Problem Klimawandel

Kampf um Ressourcen: „Europa ist nicht isoliert“

Ausland
08.07.2023 20:52

Helga Schmid ist Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), so etwas wie einer europäischen UNO. Beim Gipfel der Mitgliedsstaaten in Wien stand der Klimawandel als Sicherheitsproblem im Mittelpunkt. Kriege wie der gegen die Ukraine hinterlassen einen militärischen CO2-Fußabdruck. Im „Krone“-Interview sprach sie über die drängendsten Probleme.

Am 3. Juli 1973 wurde die „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ eröffnet, aus der später die OSZE hervorging. Die Organisation feiert also bald ihren 50. Jahrestag. Ist Ihnen nach Feiern zumute? 
Aufgrund der geopolitischen Lage gibt es international generell nicht viel Grund zu feiern. Und wir als Organisation haben auch unsere Probleme. Seit 2021 haben wir keinen verabschiedeten Haushalt. Aber wir haben uns wirklich sehr schnell angepasst. Viele Programme werden mittlerweile extrabudgetär finanziert. Auch beim Thema Klimawandel. Wir haben in einer Analyse im OSZE-Raum 42 Hotspots identifiziert, die stark vom Klimawandel betroffen sind. In Zentralasien schmelzen etwa die Gletscher vor unseren Augen weg. Der Rückgang in den letzten Jahren betrug 25 Prozent. In der Region gibt es ein dramatisches Problem mit der Wasserversorgung. Viele dieser Probleme sind grenzübergreifend. Als OSZE bringen wir alle Länder und alle Ebenen an einen Tisch, denn eine Lösung kann nur gemeinsam gefunden werden.

OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid (Bild: OSZE)
OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid

In der OSZE muss bei Projekten Einstimmigkeit herrschen. Ist man sich zum Beispiel beim Thema Klimawandel als Sicherheitsproblem? Ist man sich da einig?
Ja. Der Klimawandel wurde schon in der Konferenz-Schlussakte von 1975 erwähnt. Das war sehr weitsichtig. Aber wir haben vor allen Dingen die Ministerentscheidung vom Dezember 2021 zum Klimawandel. Das ist unsere Arbeitsgrundlage und die ist von allen 57 Mitgliedern verabschiedet worden.

Die OSZE hat ihr Hauptquartier in Wien (Bild: AP)
Die OSZE hat ihr Hauptquartier in Wien

Das Thema des Gipfels ist der Klimawandel und das Sicherheitsproblem. Was erwarten Sie sich?  
Es sind zweierlei Dinge. Zum einen zeigen, was wir als Organisation machen, worin unser Mehrwert besteht - in der Förderung regionaler Kooperationen. Ich bin sehr froh, dass wir zum Beispiel aus Zentralasien die fünf Umweltminister zu Gast haben. Aber es geht auch darum, die Auswirkungen von Konflikten auf die Klimaziele zu zeigen. Nehmen Sie den Krieg gegen die Ukraine - die Auswirkungen sind dann auch grenzüberschreitend.  Deshalb ist es gut, dass wir den Umweltminister aus der Ukraine, aber auch aus der benachbarten Republik Moldau in Wien zu Gast haben. Ich würde das dann gerne weiterentwickeln: Wie beeinträchtigen Konflikte unsere Klimaziele? Militärische Aktivitäten haben einen CO2-Fußabdruck, stoßen Emissionen aus. Aber die Ukraine war auch auf einem guten Weg bei erneuerbarer Energie. Durch den Krieg wurden 90 Prozent der Windkraftanlagen und 50 Prozent der Solaranlagen vom Netz genommen. Da kann kein Klimaziel erreicht werden. 

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch den Krieg gegen die Ukraine ist eine der größten, menschgemachten Katastrophen (Bild: Ukrainian Presidential Office via AP)
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch den Krieg gegen die Ukraine ist eine der größten, menschgemachten Katastrophen

Hat der Krieg in der Ukraine jetzt das Thema befeuert? Wäre der Gipfel zustande gekommen, wenn wir den Krieg in der Ukraine nicht gehabt hätten?
Die Antwort ist ja. Das Problem Klimawandel war von Anfang an auf dem Radar. Denn unser Mehrwert als OSZE ist, dass wir auch Länder an einen Tisch bringen, die vielleicht nicht unbedingt immer freundschaftliche Beziehungen haben. Wir definieren Sicherheit nicht nur politisch-militärisch, sondern auch wirtschaftlich, ökologisch und in der sogenannten „menschlichen Dimension“. Das ist sicherlich in den letzten Jahren wichtiger geworden. Wahrscheinlich auch, weil man hier am eigenen Leib die extremen Wetterkonditionen erfahren hat. Denken Sie an die Flut in Deutschland vor zwei Jahren, die ganze Dörfer weggeschwemmt hat.

Der Krieg hinterlässt einen „militärischen CO2-Abdruck“ (Bild: AP)
Der Krieg hinterlässt einen „militärischen CO2-Abdruck“

Welche sicherheitstechnischen Auswirkungen erwarten Sie für Zentraleuropa? 
Der Klimawandel ist für uns alle ein Problem, vor allem in seinen Auswirkungen. Es gibt Analysen, dass zum Beispiel Gebiete im afrikanischen Sahel in wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein werden. In Zentralasien gibt es ein massives Wasserproblem. Der Kampf um Ressourcen wird zu Konflikten führen. Das hat dann auch Auswirkungen auf uns. Europa ist da nicht isoliert. 

Der Klimawandel verstärkt die Fluchtursachen. Das betrifft auch Europa. (Bild: AFP)
Der Klimawandel verstärkt die Fluchtursachen. Das betrifft auch Europa.

Auf welche Widerstände stoßen Sie? 
Beim Klimawandel auf wenige. Als ich 2008, damals noch für die EU, einen Bericht zu Klimawandel und Sicherheit erarbeitet habe, wurden wir noch gefragt, ob wir den Klimawandel jetzt militarisieren wollten. Aber heute ist der Zusammenhang hinlänglich bekannt. Der Klimawandel ist vor allem ein Multiplikator von Krisen.

Naturkatastrophen wie Dürre nehmen zu (Bild: APA/AFP/ARINDAM DEY)
Naturkatastrophen wie Dürre nehmen zu

Gibt es eigentlich irgendwelche guten Neuigkeiten? 
Die gute Neuigkeit ist, dass der Klimawandel heute allgemein als große existenzielle Bedrohung anerkannt ist. Und dass viele sich wirklich engagieren, auch wir als Organisation unseren Beitrag leisten. Und viele unserer Teilnehmerstaaten sind bereits sehr engagiert. Der Präsident der Mongolei hat beispielsweise ein Projekt gestartet, bis 2030 eine Milliarde Bäume zu pflanzen.

Wo sind Frauen überproportional betroffen und wie kann man sie mehr ins Spiel bringen? 
Im Wasserbereich, Energiebereich, auch neue Energien, machen wir Berufs-Ausbildungsprogramme und Fortbildungen für Frauen in Zentralasien, um den Frauenanteil in diesen Arbeitsbereichen zu erhöhen. Die werden sehr gut akzeptiert. Und Frauen müssen auch mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Bei Friedensverhandlungen oder Mediationsprozessen ist der Anteil der Frauen immer noch sehr gering. Der Anteil von Frauen, die an Abkommen beteiligt sind, ist unter 10 Prozent. Es ist jedoch empirisch belegbar, dass wenn Frauen an Friedensverhandlungen beteiligt sind, es eine 35 Prozent größere Chance gibt, dass diese halten.

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