„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Dass der renommierte „Economist“ Wien erst unlängst wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt auserkoren hat, liegt zu einem gewissen Teil auch an der florierenden Flora und Fauna. Wer etwa im Westen der Stadt einen abendlichen Sommerspaziergang unternimmt, der stößt auf so manches Getier, dass man in urbanen Regionen für gewöhnlich nicht vermuten würde. Wildschweine befinden sich nicht nur im Lainzer Tiergarten, Füchse streunen zwischen Wald, Wiesen und engen Gässchen des Weges und wer sich nicht um die Elektronik seines Autos sorgt, der labt sich gerne am Anblick eines spontan vorbeihuschenden Steinmarders. Grundsätzlich vermeiden sie Licht und Lärm und streifen am liebsten tiefnachts durch die Straßen und Gärten.
Eher unüblich ist es, wenn man ein Jungtier um 8 Uhr morgens an einer belebten Hauptstraße neben einem Einkaufsmarkt sieht. Sichtlich verängstigt, ganz allein und ziellos auf und ab laufend. Der Alltagslärm durch eine Straßenbahnlinie, Autos, LKW und das geschäftige Fußgängertreiben gestalteten die Situation für das kleine Tier nicht besser. Von Schaulustigen und staunenden Kindern umringt, kauert es sich in eine offene Ecke und sieht mit traurigen Augen einem ungewissen Schicksal entgegen. Was tun in so einer Situation? Gemeinsam mit zwei beherzten Passantinnen reagieren wir, googeln auf unseren Smartphones „Wildtierrettung“ und rufen die erste Nummer an, die uns von der Datenkrake aus Silicon Valley angezeigt wird.
Wir landen offenbar bei der MA60, die uns auf die Kollegenschaft der MA49 verweist, die Wildtierfundbox, stationiert in Favoriten. Dort gelangen wir zur Mobilbox und sind verwundert. Eine Blitzrecherche ergibt: Erreichbar sind Mitarbeiter dort von 10 bis 18 Uhr, immer nur alle zwei Stunden für je eine halbe Stunde. Eine zufällig aus dem Supermarkt kommende Polizistin stellt ihre Einkäufe ab und unterstützt uns, mit genauso wenig Erfahrung, nach Kräften. Das Marder-Jungtier hat sich mittlerweile in einen Lüftungsschacht verkrochen und faucht uns aus einem natürlichen Verteidigungsreflex an. Der kurz angedachte Plan, ums Eck von Zuhause eine Katzenbox zu holen, das Tier einzusammeln und selbst zur Wildtierfundbox zu bringen, wird sofort beiseite gewischt.
Als die beherzte Dame schlussendlich telefonisch doch noch durchdringt, wird ihr gesagt, dass die Wildtierhilfe in ca. 30 Minuten quer durch die Stadt fahrend in Hietzing sein könnte. Zu dieser Zeit hat sich der kleine Marder bereits seinen Rückzugsweg durch die Luftschächte gen Supermarkt-Tiefgarage gebahnt, um in einer weiteren für ihn unnatürlichen Umgebung darauf zu hoffen, wieder in die familiäre Geborgenheit zurückzufinden. Auf Anraten der Polizistin wird die Wildtierhilfe abbestellt, denn das Tier könnte längst überall sein. Auch wenn die behördliche Kommunikationskette nicht ideal funktionierte, zeigte sich in einer solchen Situation das goldene Wiener Herz und der Zusammenhalt zwischen Fremden, wenn es nötig ist. Vor allem das macht Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt.
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