Mittwochabend gastierte Billy Gibbons nach vielen Jahren endlich wieder in Wien - zwar solo und nicht als Frontmann von ZZ Top, aber dennoch mit einer ganzen Wagenladung an alten Hits, sehr viel positiven Soundstaub und einer beneidenswerten Nonchalane. Schade, dass sich im Gasometer nur rund 1500 Fans einfanden.
Ganze 52 Jahre waren ZZ Top in Originalbesetzung zusammen, was möglicherweise ein ewiger Rekord bleiben könnte. Bis vor fast genau zwei Jahren Bassist Dusty Hill aus dem Leben schied und eine Ära unwiderruflich beendete. Frontmann, Gitarrist und Bandchef Billy Gibbons trauerte aber nicht lange und spielte mit Elwood Francis als Hill-Ersatz im letzten Jahr nicht weniger als 106 Shows in den USA und Kanada. Die einen sahen den nahtlosen und wenig emotionalen Übergang als empathieloses Sakrileg, andere jubelten lautstark nach dem Motto „the show must go on“. Die Unterhaltungsbranche ist eben keine Kinderjause und das spürt William Frederick Gibbons aktuell auch auf seiner Europa-Solotournee. Die Kartenverkäufe hinken rundum beträchtlich, in manchen Städten mussten seine Gigs in kleinere Venues verlegt werden und auch im Wiener Gasometer finden sich an einem angenehm-kühlen Frühsommertag nur rund 1500 Fans zur Nostalgie-Show ein.
Tour ohne Matt Sorum
Nostalgie deshalb, weil Gibbons zwar offiziell mit seinem 2021 veröffentlichten (und durchaus knackigen) dritten Soloalbum „Hardware“ über den alten Kontinent düst, aber natürlich keinen Abend ohne die großen Klassiker seiner immer noch quicklebendigen Haus- und Hofband auskommt. Die hagere Kulisse hat zumindest auch den Vorteil, dass nur wenig Schweiß aus den fast ausschließlich männlichen Drüsen drückt, man sich auch mit wohlverdientem Bierbauch frei bewegen kann und die nervigen Getränkeschlangen erst gar nicht vorhanden sind. Gibbons tourt mit Alabamas Country-Gitarrist Austin Hanks und Drummer James Douglas. Ex-Guns N‘ Roses-Schlagwerker Matt Sorum ist aus nicht näher bekannten Gründen kein Teil der Europa-Tour. Douglas als Drum-Techniker von ZZ-Top-Schlagzeuger Frank Beard (der mit dem wenigen Bart) gehört aber ohnehin zur Familie.
Sechs Magnatone-Verstärker, drei Skateboards und eine Handvoll kleine Flaschenbiere bilden den Bühnenhintergrund für die kultige Rock’n’Roll-Werkschau, die mit leichter Verspätung beginnt, die Fans mit dem ZZ-Top-Cover „Got Me Under Pressure“ aber sehr geschickt schon früh bei Laune hält. Gibbons selbst hat nichts von seiner Aura verloren. Der bis zur Brust reichende, markante Bart, die Sonnenbrille, der Stetson über der bekannten Haube und ein Werkstatt-Einteiler als Bühnenuniform leiten in einen beschwingten Abend, der gerade am Anfang noch gegen einige Längen kämpft. Der Gibbons-Track „More-More-More“ oder „Rollin‘ And Tumblin‘“ wollen nicht richtig zünden, doch mit der wüstentrockenen Partyhymne „Beer Drinkers & Hell Raisers“ findet das Trio nach einer Viertelstunde zunehmend in die Spur. Von Bühneneffekten oder Spielereien keine Spur. Drei Männer, hemdsärmelige Instrumente und viel Spaß am unverfälschten Rock’n’Roll - das ist die Devise und von diesem Prinzip wird nicht abgerückt.
Let the music do the talking
Die teils perfekt choreografierten Bewegungen, die Gibbons und Hill bei ZZ Top ausgezeichnet haben, funktionieren auch in der Funktion Gibbons/Hanks. Drummer Douglas, zuletzt auch Live-Ersatz von Joey Kramer bei Aerosmith, verrichtet sein Werk hinter einer Plastikwand unspektakulär, aber äußerst effektiv. Nach etwa einem Drittel der Show wird bereits der Gassenhauer „Gimme All Your Lovin‘“ ins Oval gefeuert und sorgt beim gut eingestimmten, aber bis dahin noch nicht wirklich enthusiasmierten Publikum erstmals für gröberes Stimmungsrascheln. Der große Geschichtenerzähler war der bärtige Gibbons ohnehin nie, auf dieser Solotour schäkert er tatsächlich nur noch das Allernötigste ins Auditorium und konzentriert sich voll auf sein Spiel. Cover-Versionen von „Treat Her Right“ oder „I Got Love If You Want“ gehen zurück zur favorisierten Musik des Bandchefs, der „Blue Jean Blues“ wird geruhsam und mit nonchalanter Lässigkeit zum Besten gegeben.
Auf der Bühnenseite schunkelt Gibbons‘ Ehefrau Gilligan Stillwater mit und erweist sich als größter Fan des Abends. Am Dienstag hatte die Band einen Day Off, den Gibbons und Stillwater dazu nutzten, in der Wollzeile Schnitzel zu essen und einen Teddybären zu kaufen. Auch düstere Rock-Rabauken haben ein weiches Herz und brauchen einen Ausgleich zum gewohnten Tagwerk. Im Gegensatz zur oft schon klinisch perfektionierten Bühnenshow von ZZ Top wirken Gibbons, Hanks und Douglas ursprünglicher, dreckiger und in sympathischer Art und Weise fehlerhafter. Immer wieder schießen die Riffs quer oder wird der Gesangseinsatz verpasst, aber durch die hobbymäßig wirkende, besonders zwanglose Atmosphäre auf der Bühne scheinen die Imperfektionen natürlich und sympathisch. Die Tempi wechseln abrupt. „Foxy Lady“ seines Idols Jimi Hendrix geht gar etwas schnell über die Bühne, während der Solo-Song „West Coast Junkie“ mit sehr viel Bedacht auf überraschende vielseitige Kompositionskunst setzt.
Keine Überstunden
Für das letzte Konzertdrittel hat sich der 73-jährige Gibbons natürlich noch ein buntes Potpourri seiner Stammband aufgehoben. Das flotte „Francine“, ein memorables „Thunderbird“ und der wohl bekannteste Gassenhauer, „Sharp Dressed Man“, bringen noch einmal ordentlich Stimmung in die Bude, deren Gäste mittlerweile auch schon gut mit Gerstensaft gefüllt sind. Der elegische „Tube Snake Boogie“ und das ZZ-Top-Signature-Stück „La Grange“ besiegeln das Set nach handgestoppten 90 Minuten. Schon bei den Konzerten mit ZZ Top hat Gibbons in den letzten Jahren stets darauf geachtet, Überstunden tunlichst zu vermeiden. Kracher wie „Tush“, „El Diablo“ oder „Legs“ bleiben zwar ungespielt, aber vielleicht gibt es ja ein baldiges Wiedersehen mit seiner Hauptband. Der alte Mann mit der rauen Seele hat noch immer kräftig Rock’n’Roll in den Gliedern. Die Pension kann da ruhig noch warten.
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