Sie stammt aus Südkärnten, lebt aber seit Jahren in Vorarlberg, dem Autor Robert Schneider erzählt Martina Ilg ihre Geschichte.
„Mit Kindheit verbinde ich Grenzregionen - das Slowenische, das Italienische, das Österreichische. Wir sind oft ins damalige Jugoslawien in den Urlaub gefahren. Meine Großmutter sprach noch Slowenisch. Die Eltern konnten es auch. Wurde über eine Sache geredet, die ich als Kind nicht hören sollte, z. B. über Geld, haben sie Slowenisch geredet. Natürlich wollte ich als kleines Mädchen unbedingt wissen, was die hinter meinem Rücken so Wichtiges besprechen. Dadurch habe ich Slowenisch gelernt. Ich konnte es zwar nicht sprechen, aber zumindest verstehen.“
Das erzählt Martina Ilg, die ehemalige Flugbegleiterin bei der AUA war und heute in der Goldschmiede EQUIV in Dornbirn arbeitet. Sie ist Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern und hat seit vielen Jahren hier in Vorarlberg Wurzeln geschlagen. Die Herzlichkeit, mit der sie mich zum Interview empfängt, die Offenheit, mit der sie in ihrem mittelkärntnerischen Dialekt von sich berichtet, ist erfrischend und so ganz unüblich für eine alemannische Seele wie mich. Geboren wurde Martina in Gösselsdorf, einem kleinen Dorf in Südkärnten an der slowenischen Grenze. Es ist ein zauberischer Landstrich im Jaunfeld, mit Wiesen und Äckern, bewaldeten Bergrücken und einem kleinen See.
Schneider: Sie haben Ihre Kindheit an einem ländlichen Flecken verbracht. Ein winziges Dorf mit einer Kirche. Da müsste Ihnen Vorarlberg gar nicht so fremd vorgekommen sein.
Martina Ilg: Das stimmt. Meine Kindheit war Natur pur. Ich bin wirklich behütet aufgewachsen, mit sehr vielen Freiheiten. Viel draußen. Meine Wurzeln sind die Dinge, die ich als Kind oder Heranwachsende zum ersten Mal gemacht habe. Das erste Mal Feuer machen, draußen schlafen. Das erste Ausgehen, der erste Kuss, der erste Rausch. Das ist sozusagen mein Wurzelwerk.
Und das alles in einer streng katholischen Umgebung?
Aber wie! Der Pfarrer im Dorf hatte damals noch einen hohen Status, eine große Macht. Ich habe einen um sieben Jahre jüngeren Bruder. Gewünscht hätte ich mir aber immer eine ältere Schwester, mit der ich über alles reden kann. Gerade was die Sexualität angeht. Da wurde in meinem Haus keine Silbe darüber verloren.
Haben Sie die Problematik der Kärntner-Slowenen noch miterlebt?
Natürlich. Man hat sich irgendwie dafür geschämt, slowenischer Abstammung zu sein. Das war wie eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft. Mein Mädchenname z.B. heißt Orasche. Das ist eingedeutscht, denn ich habe bei meiner Großmutter noch Postkarten gefunden, auf denen der Name mit dem so genannten Hatschek über dem „ž“ geschrieben war.
Nach der Matura sind Sie nach Wien gegangen, um zu studieren, aber sehr bald bei der AUA gelandet. Wie ging das?
Ich habe Deutsch und Ethnologie studiert, aber nicht abgeschlossen. Durch Zufall habe ich mich bei der AUA als Flugbegleiterin beworben und den Job auch tatsächlich bekommen. Das war in den frühen Neunzigern. Lange Umläufe, Stopps bis zu einer Woche, gute Verdienstmöglichkeiten. Es waren die „Golden Years“ des Fliegens überhaupt. Man legte einem so ein bisschen die Welt zu Füßen. Natürlich gab es die Hierarchie zwischen Kabine und Cockpit, aber es war alles sehr kameradschaftlich. Genau das Leben, das ich immer wollte. Fasziniert war ich vor allem vom asiatischen Raum. Eigentlich wollte ich nur zwei Jahre bei der AUA bleiben. Geworden sind es schließlich siebzehn.
Und man durfte damals noch im Flieger rauchen.
Stimmt. Sobald dieses Zeichen erloschen ist, das „Dinggg!“ gemacht hat, sind alle nach hinten gestürmt, wo man rauchen durfte. Und da nebelten sie dann stehend alles ein.
Nach dem bombastischen Scheitern meiner Ehe, habe ich auch gespürt, was man hier unter „köhrig“ versteht, dass man sich eben nicht scheiden lässt. Da habe ich wirklich überlegt, nach Kärnten zurückzukehren.
Martina Ilg
Um das Klischee zu bedienen: im Flieger haben Sie dann Ihren Kapitän kennengelernt?
Wenn wir schon darüber reden: Ich fand es immer spannender, einen Partner an der Seite zu haben, der etwas ganz anderes macht.
Wenigstens in der First Class einen netten, gut aussehenden Geschäftsmann?
Auch das nicht. Nichts Klassisches. Meinem Ex-Mann bin ich in Washington begegnet. Er arbeitete beim Einsatzkommando der Cobra und machte nach dem 11. September die Flugbegleitungen mit.
Ein Vorarlberger?
Genau. Mein erster Vorarlberger. Drei Jahre bin ich zwischen Wien und Vorarlberg hin- und hergependelt. Als ich dann schwanger war, sagte ich mir: du traust dich jetzt was. Du entscheidest dich für Vorarlberg. Für etwas Ländliches. Ich erinnere mich noch ganz genau. An einem verschneiten Dezembertag bin ich mit Hab und Gut in einem Sprinter der Firma Buchbinder vom 5. Wiener Bezirk direttissima nach Bildstein gefahren. Im Winter Wonderland bin ich aufgeschlagen. Dort habe ich meine Tochter zur Welt gebracht. 21 Monate später meinen Sohn. Die ersten Jahre habe ich sehr genossen, bis ich merkte, dass ich in einer Blase lebte. Mir fehlten die Freunde aus Wien. Ich bin keine Einzelgängerin. Ich brauche Menschen um mich.
Haben Sie hier in Vorarlberg keinen Anschluss gefunden?
Schon, aber ich habe gemerkt, dass ich nur bis zu einem gewissen Grad an diese Menschen herankomme. Wenn man kein Vereinsmeier ist oder super sporty, ist das recht schwierig. In Kärnten hatte ich die Erfahrung gemacht, dass man einen Fremden schneller zu sich selber lässt. Ich fühlte mich manchmal wie ein Exot. Vielleicht, weil ich emotionaler bin.
War es auch ein Problem der unterschiedlichen Dialekte?
Glaube ich nicht. Ich kann mich schon ganz gut einhören. Was mich ganz am Anfang irritiert hat, war, dass ich mich anmelden musste, wenn ich zu jemandem auf Besuch ging. Das gab's bei uns zu Hause nicht. Was ich auch lernen musste, ist, dass auf eine Einladung unbedingt eine Gegeneinladung folgen muss. Ich bin nicht der Typ, der zählt und aufrechnet. Nach dem bombastischen Scheitern meiner Ehe, habe ich auch gespürt, was man hier unter „köhrig“ versteht, dass man sich eben nicht scheiden lässt. Da habe ich wirklich überlegt, nach Kärnten zurückzukehren.
Aber Sie sind hier geblieben.
Es waren die Kinder, die mir einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Die wollten hier bleiben, weil sie hier ihre Freunde haben.
Und Sie selbst?
Ich bereue es nicht, hier geblieben zu sein. Mein Heimatbegriff ist auch ein anderer. Heimat ist für mich nicht das Land, der Ort, wo ich geboren wurde. Ich bin dort daheim, wo meine Familie ist, meine Freunde. Und ich habe hier viele Freunde gefunden.
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