Einst wurde ihre Familie in Südafrika umgesiedelt, weil diese nicht weiß war, nun ist sie in Vorarlberg heimisch: Nashia Waggie. Mit Autor Robert Schneider spricht sie - unter anderem - über ihre Erinnerungen an die Apartheid.
Sie erzählt ihre bewegte Lebensgeschichte mit leiser, ruhiger Stimme, in der sehr viel Melodiöses liegt. „Ich habe mein Leben lang mich selbst gesucht“, sagt Nashia Waggie, die Südafrikanerin aus Kapstadt, die im Jahr 1986 nach Vorarlberg kam. Ihre reizvollen, malaiischen Gesichtszüge vermitteln etwas von jenem ethnischen Schmelztiegel, in den sie hineingeboren wurde. Es war der so genannte „District Six“, ein multikultureller Stadtteil von Cape Town, in dem 60.000 Menschen unterschiedlicher Ethnien in einer friedlichen, bunten Gemeinschaft lebten, bis die Apartheids-Regierung Mitte der Sechziger Jahre den Bezirk „For Whites only“ deklarierte.
Nashia Waggie ging damals gerade in die Volksschule, als ihre gesamte Familie unter haltlosen Vorwänden umgesiedelt wurde, weil die Weißen in der „City Bowl“ unter ihresgleichen bleiben wollten. Der ganze Stadtteil wurde schließlich mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, nachdem die Ortsansässigen gezwungen worden waren, ihre Häuser und Grundstücke zu Spottpreisen an die Regierung zu veräußern. „Da wurden so viele Familien und Freundschaften auseinandergerissen. Es war eine schreckliche Zeit.“
Robert Schneider: Frau Waggie, was haben Ihre Eltern gearbeitet?
Nashia Waggie: Meine Eltern waren Geschäftsleute. General dealer. Die führten so eine Art Spar-Laden, wie man hier sagen würde.
Können Sie sich noch direkt an die Apartheid erinnern?
Natürlich! Ich habe als kleines Mädchen nie verstanden, weshalb mein Vater oder meine Mutter einem weißen Schnösel von sechzehn Jahren mit „Yes, Boss“ oder „No, Boss“ geantwortet haben. Wenn wir spazieren gingen, haben die Eltern über so jemanden gewitzelt. Warum aber im Geschäft plötzlich so anders? Dieses Servile, Devote ging mir nie in den Kopf. Bis ich - und das erst viele Jahre später - gemerkt habe, dass dieses Devote auch in mir steckte. Ich habe es einfach von Zuhause mitbekommen.
Als Ihre Familie aus dem „District Six“ vertrieben wurde, wo kamen Sie unter?
Die Regierung hat auf unbebautem Gebiet am Rand der Stadt, also ganz weit draußen, so genannte „Cape Flats“ für die Farbigen errichten lassen. Das waren schnell hingezimmerte Schuhschachteln. Mein Vater hatte die Option, dort eine große Baracke zu kaufen, wo er dann wieder seine Art Spar-Laden eröffnet hat. Der Laden war unten. Wir, die Großfamilie mit sechs Kindern, wohnten oben. Es war das überhaupt einzige Geschäft im Umkreis von zig Kilometern. Meine Eltern haben nur geschuftet. Rund um die Uhr. Vor dem Laden standen endlose Menschenschlangen, schon um vier, fünf Uhr morgens, weil sie weite Wege zur Arbeit hatten. Meine Mutter hat sich wirklich zu Tode gearbeitet. Sehen Sie, ich bekomme Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Es war eine schlimme Zeit.
Mussten Sie im Laden mitarbeiten?
Nein, meine Aufgabe war es, für die Eltern und die Geschwister zu kochen. Daher kommt es, dass ich dann viele Jahre später hier in Bregenz ein kleines Restaurant eröffnet habe. Ich kenne mich mit Gewürzen aus.
Aber Sie konnten weiterhin die Schule besuchen?
Ja. Die Regierung hat es nicht gekümmert, ob wir eine Schule besuchen. Am liebsten wäre denen gewesen, dass wir gar nicht unterrichtet werden, sondern Analphabeten bleiben. Aber ich habe Matura gemacht und wollte studieren gehen. Mein Vater hatte da eine andere Meinung, und so habe ich zehn Jahre lang in einer Bank gearbeitet. Wie sagt man? Am Geldwechselschalter. Ja, und da habe ich meinen Mann kennengelernt, von dem ich aber heute geschieden bin. Er stammte aus Lustenau, war Textildesigner. Das war zur Zeit der großen Unruhen. Für mich sehr gefährlich, weil es ein Gesetz gab, den „Immorality Act“, der mir verbot, mit einem Weißen zusammen zu sein.
Wie war Ihr Ankommen in Vorarlberg?
Ich kannte Österreich nicht, hatte keinerlei Erwartungen, dachte höchstens, es wird auf jeden Fall besser sein als in Südafrika. Aber nach einiger Zeit musste ich feststellen, dass es hier auch eine Art von Apartheid gab, wenn auch versteckt. Ich brachte nämlich auch meinen dreijährigen Sohn, den ich aus einer früheren Beziehung hatte, mit nach Lustenau. Das war 1986. Als er in den Kindergarten ging, kamen lauter neugierige Eltern, um sich das „Negerbüable“ anzuschauen. Das war wirklich so. Dann glaubten die Leute auch, dass ich kein Deutsch verstehe und redeten in aller Offenheit unschöne Dinge über mich. Was sie jedoch nicht wussten, war, dass ich Afrikaans spreche, was mit dem Deutschen sehr verwandt ist. Ich verstand also alles. Oh, die ersten Jahre war ich sehr isoliert. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich mir einen Freundeskreis aufbauen konnte. Heute kann ich sagen, dass ich mich hier wohl fühle.
Hatten Sie Heimweh?
Sehr oft. Aber ich wäre nie mehr wieder nach Südafrika zurückgekehrt. Das war für mich wie ein Gesetz. Ich hatte Heimweh nach der Offenheit im „District Six“, nach dem Leben draußen, nach der Herzlichkeit, die dort unter Freunden, Bekannten, in der Nachbarschaft herrschte. Es war wie eine große Familie.
Haben Sie hier einen Job gesucht?
Nach der Trennung musste ich ja arbeiten gehen. Ich bekam noch einen zweiten Sohn. Ich war Putzhilfe in einem großen Fotogeschäft. Immer nachts. Das wurde mir zu viel, weil ich ja zwei Buben großziehen musste. Dann war ich vierzehn Jahre lang Betreuerin in einem Kindergarten in Dornbirn und schließlich machte ich die Konzessionsprüfung im Gastgewerbe. Durch Zufall wurde in Bregenz eine kleine Örtlichkeit frei. Ich habe sie renoviert, ein paar Tische reingestellt und Afrikanische Küche angeboten. Das lief sehr gut. Es war immer voll. Acht Jahre lang bis zur Pensionierung.
Wie hat sich Südafrika verändert?
Ich war das letzte Mal im Jahr 2017 vier Wochen lang in Kapstadt. Etwas sehr Merkwürdiges ist passiert. Es gibt dort jetzt weiße Slums. Viele Weiße haben so gut wie keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt tatsächlich eine weiße Armut. Das wäre gar nicht im Sinne Mandelas gewesen.
Meine obligate letzte Frage: Wo sind Sie daheim?
Wenn ich mich in mir selbst wohlfühle.
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