Sarah Windischhofer (42) ist Gerichtsvollzieherin in Linz. Ihr Arbeitstag ist nie alltäglich und die Reaktion auf ihren Besuch unvorhersehbar. Akten hat sie genug, wie viele, ist kaum zu glauben. Im großen Interview mit der „Krone“ erzählt sie von ihrem Alltag.
Der „Kuckuck“: Gerichtsvollzieher wie Sarah Windischhofer, die in Linz unterwegs ist, kleben ihn tatsächlich noch wie eine Briefmarke auf Gegenstände. Die 42-Jährige, die vom Gerichtsbürojob Grundbuch im Jahr 2019 „nach draußen“ wechselte, erzählt im „Krone“-Interview von einem Berufsalltag, der nie alltäglich wird, und warum sie so gerne am Sonntag anklopft.
Krone OÖ: Frau Windischhofer, wenn Sie anklopfen, ist das kein Freundschaftsbesuch.
Sarah Windischhofer: Ich wurde zwar bei meinen Besuchen schon oft zum Essen oder auf einen Kaffee eingeladen. Aber da lehne ich immer ab. Nicht aus Unhöflichkeit, aber das gehört nicht zu meinem Job, und ich habe dafür schlicht auch nicht die Zeit.
Tun Sie sich als Frau eigentlich leichter im Job? Mauserl darf man da wohl keines sein.
Wennst ein Mauserl bist, gewöhnst dir das rasch ab. Du musst höflich, aber bestimmt sein. Als Frau hat man es sicher manchmal leichter, aber nicht bei jedem. Mir taugt der Job.
Ist so viel zu tun?
Mehr als genug. Ich habe einen von sieben Bereichen, in die Linz, ohne Urfahr, aufgeteilt ist und bei mir liegen 815 Akten daheim. Heuer kamen pro Monat mehr als 400 neue dazu. Sobald ich den Akt bekomme, habe ich vier Wochen Zeit für den Erstvollzug. Und ich fürchte, dass die Arbeit noch zunimmt. Vor allem Leute, die bis jetzt gut gelebt, aber sehr knapp kalkuliert haben, sind gefährdet, dass es sich nicht mehr ausgeht. Da darf nicht einmal die Waschmaschine eingehen. Viele wissen etwa nicht, dass Leasingraten fürs Auto in der Regel variabel verzinst sind – und die Zinsen steigen.
Es gibt Leute, die zahlen etwa aus Prinzip eine Strafe nicht. Bei denen wird’s dann auch schwierig, wenn ich komme.
Gerichtsvollzieherin Sarah Windischhofer
Bild: Dostal Harald
Wie reagieren die Schuldner, wenn Sie kommen?
Wir bezeichnen unsere Klienten als Verpflichtete. Und deren Reaktion ist ganz unterschiedlich. Den einen ist es egal, andere schämen sich, aggressiv werden aber die wenigsten. Wir kommen ja zu den unterschiedlichsten Leuten. Von Ärzten und Unternehmern, die vergessen haben bei der Sozialversicherung einzuzahlen, bis zu Leuten, die auch die letzte Mahnung bei einem Strafmandat ignoriert haben, viele sind auch Stammkundschaft. Da geht’s von 35 Euro Parkgebühr bis 50.000 Euro. Typisch sind nicht bezahlte Handy- oder offene Versandhausrechnungen.
Und der „Kuckuck“ ist immer mit dabei?
Natürlich. Aber bevor der geklebt wird, frage ich, ob vielleicht doch bezahlt wird oder eine Ratenzahlung in Frage kommt. Wenn nicht, dann kommt es eben zur Pfändung. Und wenn ich etwas mitnehme – ich lasse die Sachen ungern da –, kippt die Stimmung schon öfter, weil dann wird es ernst.
Dürfen Sie alles pfänden?
Eine Uhr und ein Radio müssen zurückbleiben, auch ein Kühlschrank, aber da kann man ein Luxusmodell gegen ein billiges ersetzen, und auch ein Sessel für jeden Bewohner muss am Tisch stehen bleiben.
Handy, Fernseher?
Die Leute glauben oft, dass man den Fernseher nicht pfänden darf, weil der quasi fürs Überleben wichtig ist. Das ist ein Irrtum. Handys kann man mitnehmen, wenn die SIM-Karte herausgenommen wird. Aber beim Handy werden die Leute oft sehr emotional. Auch wegen der Bilder und Daten.
Ein Verpflichteter kam, nachdem der Akt erledigt war, ins Büro und meinte: ,Jetzt könnten wir privat auf einen Kaffee gehen.‘
Sarah Windischhofer
Bild: Dostal Harald
Haben Sie Mitleid?
Es werden immer wieder Geschichten erzählt. Bei denen, die nichts mehr haben, stimmen sie fast immer. Eines muss man aber sagen: Ehe ich oder meine Kollegen kommen, hatten die Betroffenen viele Aufforderungen verstreichen lassen. Aber oft stecken die Leute den Kopf in den Sand und glauben, es geht vorbei, wenn man auf Mahnungen nicht reagiert. Und dann wird’s auch teuer. Aus 35 Euro Parkstrafe werden 125 Euro. Ich hab’s für mich sogar durchgetestet.
Sie sind in der Regel alleine unterwegs. Haben Sie da kein mulmiges Gefühl?
Man weiß nie, was hinter der anderen Seite der Tür los ist. Ich hatte schon einen Fall, da hetzte jemand seine zwei Hunde auf mich. Oder ein Verpflichteter, der zu delogieren war, wollte sich gerade erhängen. Wenn ich weiß, dass es heikel wird, nehme ich die Polizei mit.
Delogierungen sind sicher nicht einfach.
Oft sind die Leute schon weg. Es gibt in Linz zwei Familien, die ziehen von Wohnung zu Wohnung. Die kennt schon jeder von uns.
Die Schulung zum Gerichtsvollzieher ist an keine Vorkenntnisse oder Ausbildung gebunden und nach etwa einem Jahr beendet. In Linz dauert es im Schnitt 52 Tage, bis ein Akt erledigt ist, und pro Monat werden in der Landeshauptstadt 14 Wohnungen behördlich geräumt. Für Kindesabnahmen gibt es speziell geschulte Gerichtsvollzieher. Gepfändete Gegenstände, die vom Verpflichteten nicht zurückgekauft werden, kommen in der Regel zur Versteigerung: www.justiz-auktion.at.
Sie sagten, es ist das ungute Gefühl, dass man nicht weiß, was hinter der Tür ist.
Einmal fanden wir Schlangen, und das Terrarium war offen – zum Glück war es so kalt in der Wohnung, dass sie sich nicht rührten. Vermüllte Wohnungen oder welche, in denen Drogen-Spritzen herumliegen, sind nicht selten. Ich ziehe nie die Schuhe aus. Außerdem schaue ich mir genau an, wie die Wege zur Tür sind – und dass diese nicht verschlossen wird. Als Fluchtweg im Notfall.
Kommen Sie nur unter der Woche? ‘
Nein, ich teile mir die Zeit selbst ein. Gerne bin ich Samstagnachmittag oder am Sonntag unterwegs. Da sind die Leute entspannter.
Aber skurril ist es sicher auch manchmal.
Einmal rief mich eine Frau an, bei der ich kurz zuvor war, sie habe jetzt die Cannabisernte verkauft und könne die Schulden bezahlen. Ich rief die Polizei. Hätte ich das Geld genommen, wäre es Amtsmissbrauch gewesen.
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