Autos vom Bosporus

So wichtig ist die Türkei schon jetzt als Autoland

Motor
28.07.2023 05:00

Wer an die großen Autonationen denkt, dem fallen Länder wie die USA, China oder Deutschland ein. Die Türkei haben nur wenige auf dem Schirm. Dabei blickt das Land am Bosporus auf eine lange Tradition im Autobau zurück und hofft auf eine grünere Zukunft.

(Bild: kmm)

Das Land am Bosporus hat sich bereits seit 1920 vornehmlich als verlängerte Werkbank westlicher Automobilhersteller einen Namen in der Branche gemacht. Schon 1929 eröffnete die Ford Company in Istanbul eine Produktionsstätte, in der Pkws und Lastwagen hergestellt wurden. In den 1960ern startete Otosan die Produktion von Automobilen und Anadol brachte das erste türkische Auto.

Heute werden Modelle von Opel, Ford, Renault, Hyundai, Honda und Toyota in der Türkei gefertigt. Dazu stellen Firmen wie MAN, Isuzu oder Karsan Lkws und Busse her. Die insgesamt 15 in der Türkei produzierenden Marken verfügen über eine Produktionskapazität von 2,5 Millionen Fahrzeugen.

Türkei will in die Top 10 der Autobauer
Stand heute ist die Türkei weltweit die Nummer 13 und will bis 2030 unter die Top 10 der größten Fahrzeugproduzenten. Hinter Großbritannien sind die Türken bereits zweitgrößter Importeur in die EU. 2022 kamen 626.000 Fahrzeuge aus türkischer Produktion auf die Märkte der Europäischen Union. Wichtigstes Exportland ist Deutschland, die türkische Automobilindustrie führte vergangenes Jahr Waren im Wert von 4,38 Milliarden US-Dollar (rund 4 Milliarden Euro) in die Bundesrepublik ein.

Für das Selbstverständnis der Türken als aufstrebende Autonation reicht das allerdings noch nicht. Vom alten und neuen Machthaber Recep Erdogan angeordnet, soll die Türkei in Zukunft auch als Produzent eigener Fahrzeuge international Gehör finden. Dafür brauchte es ein Leuchtturmprojekt.

Togg T10X (Bild: FrontRowSociety.net)
Togg T10X
(Bild: FrontRowSociety.net)
(Bild: Togg)
(Bild: Togg)
(Bild: Togg)
(Bild: Togg)

Mit dem Ziel, das erste türkische E-Auto zu bauen, wurde im Juni 2018 die Automarke Togg gegründet. Ein Konsortium aus fünf Schwergewichten der türkischen Wirtschaft, jeweils die größten ihrer Branchen, investierte rund 3,5 Milliarden Euro in die neue Marke und verzichtet 15 Jahre auf Dividenden. Weitere 2,2 Milliarden Euro fließen in die Batteriezellen-Fertigung des neu gegründeten Joint-Ventures „Siro“ mit dem chinesischen Akku-Hersteller Farasis Energy.

Im Oktober 2022 fiel der Startschuss für die hochmoderne Fertigungsanlage in Gemlik, nahe der Industriestadt Bursa, die quasi auf dem einsamen Feld aus dem Boden gestampft wurde. Auf einem Areal von 1,2 Millionen Quadratmetern werden hier später mal im Dreischicht-System 175.000 Fahrzeuge pro Jahr gebaut. Fünf Modelle sind geplant und können parallel vom Band laufen.

Erstes E-Auto der Türkei: Der Togg T10X
Das erste, ein 4,60 Meter langer SUV, eingekleidet von Pininfarina, entert in diesen Tagen die Straßen der Türkei. Der Togg T10X trägt den Stolz einer ganzen Nation zur Schau. Das Prestige-Projekt wird vom 85-Millionen-Volk fast schon euphorisch willkommen geheißen. Trotz Wirtschaftskrise, Rekordinflation und einer im Prinzip nicht vorhandenen Ladeinfrastruktur liefen in nur zwölf Tagen über 177.000 Bestellungen für das rund 50.000 Euro teure E-SUV ein.

Um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen, musste zu jeder Order ein Scheck über 3000 Euro beigelegt werden. 20.000 Fahrzeuge gingen im Losverfahren an Kunden. Der Togg T10X startet zunächst in der Heimat und kommt ab Ende 2024 nach Skandinavien. Ab Anfang 2025 soll das Deutschland-Debüt erfolgen, bereits ungeduldig erwartet von fast drei Millionen Einwohnern türkischer Herkunft. Nicht nur in Deutschland könnte der Patriotismus Togg eine veritable Starhilfe leisten.

„Silicon Valley der Türkei“
Die Keimzelle von Togg und im Prinzip aller Aktivitäten der türkischen Automobilwirtschaft ist der rund zwei Millionen Quadratmeter große Industriepark Tosb auf dem asiatischen Teil der Türkei, etwa eine Autostunde entfernt von Istanbul. Rund 90 Firmen können 80 Prozent eines Fahrzeugs herstellen. 1,5 Prozent der Gesamtexporte der Türkei werden hier bei Tosb von rund 25.000 Mitarbeitern erwirtschaftet. Als „Silicon Valley der Türkei“ bezeichnet, verfügt das Areal über ein Hotel, einen Kindergarten, eine Berufsschule und eine Klinik. Gegründet wurde Tosb vor zwanzig Jahren von der Taysad, der Automotive Suppliers Association of Turkey, die hier auch ihr Headquarter hat. „Wir unterstützen Start-ups und arbeiten eng mit den Behörden zusammen, entschlacken so die Bürokratie“, sagt Taysad-Urgestein Alper Kanca, dessen Vater einst Tosb mitbegründete. „Vom Antrag eines neuen Unternehmens bis zur Genehmigung dauert es oft nur zwei Wochen“, so Kanca.

Fokus auf Verbrennern - noch ...
Firmen aus Deutschland, Korea, Schweden und Japan stellen im Industriepark zumeist Teile und Zubehör für Modelle her, die in der Türkei vom Band laufen. Wenn hier was schiefläuft, steht die komplette türkische Fahrzeugproduktion still.

Noch liegt der Fokus der Fahrzeugproduktion deutlich auf Verbrenner-Modellen. Doch die Wende ist bereits eingeleitet. Der aktuelle Taysad-CEO Albert Saydam ist sich sicher: „Mit Togg kam der Zug in Bewegung.“ So produziert Toyota seine Hybrid-Modelle für Europa bereits hauptsächlich in der Türkei. Manager der Japaner bestätigen unter der Hand, dass hier in den türkischen Fabriken weltweit die beste Qualität abgeliefert wird.

Luxussteuer von 95 Prozent
Albert Saydam schätzt, dass eine Million reine Elektrofahrzeuge in der Türkei innerhalb von drei Jahren möglich sind, zumal die Türkei bereits heute fast 55 Prozent ihres Stroms über erneuerbare Energien generiert. Voraussetzung für den Erfolg von E-Autos sei der Ausbau der Ladeinfrastruktur auf landesweit mindestens 180.000 öffentliche Ladepunkte, finanziert auch über private Investoren. Derzeit gibt es lediglich ein paar Tausend, vornehmlich in Ballungsräumen wie Istanbul oder Ankara. Zudem müsse der Staat die horrenden Luxus-Steuern auf Neuwagen von teilweise über 95 Prozent auf den Neupreis drastisch runterschrauben, empfiehlt Saydam. Auch um die eigenen Modelle vor chinesischen Anbietern zu schützen. Dann könnte aus dem kleinen grünen Pflänzchen am Bosporus ein ganz Großes werden. (SPX)

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