In Buch versteckt

Erotisches Gedicht aus 16. Jahrhundert zufällig entdeckt

Wissenschaft
15.12.2011 16:49
Ein leidenschaftliches und für die damalige Zeit sehr erotisches Liebesgedicht aus dem 16. Jahrhundert wurde durch puren Zufall in der Bibliothek der West Virginia University entdeckt. Jetzt haben Wissenschaftler nicht nur die Autorin, sondern auch die Hintergründe des in Latein verfassten Gedichts entschlüsselt. Dahinter steckt die Schwärmerei einer Schülerin für ihren Lehrer.

Vor etwa 450 Jahren, als England sich in einem blutigen Religionskonflikt befand, schrieb die katholische Elizabeth Dacre das Gedicht für Anthony Cooke, einen Lehrer des damaligen Königs Edward VI., dem Nachfolger des legendären Heinrich VIII. Cooke war Protestant, verheiratet und laut historischen Dokumenten wohl 23 Jahre älter als Elizabeth. 

Entdeckt wurde das Gedicht in einem Buch des englischen Dichters Geoffrey Chaucer, der durch als Verfasser der "Canterbury Tales" berühmt wurde. Elaine Treharne, Professorin an der Universität Florida, war als Gastvortragende an der West Virginia University, als sie das Gedicht zufällig unter dem Deckel des Chaucer-Buches entdeckte. Gemeinsam mit ihren Kollegen übersetzte sie das lateinische Gedicht und identifizierte Elizabeth Dacre als Verfasserin.

"Das ist kein normales Liebesgedicht"
Hinter den anzüglichen Zeilen dürfte allerdings nicht mehr als die Schwärmerei einer Schülerin für ihren Lehrer stecken. Denn Cooke unterrichtete nicht nur den Sohn des Königs, der nach dem Tod seines Vaters bereits als Neunjähriger den Thron bestieg. Er war auch der Erzieher vieler Töchter aus Londons Adelshäusern, darunter vermutlich auch Elizabeth. Damals hieß sie noch Leybourne, im Jahr 1555, als Königin Mary den Thron besiegt und Cooke ins Exil ging, heiratete Elizabeth Lord Thomas Dacre. Da sie das Gedicht bereits mit "Dacre" signierte, dürfte sie es nach ihrer Eheschließung beendet haben.

Im ersten Teil bezieht sich Elizabeth scheinbar auf jene Zeit, als Cooke unter der Regentschaft der katholischen Königin Mary I. 1553 im Londoner Tower inhaftiert war und anschließend ins Exil geschickt wurde. Später zitiert sie in den leidenschaftlicheren Passagen auch immer wieder den römischen Dichter Martial. "Das ist kein normales Liebesgedicht, wie es Frauen in der damaligen Zeit schrieben. Es ist schon sehr eindeutig", betont Treharne in einer Aussendung der West Virginia University. 

Keine Hinweise auf weitere Begegnungen
Nach dem Tod von Thomas Dacre im Jahr 1566 sollte Elizabeth übrigens zu einer der mächtigsten Frauen in England aufsteigen. Sie heiratete den Herzog von Northfolk, Thomas Howard, und gewann so Land und Einfluss. Ihr angebeteter Lehrer Anthony Cooke kehrte bereits 1558 aus dem Exil zurück, mittlerweile verwitwet. Hinweise auf eine weitere Begegnung oder gar eine Liebesaffäre mit Elizabeth gebe es aber nicht, so Treharne. Dennoch hat Elizabeth das Gedicht aufbewahrt. Treharne: "Es ist wundervoll: schön und traurig zugleich. Ich glaube, sie war ganz schön verliebt in ihren Lehrer."

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