Sensationsfund! An der Universität Graz wurde das bislang älteste weltweit bekannte Fragment eines Buches in Kodex-Form entdeckt. Die Entdeckung wurde bei Routinearbeiten gemacht. „Es war ein Schock“, sagt die Forscherin, die den Sensationsfund gemacht hat.
„Es war ein Moment, wie man ihn eigentlich nur aus Filmen kennt“, sagt Restauratorin Theresa Zammit Lupi über den 11. Mai 2023 um etwa 16.30 Uhr. Die gebürtige Malteserin arbeitet seit 2021 an der Universitätsbibliothek Graz und war an dem Tag mit Routinearbeiten an einem Papyrus-Fragment beschäftigt, als ihr etwas ungewöhnliches auffiel: „Vom Schriftstück hing ein kleiner Faden, was ungewöhnlich ist. Als ich das Papyrus genauer betrachtet habe, ist mir auch ein Falz im Papier aufgefallen.“ All das deutete darauf hin, dass das lose Stück Papyrus einst mit dem Faden in Buchform gebunden war - eine Sensation!
„Es war ein Schock“
Denn das Papyrus-Fragment stammt aus der Zeit um 260 vor Christus - und ist damit rund 400 Jahre älter, als der älteste bisher bekannte Beleg für eine Heftung in Buchform. „Die frühesten bisher bekannten Exemplare wurden auf 150 bis 250 nach Christus datiert und befinden sich in der British Library in London und der Chester Beatty Library in Dublin“, weiß die Forscherin. „Als mir bewusst wurde, was für ein historisches Stück ich gerade untersuchte, war ich in Schock“, erinnert sie sich. „Dann begann eine frenetische Recherche und erst als ich und meine Kollegen uns sicher waren, dass alles stimmt, setzte große Freude ein.“
Das Fragment, das „Grazer Mumienbuch“ betitelt wurde, stammt aus einer Gruppe von insgesamt 52 Papyrus-Stücken, die seit 1904 in der Universitätsbibliothek liegen. „Die Stadt Graz hat damals eine archäologische Grabung in einer ägyptischen Nekropole in Hibeh mitfinanziert und bekam als Dank diese Schriftstücke“, weiß Peter Riedler, Rektor der Uni Graz.
Rechnung für Bier- und Ölsteuer
Das Grazer Mumienblatt ist ein Teil dieser Sammlung - und hat eine bewegte Geschichte: „Es handelt sich um ein Blatt aus einem Notizbuch, in dem ursprünglich Rechnungen für Bier- und Ölsteuer in griechischer Sprache festgehalten wurden“, weiß Theresa Zammit Lupi - und ergänzt mit einem Lächeln: „Bier und Öl, was könnte steirischer sein.“
Schon zur Zeit der Ptolemäer wurde das Blatt aus dem Notizbuch dann „recyclet“, wie Zammit Lupi es nennt. „Es wurde als Kartonage für die Umhüllung einer Mumie verwendet und dafür auch bemalt und mit Leim bestrichen.“ In dieser Form wurde es bei den Grabungen 1904 auch entdeckt und kam nach Graz.
„Fund verändert die Geschichte des Buches“
Bis vor fünf Wochen war die historische Bedeutung dieses rund 15 x 25 Zentimeter großen Schriftstücks jedoch niemandem bewusst. „Der Fund verändert die wissenschaftlich akzeptierte Timeline der Buchgeschichte und verschiebt sie nach vorne“, sagt Erich Renhart, Leiter der Sondersammlung an der UB Graz. Noch im Herbst sollen internationale Spezialisten zu einer Tagung nach Graz geladen werden, um das Buchfragment wissenschaftlich zu erörtern.
So sehr man sich in Graz auch über den historischen Fund freut, geht man nicht davon aus, dass das Mumienblatt ein Einzelfall ist: „Unsere neuen Erkenntnisse werden Bibliotheken weltweit dazu veranlassen, ihre Papyrus-Sammlungen neu zu überprüfen“, sagt Theresa Zammit Lupi. Eine Mammutaufgabe: „In der Nationalbibliothek in Wien liegen 180.000 Papyri, in der Sackler Library an der Uni Oxford gar 600.000 - wir sind gespannt welche Erkenntnisse über die Buchgeschichte da auf uns zukommen“, sagt sie.
Der Auslöser für all das, was noch an großen Erkenntnissen kommen mag jedoch, war der Faden, der ihr am 11. Mai 2023, in der Sondersammlung der Grazer Universitätsbibliothek ins Auge stach - und der Geschichte schrieb.
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