„Krone“-Interview

John Kerry: „Wir führen bereits Kriege um Wasser!“

Ausland
09.07.2023 05:55

Der frühere US-Außenminister und Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten John Kerry war als Sonderbeauftragter in Sachen Klimafragen von US-Präsident Joe Biden beim Gipfel der OSZE in Wien. Der „Krone“ gewährte er ein Interview zum Thema Klimawandel als weltweites Sicherheitsrisiko. Fragen zu Russland, Donald Trump oder China wollte der 79-Jährige nicht beantworten.

„Krone“:Sie haben hier in Wien 2015 als US-Außenminister den Iran-Atomdeal mitverhandelt. Heute kämpfen Sie gegen den Klimawandel. Das Nuklearabkommen ist gescheitert. Wovon geht mehr Gefahr aus?
John Kerry: Die Bedrohung durch die Klimakrise ist genauso ein Kampf um die Zukunft wie alles andere, mit dem wir jemals konfrontiert waren - und abhängig von den Entscheidungen, die wir jetzt treffen. Aber sie hat das Potenzial, noch ernster zu werden. Millionen von Menschen leiden und sterben jedes Jahr. Wir zerstören die Zukunftsaussichten künftiger Generationen, weil wir bisher nicht bereit waren, gemeinsam die Willenskraft aufzubringen, das zu tun, was uns die Wissenschaft und die Beweise sagen.

Der spätere UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali warnte 1985: „Kriege der Zukunft werden um Wasser geführt.“ Wie lange, denken Sie, wird es noch dauern, bis er recht hat?
 Wir haben bereits zahlreiche Konflikte, die um Wasser geführt werden. In Afrika, in Südasien. Wasser ist in vielen Regionen bereits Mangelware und ein Multiplikator von Krisen. Wenn es zu massiven Dürreperioden kommt, führt das unweigerlich zu Migration. Das ist in verschiedenen Teilen der Welt bereits zu sehen.

Boutros Boutros-Ghali am 1. Jänner 1992 bei seiner Antrittsrede vor den Vereinten Nationen (Bild: AP)
Boutros Boutros-Ghali am 1. Jänner 1992 bei seiner Antrittsrede vor den Vereinten Nationen

Wir haben zahlreiche Krisen, wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Dadurch gerät das Thema Klimawandel wieder ins Hintertreffen. Welche Maßnahmen müssen jetzt gesetzt werden? 
Kein Land sollte glauben, dass das Thema Klimawandel ins Hintertreffen gerät. Es ist brandaktuell. Es passiert jeden Tag. Es führt kein Weg daran vorbei, und wir dürfen uns im Kampf dagegen keine Pause gönnen. Wir fallen bereits zurück, auch wenn vielversprechende Dinge passieren. Aber wir müssen sie viel schneller und in größerem Maßstab hervorbringen, um der Herausforderung gewachsen zu sein. Denn wir stehen gerade am Abgrund. Das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung ist gefährdet. Jedes Versäumnis beginnt exponentiell viel teurer zu werden und wird eine viel größere Belastung für die Menschheit sein.

Aber viele Maßnahmen werden immer wieder verschoben, etwa der Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie. Aus Rücksicht auf die globale Wirtschaft, der in Krisenzeiten sonst der Kollaps droht. Das Argument hört man oft. Wir stolpern aber gerade von einer Krise in die nächste. Wir drehen uns doch im Kreis. 
Nicht alle. Vielen ist absolut klar, was getan werden muss und wie es getan werden muss. Aber es gibt andere Menschen, deren Interessen finanziell oder anderweitig auf dem Spiel stehen könnten. Oder die aus verschiedenen Gründen den Status quo bevorzugen. Weil sie Veränderungen fürchten und sich wehren. Unterm Strich gibt es 20 der größten Volkswirtschaften der Welt, die für fast 80% aller Emissionen verantwortlich sind. Wenn sie diese dazu bringen können, schneller auf erneuerbare Energie umzustellen, dann könnten sie den tiefgreifendsten positiven Einfluss auf diese Krise haben.

Wasser als Mangelware - im afrikanischen Somalia etwa stehen Menschen lange an für einen Kanister voll Wasser. (Bild: AP)
Wasser als Mangelware - im afrikanischen Somalia etwa stehen Menschen lange an für einen Kanister voll Wasser.

Bis 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Ohne Eingriffe wird man auch das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Wie lange noch, bis auf den Alltag der Menschen korrigierend eingegriffen werden muss? Geburtenkontrolle, nur noch einmal pro Woche Fleisch, autofreie Tage etc.? 
Niemand, weder ich noch Präsident Joe Biden, will das Leben von irgendjemandem kontrollieren oder in das Leben eingreifen. Was wir versuchen, ist, Anreize zu schaffen. Jedes Versäumnis kommt uns teuer zu stehen. Wir dürfen nicht mehr warten. Die wirtschaftlichen Vorteile, die verfügbaren Arbeitsplätze, die Übergangsinitiativen, die neuen Technologien werden für bessere Gesundheit, weniger Krankheiten, mehr Sicherheit sorgen. Die Vorteile einer schnelleren Umstellung überwiegen also bei Weitem. Andernfalls ist die Ernährungssicherheit gefährdet.

Wird es autofreie Tage gebe müssen? (Bild: Christian Jauschowetz)
Wird es autofreie Tage gebe müssen?

Sie sind großer Fußball-Fan. 2026 ist die WM in den USA, Kanada und Mexiko. Was ist Ihrer Meinung nach wahrscheinlicher: Die USA gewinnen die Fußball-WM oder die Welt schafft das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung?
Das ist unmöglich zu beantworten (lacht).

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