Es klingt geradezu unwirklich: Ausgerechnet der weltweit führende Hersteller von Funkgeräten steckt in Sachen Produktion im vorindustriellen Steinzeitalter. Bis heute fertigt Motorola die für CIA, FBI, Polizei oder gar Rotes Kreuz zum Einsatz kommenden Kommunikationsapparate ausschließlich in Handarbeit an. Den Sprung in eine neue Ära ermöglicht nun ein oberösterreichisches Familienunternehmen.
1,5 Jahre lang entwickelte die 1972 in Attnang-Puchheim gegründete Stiwa Group eine Maschine, die Motorola eine automatisierte Serienproduktion ermöglicht. Schon bald rutschen die in Illinois gefertigten Funkgeräte im Fünf- bis 15-Minuten-Takt vom Fließband – um dann in alle Welt geschippert zu werden. Mit Motorola als erstem hundertprozentigen US-Kunden festigte die Stiwa Group bereits ihr Standbein im US-Staat North Carolina. Und steht mit dem am vergangenen Mittwoch gefeierten Spatenstich nun mit einer neuen Niederlassung im benachbarten US-Staat South Carolina in den Startlöchern.
Dort erweitert der auf Automation, Produktion und Software spezialisierte Betrieb sein Standort-Portfolio mit einem riesigen Nordamerika-Hauptsitz, der quasi der Zwilling zum Headquarter in Attnang-Puchheim werden soll. Auf dem 120.000 Quadratmeter großen Grund will man für Big Player wie Motorola oder Leviton (Steckdosen) produzieren. Geschäftsführer Peter Sticht: „Die Grundsteinlegung ist ein Meilenstein für uns, das Gebäude ein Symbol für Wachstum und Commitment in den US-Markt.“
Bidens Regierung forciert die Re-Industrialisierung
Ein besseres Timing hätte die Stiwa Group nicht haben können. Denn für die Amerikaner, die in der Vergangenheit alle Karten auf Digitalisierung gesetzt und so die industrielle Automatisierung vernachlässigt haben, soll nun ein neues Zeitalter beginnen. Oder wie Bidens Regierung es nennt: die Re-Industrialisierung der USA. Nicht zuletzt die von Corona verschuldete Lieferkettenproblematik hat die Achillesferse der Staaten offenbart und der US-Handelsgroßmacht schmerzlich vor Augen geführt, was es heißt, von China abhängig zu sein. Unternehmen wie die Stiwa Group ebnen den Weg zum Befreiungsschlag.
Für Österreich bilden die Vereinigten Staaten nach Deutschland und Italien den drittwichtigsten Exportmarkt. Und auch wenn die Alpenrepublik im Vergleich zur Wirtschaftsmacht klein erscheinen mag – ihre Bedeutung ist es keinesfalls: 17,1 Milliarden Euro umfasst das Investitionsvolumen der vergangenen fünf Jahre. Bei den Pro-Kopf-Investitionen in den US-Markt steht Österreich sogar an erster Stelle. Besonders gefragte Güter: Maschinen, Anlagen, Lebensmittel, Getränke, Pharmazeutika und Waffen (Glock, Steyr).
USA sind zweitwichtigster Exportmarkt für OÖ
Wirft man einen Blick auf die Oberösterreich-Statistik, so verbessern die USA hier sogar ihren Rang und landen auf Platz zwei der wichtigsten Exportmärkte. Dennoch liegt noch viel Potenzial brach, ist Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) sicher: „Aktuell sind nur zehn Prozent der oö. Firmen generell im Export-Geschäft tätig. Noch gibt es wenige, die sich über Niederlassungen über dem großen Teich drübertrauen.“ Nun hofft man auf Nachzügler, die dem Beispiel der Stiwa Group folgen, wie Achleitner bei der Grundsteinlegung vor Ort in Rock Hill (siehe Grafik) betonte: „Wir wollen unseren Unternehmen Mut machen, ihre Erfolgsmodelle in anderen Ländern zu duplizieren.“
Der Zeitpunkt sei besser denn je, unterstreicht die aus Lambach stammende US-Botschafterin Petra Schneebauer, die seit März im Amt ist: „Bidens Regierung hat drei Gesetzespakete auf den Weg gebracht, um jene Firmen großzügig finanziell zu unterstützen oder von Steuern zu entlasten, die in den USA produzieren und Infrastruktur aufbauen. In den kommenden Jahren wird es für alle, auch für Österreicher, besonders interessant, in den US-Markt zu investieren.“ Und wer weiß – vielleicht wird schon bald für den einen oder anderen Landsmann der amerikanische Traum wahr.
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