Comeback-Album

Saint Privat: Wenn sich zwei Kulturen spiegeln

Wien
15.07.2023 15:00

Eineinhalb Dekaden war das frankophile Wiener Jazz-Pop-Projekt Saint Privat verschwunden, doch nun haben Valérie Sajdik und Klaus Waldeck wieder Lust am gemeinsamen Musizieren. Auf ihrem Drittwerk „Après la Bohème“ schließen sie den Kreis zu früher und klingen trotzdem zeitgemäß. Im gemeinsamen Interview spannen die beiden den Bogen über ihre Karriere und ihre unterschiedlichen Leben - stets verknüpft mit der Musik.

Treffen sich zwei studierte Juristen auf einer Hochzeit und beschließen, ein frankophiles Musikprojekt zu gründen. Was eigentlich nach dem Beginn eines lahmen Flachwitzes klingt, wurde rund um das Millennium zur mehr als erfolgreichen Realität. Der Wiener Klangbastler und Elektronik-Liebhaber Klaus Waldeck und die Sängerin Valérie Sajdik trafen sich tatsächlich in besagtem Szenario, fanden kreativen Gefallen aneinander und riefen kurzerhand das Projekt Saint Privat ins Leben. Benannt nach einer 400-Seelen-Gemeinde in der französischen Präfektur Toulouse, wo Sajdik seit vielen Jahren neben Wien auch lebt, kreierte man auf den beiden Alben „Riviera“ (2004) und „Superflu“ (2006) leichtfüßig-romantischen Elektro-Pop mit Chanson- und Bossa-Einschlag, der sich nicht nur gut verkaufte, sondern den beiden 2005 sogar einen Amadeus bescherte.

Die Dinge nahmen ihren Lauf
Die Gemeinschaft der beiden war erfolgreich, aber kurz. Sajdik orientierte sich einst stärker Richtung Deutschpop, Waldeck fand sein Heil in Jazz-orientierteren Kompositionen. Erst Jahre später nehmen die beiden, außerhalb des Projekts Saint Privat, die Django-Reinhardt-Nummer „Coucou“ auf Französisch auf und gerieten wieder häufiger in Kontakt. „Das ging nicht von heute auf morgen, denn wir waren alle in anderen Projekten aktiv“, erzählt Waldeck im gemeinsamen „Krone“-Gespräch, „Valérie hat mich dann aber angerufen, um Saint Privat wiederzubeleben und so nahmen die Dinge langsam ihren Lauf.“ Ende 2020 begann man - mit der nötigen Corona-Distanz - wieder an der gemeinschaftlichen Arbeit, gut zweieinhalb Jahre später ist das Comebackalbum „Après la Bohème“ nun fertig.

„Die Aufnahmen für unser Debütalbum waren so leicht wie ein Urlaubsspaziergang“, erinnert sich Sajdik knapp zwei Dekaden zurück, „ich habe mich gefragt, ob wir dieses Gefühl reproduzierten könnten. Einfach ins Studio gehen und schauen, was passiert. Klaus schickte mir Ideen von seinem Diktafon zu und ich fertigte die ersten Textnotizen. Zuerst haben wir ohne Verpflichtung ein paar Demos gemacht, uns dann aber ein bisschen selbst unter Druck gesetzt, damit auch wirklich etwas daraus entsteht. Wir haben ganz klassisch mit allen Instrumenten im Studio aufgenommen.“ Das Album entstand schlussendlich weniger aus einer klaren Vision, denn aus dem richtigen Gespür für die Musik. „Es ist viel textlastiger als die beiden Vorgänger, weil Klaus mir viel Raum dafür gegeben hat. Es gibt zwar zwei Lieder, in denen ich nur Silben singe, aber auch die transportieren eine wortlose Geschichte.“

Sprung zwischen den Welten
Wie schon der Albumtitel „Après la Bohème“, also „Nach der Bohème“, vermittelt, geht es um die Verbindung aus Vergangenheit und Gegenwart. So sieht man die beiden Musiker auf dem Cover-Artwork jung, im weiteren Verlauf des Booklets aber gegenwärtig abgebildet. Ein zeitliches Spiel, das ihnen einen inhaltlichen Leitfaden vermittelte. „Wir haben das Projekt vor exakt 20 Jahren begonnen und waren dementsprechend jünger und aktiver“, so Sajdik, „später gründete ich eine Familie und jeder ging seinen Weg. Das Album spielt ein bisschen mit dem Sprung zwischen dem künstlerischen Lotterleben von damals und der gutbürgerlichen Welt, in der wir uns heute bewegen. Es spiegelt unsere Anfänge wider und beleuchtet den Weg, den wir bis hierher gingen.“ Schlussendlich geht es, wie schon auf den beiden früheren Saint-Privat-Alben, um das Doppelbödige.

„Der Blick hinter die Fassade, wo man sich selbst demontiert. Auf ,Riviera‘ sah man vorne die schönen Perlenketten und auf der Rückseite die Preisschilder und die wilde Frisur. Hier sieht man uns vorne jung und hungrig und dahinter in unserer gegenwärtigen Verkörperung des ,Spießigen‘, wenn man so will. Es weiß ja niemand so genau, was die Bohéme eigentlich ist und wir definieren den Begriff für uns selbst einfach wieder ganz neu.“ Musikalisch changiert das späte Drittwerk des von einer Studioband verstärkten Duos zwischen sanftem Pop, Chanson-Anleihen, leichten Ausflügen in den Jazz und vielen sonnigen Momenten, die sich vor allem durch die positive Klangfarbe entfalten. Mit der Single „Boom, Boom, Click!“ schlagen Saint Privat noch einmal eine Brücke zur Vergangenheit - auch wenn das den beiden eine Zeit lang überhaupt nicht bewusst war.

Der Kreis schließt sich
„In dem Song geht es um Claudine Longet, die im echten Leben - absichtlich oder unabsichtlich - ihren Lover erschossen hat und durch einen juristischen Verfahrensfehler nur einen Monat im Gefängnis verbrachte. Selbst das nur an den Wochenenden. Mit ihrem Anwalt von damals ist sie noch heute verheiratet.“ Der Song „Nothing To Lose im Peter-Sellers-Film „The Party“ einst von Longet gesungen, war die allererste Nummer, die Saint Privat vor 20 Jahren aufnahmen. „Es war wie Schicksal, dass wir damit völlig unbewusst wieder einen Kreis geschlossen haben.“ „Boom, Boom, Click!“ ertönt mittlerweile in der Netflix-Serie „Emily In Paris“ - der ältere Song „Poisson Rouge“ landete Jahre nach seinem Entstehen im Hollywood-Film „Nur ein kleiner Gefallen“. Diese cineastischen Querverstrebungen freuen vor allem Waldeck, bekennender Filmliebhaber mit einem starken Hang zu Pierre Richard oder Louis de Funès.

Weitere Parallelen zu früher gibt es in der grundsätzlichen Ausrichtung. „Bestimmte Themen ziehen sich bei uns immer durch. Etwa die heile Welt, die nach außen hin immer so perfekt wirkt, aber ihre inneren Risse in der Fassade hat. Durch eine plötzliche Wendung im Leben wird diese Welt durchgerüttelt und man erkennt die Perfidie des Menschen. Diese Brüche im Alltag faszinieren uns ungemein.“ Ganz im Gegensatz zu früher ist der CD-Verkauf für Saint Privat verschwindend gering und Streaming prägnant. Ein doppelschneidiges Schwert. Sajdik freut sich, dass Saint Privat nun schrankenlos allen Menschen auf der Welt zur Verfügung steht, Waldeck fehlt durch die Streamingkultur mittlerweile das Alleinstellungsmerkmal des Künstlers. „Man identifiziert sich nicht mehr mit den Interpreten, sondern hört Playlists. Das hat sich zu früher stark gewandelt.“

Gegenseitiges Spiegeln
Die Zusammenarbeit mit einem Majorlabel in der ersten Karrierephase haben die beiden noch gut in Erinnerung, doch „Après la Bohème“ erscheint unabhängig auf Waldecks Label Dope Noir. Das Streben nach Freiheit hat sich vor allem bei Sajdik nicht zuletzt durch ihre vielen Jahre in Frankreich manifestiert. Die beiden Lebensrealitäten zwischen französischem Dorfleben und Wiener Großstadt lassen sich gar wundervoll verknüpfen. „Das ist der schöne Effekt von kultureller Aneignung“, so Sajdik, „mir ist es ein Anliegen, in meinen französischen Texten meine Identität und den Wiener Humor mitzutransportieren. Umgekehrt hat Klaus eine ganz bestimmte Sehnsucht nach dem Französischen. Wir spiegeln uns gegenseitig und können wohl auch deshalb so gut miteinander arbeiten.“ Mit „Après la Bohème“ sind Saint Privat voraussichtlich gekommen, um zu bleiben. Ganz so sicher kann man sich bei den beschäftigten Lebemenschen aber ohnehin nie sein.

Zweimal live in Wien
Am 14. und 15. September präsentieren Saint Privat ihr brandneues Album “Après la Bohème" live im Wiener Rabenhoftheater. Unter www.rabenhof.kartendirekt.at erhalten Sie Tickets und alle weiteren Informationen für die beiden Shows, bei der sicher auch so mancher Klassiker zum Besten gegeben wird.

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