Es ist noch gut ein Jahr hin bis zur nächsten Europawahl, aber die Sorge vor Desinformation und Einflussnahme durch Fake News lässt bereits heute in Brüssel die Köpfe rauchen. „Die Wahlen müssen frei und fair sein“, sagt die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz, Vera Jourova. Zugleich betont sie, die EU müsse noch viel stärker gegen russische Propaganda vorgehen.
Neu ist die Sorge vor einer russischen Einflussnahme auf die EU-Wahl nicht. Bereits 2019 hat die EU-Kommission im Kampf gegen gezielte Falschinformationen Facebook, Google und Twitter zu einem Verhaltenskodex bewegt, der die Kennzeichnung von politischer Werbung zum Ziel hatte.
Mittlerweile versucht die EU über eine Verordnung die Transparenz und das Targeting politischer Werbung zu kontrollieren. Bezahlte Anzeigen im Netz müssen dann als solche gekennzeichnet werden. Ein Missbrauch der Nutzerdaten soll zusätzlich durch das Verbot von Micro-Targeting sichergestellt werden - eine Konsequenz aus dem Datenschutz-Skandal um Cambridge Analytica rund um Facebook. Jourova hofft darauf, dass die Verordnung rechtzeitig vor dem Intensiv-Wahlkampf rund drei Monate vor der EU-Wahl, die vom 6. bis 9. Juni stattfindet, in Kraft tritt.
Kennzeichnung für KI-Generiertes
Zusätzlich will die EU-Kommissarin, dass Texte oder Bilder gekennzeichnet werden, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI/AI) erschaffen wurden. Ein „hohes Risiko“, dass Künstliche Intelligenz zur Wahlmanipulation missbraucht werde, sieht Dragos Tudorache, liberaler rumänischer EU-Abgeordneter und einer der Chefverhandler des „AI Act“, mit dem die Europäische Union den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Zukunft regulieren will. Deshalb, so Tudorache, habe er auch den Schutz von Wahlen in den Gesetzestext aufgenommen. Allerdings werde sich eine Verabschiedung des „AI Act“ nicht mehr bis Juni 2024 ausgehen. Deshalb müsse das EU-Gesetz über digitale Dienste - der „Digital Services Act“ (DSA) bis dahin diese Lücke füllen. Der DSA sieht mehr Transparenz für Algorithmen bei Plattformen vor, er soll Anfang September in Kraft treten.
Wie die Fake-News-Fabriken arbeiten
Mit welchen Fällen von bewussten Falschinformationen das Europaparlament täglich zu schaffen hat, erzählt Jacob Lolck vom Sprecherdienst des EU-Parlaments. Er nennt etwa die angebliche Story in sozialen Medien von einem Europaabgeordneten, der während einer Sitzung Kokain geschnupft haben soll. Sogar russische Regierungsbeamte hätten die Geschichte aufgegriffen und zu einem Seitenhieb auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj genutzt. Es habe sich später herausgestellt, dass es sich bei dem angeblichen Europaabgeordneten in Wirklichkeit um einen Parlamentarier in Deutschland gehandelt habe, der Schnupftabak - aber keine illegalen Drogen - eingenommen habe, sodass der Chefsprecher des Europaparlaments, Jaume Duch, die Falschnachricht dementieren musste.
Eine ebenfalls mit Russland und dem Kreml verbundene Praxis sei das Kopieren von Medien-Websites, auf der dann Falschnachrichten so verbreitet würden, als ob sie von glaubwürdigen Medien kämen, sagt Lolck. Als Beispiel für eine extrem verzerrte Darstellung nennt der Sprecher eine zuerst auf dem deutschen Magazin „Focus“ und dann über das österreichische Boulevard-Medium „Exxpress“ verbreitete Story, wonach Weizen aus der Ukraine anstatt als Essen für die Ärmsten der Welt als Schweinefutter in Spanien landen würde. Diese Geschichte sei dann von russischen Kreml-nahen Medien weiterverbreitet worden und habe binnen kürzester Zeit über eine Million Aufrufe gehabt.
Beliebte Mär der „gestohlenen“ Wahlen
Die häufigsten Narrative, die auf die Beeinflussung von Wahlen zielten, sind Lolck zufolge: „Die Wahlen sind gestohlen/vorentschieden“; „Wählen macht keinen Unterschied“; „Die politischen und wirtschaftlichen Eliten kontrollieren alles“; „Demokratien sind scheinheilig“. Die Themen, um die es außerdem meistens geht, sind demnach Russland/Ukraine, Gesundheit (Covid), Umwelt, Migration und Gleichstellungsfragen.
Laut einer Eurobarometer-Umfrage von 2022 zeigten sich in Österreich 70 Prozent der Befragten zuversichtlich, dass sie Desinformation als solche erkennen können. Damit schätzen sich die Österreicher besser ein als der europäische Durchschnitt. Dass sie Fake News auch tatsächlich ausgesetzt sind, glauben in Österreich 8 Prozent (sehr oft) bzw. 16 Prozent (oft) - das ist besser als der EU-Durchschnitt. Am meisten sehen sich die Bürgerinnen und Bürger in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Zypern durch Falschnachrichten beeinflusst, am wenigsten Niederländer, Dänen und Deutsche.
Die Strategie der EU gegen Desinformation habe viele verschiedene Ansätze, sagt Lolck: Wichtig sei das regelmäßige Monitoring, der Aufbau einer gewissen Immunität gegenüber Fake News durch das Aufdecken von gezielter Desinformation, ebenso wie unabhängige, kritische Medien.
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