Live in der Stadthalle

Der Wu-Tang Clan lieferte Wien Hip-Hop-Geschichte

Wien
12.07.2023 01:22

Fast in Bestbesetzung lieferten die New Yorker Hip-Hop-Pioniere des Wu-Tang Clan am Dienstagabend vor 14.000 Fans in der Wiener Stadthalle eine feurige Nostalgieshow ab, bei der die Stimmung nicht nur aufgrund der Sommerhitze am Überkochen war. Ein Wiedersehen des Clan in dieser Form ist eher unrealistisch - so erlebten die Anwesenden Musikgeschichte.

Wenn der Clan mit seiner Karawane durch die Lande zieht, weiß man nie so genau, was man kriegt. Das letzte Stelldichein der New Yorker Hip-Hop-Pioniere Wu-Tang Clan datiert aus dem Frühling 2015 und fand am Open-Air-Gelände der Wiener Arena statt. Alteingesessene Fans und neugierige Spätstarter waren enttäuscht. 30 Minuten Verspätung, das Fehlen von RZA, Method Man und Raekwon und dann auch noch eine ziemlich lustlose Performance, die der Historie dieser Band nicht im Ansatz gerecht wurde. Doch diese Art von „Fuck-You-Attitüde“ gehört zur Marke. Interne Streitereien, wilde Drogengeschichten, hier und da ein bisschen kriminell und der grazile Seiltanz auf dem schmalen Grat der Legalität - all das, wovon heute die meisten Autotune-Rapper großspurig singen, während sie abseits der Bühne im stickigen Keller beim World-Of-Warcraft-Marathon auf die Limo von der Mama warten, passierte an der Ostküste wirklich.

Bandboss RZA gab das Tempo vor (Bild: Andreas Graf)
Bandboss RZA gab das Tempo vor

Doppeltes Jubiläum
Der Großteil des Clans hat kommerziell wesentlich ertragreichere Solokarrieren gestartet, doch in den gar nicht so behutsamen Kokon des Anbeginns zurückzukehren, ist immer wieder eine schöne Sache. Rund 14.000 Fans waren jedenfalls optimistisch und kauften sich eine Karte für die ambitionierte Stadthallen-Show - ein überraschender Erfolg auf allen Linien. Geklingelt hat dabei nicht nur das Börserl, sondern auch das Trommelfell. Bis auf den wankelmütigsten aller Clan-Mitglieder, den schwer greifbaren Method Man, haben sich tatsächlich alle Kultmusiker eingefunden, um 30 Jahre Debütalbum „Enter The Wu-Tang (36 Chambers)“ und 50 Jahre Hip-Hop zu feiern. Bandleader RZA spricht schon früh im Set auf das Jubiläum an, seine Kollegen schießen mit ihm eine feurige Version des Klassikers „Wu-Tang Clan Ain’t Nuthing Ta F‘ Wit“ nach und die Menge kocht schon nach einer knappen Viertelstunde.

Raekwon (Bild: Andreas Graf)
Raekwon

Die herbe Mischung aus kathartischer Sommerhitze, übermäßigem Bier- und Prosecco-Konsum und übertrieben spazieren getragenem Selbstvertrauen führt zu einer ziemlich toxischen Testosteron-Combo, die sich in der Halle gleich mehrmals entlädt. Die eine oder andere Prügelei, verbales Primitiv-Gegockel und bitterböse Blicke inklusive. „Ain’t Nuthing Ta F‘ Wit“ auch auf den Stehplätzen, ein bisschen mehr Entspannung hätte dem Abend nicht geschadet. Der Clan selbst kriegt das freilich nicht mit und falls ja, ist es ihm egal. Eine sechsköpfige Band mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug unterstützt das wilde Treiben, die MCs geben sich an der Front das Klinkenkabel in die Hand und zeigen auch im gesetzten Alter Feuer. Der poetische GZA geht schon steil auf die 60 zu, ist aber immer noch mit einer beneidenswerten Fitness gesegnet.

Mit Spaß und Botschaft zum Erfolg. (Bild: Andreas Graf)
Mit Spaß und Botschaft zum Erfolg.

Ost oder West - Hauptsache Küste
Ol‘ Dirty Bastard, OG und unvergessenes Gründungsmitglied, wird 19 Jahre nach seinem viel zu frühen Tod immer wieder mit Bild- und Videoeinspielungen auf der Leinwand gehuldigt. Beim Clan gibt es kein Autotune, keine gleichförmige Trap-Snare und die dicke Hose ist angenehmerweise nicht mit stumpfem Sexismus gefüllt. Old-School bedeutet einfach drauflosrappen. Durchdacht und eloquent, aber ohne gängige Struktur oder aufbauende Refrains. Klassiker wie „Protect Ya Neck“, „C.R.E.A.M.“ oder „Shimmy Shimmy Ya“ werden mit Inbrunst im klassisch dürftigen Stadthallen-Sound auf die Fans losgelassen. Derweil flimmern auf der vergleichsweise kleinen Videowall nostalgische Erinnerungen und holprige 3D-Animationen. Der Bandschriftzug tuckert in Star-Wars-Manier über den Screen. Was früher eine Todsünde war, ist heute wuascht. „Egal ob ihr East- oder Westcoast seid, ihr seid alle Teil des Clans“. Auch ein Rüpel wie RZA findet im gesetzten Alter seinen Frieden.

Masta Killa (Bild: Andreas Graf)
Masta Killa

Die Magie des Clans liegt an diesem Abend nicht nur in seiner (nahezu) kompletten Ausformung, sondern vor allem daran, dass man sich seit jeher jeglichen Trends und Strömungen der Szene erwehrt und gerade deshalb nicht in die gefährlich weit geöffnete Boomer-Falle tappt. Die Wu-Tang-Jungs zitieren sich mit großer Liebe selbst, tauchen tief in die Nostalgie ein und vergessen dabei nicht, dass man als Ursuppe und Idol für alle anderen auf sture Beharrlichkeit und Vertrauen in die früheren Qualitäten setzen muss. Auf die eher wenig beachteten neuen Alben der letzten Jahre verzichtet man in wohliger Voraussicht, dafür erleben die Baggyhosen-tragenden Mittvierziger samt schiefer Basecap und ausgelatschten DC Shoes ihren dritten Rap-Frühling und grooven sich so lange ein, bis die Bandscheiben doch wieder kurz zwicken.

Ghostface Killah (Bild: Andreas Graf)
Ghostface Killah

Musikhistorisch
Auf der Bühne lässt der Clan 80 Minuten lange keine Zweifel an seiner Vorherrschaft aufkommen. „For Heavens Sake“, „Got Your Money“ und das Millenniums-Hitstück „Gravel Pit“ treiben die ermatteten Fans in der hitzigen Halle noch einmal zu Höchstleistungen an. Das Medley zum Outro ist mit Nirvana-Versatzstücken und unverständlichem Querbeet-Gerappe dann etwas zu viel des Guten, doch Clan und Fans ist das weithin egal. Auf Kultrapper Nas mussten die Rap-Anhänger leider verzichten, die extrem populären JID und Denzel Curry von der jüngeren Rap-Generation ersetzten ihn aber würdig. Für einen hoch motivierten Wu-Tang Clan in beinahe Bestbesetzung kann man schlussendlich auch über Kinderkrankheiten um den Auftritt herum hinwegsehen. Die Band in dieser Fülle wird man hierzulande wohl eher nicht mehr zu Gesicht bekommen, weshalb der Auftritt ein musikhistorisches Odeur versprüht. Wu-Tang forever? Ja, gerne.

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