot erteilt haben. Das wurde erst vor fünf Jahren aufgehoben, als wir das letzte Mal hier spielten. Sie haben uns in den Posthof eingeladen, wir haben gegrillt und eine gute Zeit gehabt. Dann wurde auch das Verbot offiziell aufgehoben und wir waren herzlich willkommen.
Gibt es noch andere Orte, an denen euch an Hausverbot auferlegt wurde?
Früher gab es viele Clubs, die uns anfangs nicht spielen lassen wollten. Etwa der legendäre Ratinger Hof in der Düsseldorfer Altstadt. Bei der Batschkapp in Frankfurt haben wir mal alle Leute in deren Kneipe nebenan eingeladen und sind dann abgehauen. Das haben sie uns lange nicht verziehen, aber nach einer gewissen Zeit hatten wir jahrzehntelang das beste Verhältnis zueinander - bis heute.
Wart ihr denn früher viel bewusster auf Provokation und Anecken aus?
Das hat sich einfach so ergeben. Mit Anfang 20 bist du voller Energie und Übermut und diese Mischung vermengt mit Alkohol und Speed führt zu lustigen Nächten. Manchmal verhält man sich wahrscheinlich auch wie ein Idiot und nicht alle Leute finden das gut. Insgesamt hatten wir in dieser Zeit tolle Erlebnisse und haben großartige Leute getroffen, mit denen wir teilweise bis heute befreundet sind. Wir haben in dieser Zeit sehr viel gelernt.
So viel Exzentrik ist heute nicht mehr möglich, aber zwischendurch spielt ihr noch Wohnzimmerkonzerte, wo es auch mal wilder zugeht. Macht ihr das eigentlich noch immer?
Wir reservieren uns immer wieder mal einen Zeitraum, um solche Konzerte zu spielen. Oft posten wir da auch nichts in den sozialen Medien. Es sollten nicht mehr als 50 Leute da sein. Oft übernachten wir dort, um die Leute kennenzulernen und mit ihnen wirklich Zeit zu verbringen. Sehr oft sind das tolle Abende und Nächte. Manchmal versteht man sich auch nicht so gut, aber das macht ja auch den Reiz aus, dass man nicht genau weiß, was einen erwartet.
Brauchen die Toten Hosen immer noch den Sprung ins Ungewisse?
Wir probieren immer gerne neue Sachen aus. Wenn wir neue Lieder schreiben, versuchen wir immer wieder, aus unseren Angewohnheiten herauszukommen. Das ist bei fünf Leuten nicht immer einfach. Wir versuchen, an der Gitarre nicht automatisch an dieselbe Stelle zu greifen und Campino als Sänger nicht automatisch denselben Bogen zu singen. Wenn wir mit Gerhard Polt und den Well-Brüdern spielen, ist das eine ganz andere Ausdrucksform, ein echtes Abenteuer. Beim letzten Unplugged-Album hatten wir zehn Gastmusiker aus anderen Welten. Durch deren Können und Erfahrung versuchen wir dann, unsere eigene Musik anders zu sehen. Es hat uns in der Seele wehgetan, dass wir die geplante Unplugged-Tour wegen Corona nicht spielen konnten. Das wäre eine ganz spezielle Erfahrung gewesen.
Ihr seid mit den Toten Hosen gewachsen und auch erwachsen geworden. War es immer leicht, gemeinsam diesen Weg zu gehen, wenn sich jedes Individuum einzeln entwickelt?
Das war überhaupt nicht immer leicht. Gott sei Dank gibt es eine grundsätzliche Loyalität zwischen uns, die anscheinend unzerstörbar ist. Manchmal geht einem einer unglaublich auf die Nerven oder man würde den anderen am liebsten auf den Mond schießen, aber das hat unser Verhältnis nie grundsätzlich in Gefahr gebracht. Wenn von außen ein scharfer Wind kam, haben wir immer zusammengehalten nach dem Motto „wir gegen alle“. Noch heute müssen wir über ganz viele Sachen überhaupt nicht diskutieren oder reden. Andere Leute scheitern schon an der Frage, wo man zu fünft essen gehen will. Wir haben ein ganz feines Geflecht untereinander und nehmen uns ja immer sehr viel vor. Wir sind sehr dankbar dafür, dass bei uns alles so gewachsen ist.
Fühlt sich das Touren und Reisen mit den Hosen wie eine Herrenrunde oder ein Männerurlaub an?
Urlaub ist das definitiv keiner. Wir vergleichen es gerne mit Sport und sind wie eine Fußballmannschaft unterwegs. Du musst jeden Abend neu loslegen und es kostet jeden Abend dieselbe Konzentration und Anstrengung. Da es aber eben kein Urlaub ist, macht das den ganzen Reiz aus. Jeden Abend gibt es nur einmal. Wer nicht dabei war, hat es nicht erlebt. Man kann sich vielleicht DVDs kaufen, aber das ist nicht dasselbe, als wäre man live dabei gewesen.
In Düsseldorf habt ihr bekanntermaßen schon eine gemeinsame Grabstätte gekauft. Sind da genug Plätze für die Familien aller Menschen im inneren Hosen-Zirkel?
Es kann jeder noch jemanden mitbringen. Je mehr Leute sich einäschern und in Urnen begraben lassen, umso mehr Platz bleibt natürlich.
Einen Song wie „Hofgarten“ mit Texten wie „ficken, bumsen, blasen“ könntet ihr heute auch nicht mehr schreiben bzw. würde er inhaltlich nicht mehr so gut aufgenommen werden.
Sehr schön formuliert. (lacht) Wir können dazu stehen, dass wir als 18-Jährige in dem zeitlichen Kontext so ein Lied geschrieben haben. Es hatte eine andere Bedeutung bzw. war eine Respektlosigkeit, das so zu singen. Wir haben damals vor 50 Leuten gespielt und da hat man eine andere Art zu kommunizieren. Heutzutage würden wir diese Nummer natürlich nicht mehr machen und wir spielen sie auch nicht. Sie kommt aus einer ganz bestimmten Zeit und war mehr eine ironische Abhandlung als ein ernst gemeintes Lied.
Darf Kunst denn immer frei sein und alles sagen oder eben nicht?
Die Parameter müssen immer neu verhandelt werden. Man müsste über genaue Beispiele reden, die den Rahmen dieses Gesprächs sprengen würden. Wo werden die Linien überschritten? Wo darf man natürlich etwas singen, dichten oder ein Buch schreiben, obwohl es total scheiße ist? Ich denke aber, dass es Grenzen gibt, die man nicht überschreiten sollte.
Fällt es euch leicht, sich an die Veränderungen der Welt anzupassen?
Die Themen haben sich über die Jahrzehnte gar nicht so viel verändert. Was die Demokratie oder das Zusammenleben in einer Gesellschaft auf Grundlage der Menschenrechte angeht, war von den ersten Tagen der Band an klar, wo wir stehen. Wir hatten oft genug handfeste Auseinandersetzungen mit Nazi-Skins. Heute führen wir die Auseinandersetzungen auf einer anderen Ebene, aber die Probleme gibt es heute teils noch massiver als früher. Oder was Gleichberechtigung angeht: Im Punkrock gab es anfangs viele Frauenbands und Sängerinnen in richtigen Bands. Alle haben gehofft, dass das ein Aufbruch sein würde, aber diese Hoffnung hat sich so nicht erfüllt. Frauen und Männer hatten dieselben Frisuren, dieselbe Kleidung und trugen mit Doc Martens dieselben Schuhe. Die Geschlechtertrennung war hier aufgehoben, ganz im Gegensatz zum Oktoberfest, wo ganz klar zwischen Lederhose und Dirndl unterschieden wird. Im Punkrock wurde versucht, über die Musik Gleichberechtigung zu erreichen. Mit Anfang 20 wussten wir aber noch nicht, dass es so ein weiter Weg sein würde.
Veränderungen passieren, aber oft passieren sie sehr langsam.
Man muss auch immer wissen, was das Ziel sein soll. Wenn das Ziel heißt, man soll jeder Frau immer mit Respekt begegnen und sie soll sich überall und jederzeit sicher fühlen, dann wäre es schön, würden wir das Ziel auch einmal so klar formulieren. Wir müssen uns anstrengen, dahin zu kommen.
Braucht es deiner Meinung nach eine Quotendiskussion bezüglich der Geschlechterparität auf Musikfestivals?
Meine Diskussion ist eher eine andere. Es macht keinen Sinn, krampfhaft Frauenbands auszugraben, die es vielleicht nicht gibt. Ich versuche immer, mit Leuten darüber zu reden, warum dieser vorher genannte Aufbruch im Punkrock kein Trend geworden ist. Es gibt offenbar wenige Rollenvorbilder, aber ich weiß auch nicht, warum sich nicht mehr Frauen zusammentun, um in einer Band spielen zu wollen. Mir konnte dazu noch niemand was Plausibles sagen und ich komme auch selbst nicht drauf.
Könnte bei den Toten Hosen problemlos eine Frau mitspielen?
Auf jeden Fall. Wir waren immer wieder mal mit der Pianistin Esther Kim auf Tour, die bei unserem ersten Unplugged-Album mitgespielt hat. Zum Glück gibt es auch in technischen Jobs immer mehr Frauen und wir haben einige in der Crew. Auf dem letzten Unplugged-Album war auch eine Percussionistin mit dabei. Zum einen ist völlig egal, wer das Instrument spielt und zum anderen sind Frauen immer eine Bereicherung. Das Wichtigste ist, dass man dieselbe Wellenlänge hat und zusammen klarkommt. Dann wird es gut.
Ohne genau auf den Fall einzugehen, aber grob zum Thema Rammstein: inwieweit sollte man moralisch verurteilen und werten dürfen? Sollte nicht das Strafrecht entscheidend sein?
Wie schon gesagt, mein Wunsch wäre, dass wir gesellschaftlich das Ziel hätten, dass jeder Frau überall mit Respekt begegnet wird. Sie soll sich überall absolut sicher fühlen. Damit ist alles gesagt. Für das Strafrecht gibt es Staatsanwälte und Gerichte, die das behandeln.
Hat sich euer Wertekanon über die Jahre verändert oder zugespitzt?
Grundsätzliche Werte wie der Kampf gegen Rassismus oder für eine demokratische Gesellschaft, die auf Grundlage der Menschenrechte organisiert ist, war für uns schon immer wichtig. Wir haben uns früher andere Ausdrucksmöglichkeiten gesucht, aber was uns wichtig ist und bewegt, daran hat sich nicht viel geändert.
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