Österreichs laxe Spionagegesetze werden immer häufiger zum Problem für die Republik, berichtet die „Financial Times“. Wien sei nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine erneut zur Spionagehauptstadt Europas geworden - ein Ende der Vertrauenskrise scheint nicht in Sicht.
„Wir haben schon lange auf diesen Missbrauch hingewiesen“, sagte NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper der Zeitung. Die aktuelle Situation sorge für Unmut auf internationaler Ebene. Österreichische Diplomaten würden laut dem Bericht immer häufiger geschnitten werden. Vor allem bei Treffen, wo es um Austausch von Informationen geht.
Es ist bekannt, dass Österreich traditionell ein Auge zudrückt, wenn es um verdeckte geheimdienstliche Aktivitäten auf heimischen Boden geht - solange das Ziel der Operationen nicht die österreichische Regierung ist. Doch die Situation scheint außer Kontrolle zu geraten.
Es ist fast schon komisch, wie viel man sich hier erlauben kann.
Westlicher Diplomat
Europäische Nationen haben seit Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine Hunderte von Putins Spionen, die häufig als Diplomaten getarnt sind, ausgewiesen. Zum Vergleich: Österreich hat bis jetzt nur vier aus dem Land geworfen. Hier herrscht seit Monaten Stillstand. Nach Angaben eines hochrangigen westlichen Geheimdienstmitarbeiters sind noch immer mehr als 180 russische Diplomaten in Wien akkreditiert. Viele weitere Spione würden sich aufgrund der laxen polizeilichen Kontrolle und Überwachung illegal im Land aufhalten.
Diplomaten amüsieren sich über Österreich
„Es ist wirklich der Wilde Westen“, sagte ein westlicher Diplomat der „Financial Times“, der sich selbst darüber wundert, was sich ausländische Nachrichtendienste in Österreich alles „leisten“ können. Er fügte hinzu: „Es ist fast schon komisch, wie viel man sich hier erlauben kann.“
Versuche der Opposition die aktuellen Gesetze zu verschärfen, wurden von der türkis-grünen Regierungskoalition bisher blockiert. Die Angelegenheit wird nun bis nach der Sommerpause vertagt. Die Regierung erklärte, sie benötige mehr Zeit für Konsultationen zwischen den Ressorts, bevor sie das Gesetz ändern könne, berichtet die „Financial Times“.
Mehr Ernsthaftigkeit täte der Sicherheitsdebatte in Österreich ganz offenbar gut. Bissl viel „Dritter Mann“ Nostalgie. Spionage ist in echt nicht so cool wie im Film. Schon gar nicht dann, wenn das Land, dessen Spione sich bei uns tummeln, gerade Krieg gegen den Westen führt.
— Beate Meinl-Reisinger (@BMeinl) February 3, 2023
Nach offiziellen Angaben der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) werden in der Republik vor allem Botschaften, Vereine, Kulturzentren, Presseagenturen, Fluggesellschaften oder andere Unternehmensstandorte unterwandert. Ein Grund dafür sei die Gesetzeslage, die „ein Operieren auf österreichischem Staatsgebiet aufgrund der vergleichsweise sehr niedrigen Strafdrohung attraktiv macht“, heißt es im jüngst veröffentlichten Verfassungsschutzbericht.
Republik sind gesetzlich die Hände gebunden
Die NEOS-Abgeordnete Krisper gibt hierfür ein Beispiel: Wenn Russland unseren Nachbar Deutschland oder eine andere verbündete Nation auf heimischen Boden ausspioniert, sind den Behörden die Hände gebunden. Warum? Weil dies nicht „zum Nachteil Österreichs geschieht“, lautet ein Teil des entsprechenden Gesetzestextes.
Gustav Gressel, ein ehemaliger österreichischer Militäroffizier, beschreibt es gegenüber der „Financial Times“ so: „Sie können im Grunde genommen Quellen rekrutieren und Informationen völlig unbehelligt exfiltrieren.“
Russland versteckt Aktivitäten gar nicht mehr
Russland macht sich offenbar nicht mal große Mühe, seine gesteigerte Aktivität vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die Dächer aller russischen diplomatischen Gebäude und Anlagen, sind mit Radaren, Kuppeln und merkwürdigen „Unterständen“ bedeckt - von denen einige erst in den letzten Monaten gebaut wurden.
Eine der „Hauptfunktionen des russischen Geheimdienstes in Wien scheint die Sammlung von Signalen zu sein“, und zwar in einem Ausmaß, das die Operation zum „wichtigsten des gesamten Netzwerks in Europa“ gemacht hat, so Thomas Riegler, ein österreichischer Geheimdiensthistoriker und Politikwissenschaftler, gegenüber der Zeitung. „Auf den Dächern fast aller russischen diplomatischen Einrichtungen befinden sich leistungsstarke Satellitenschüsseln. Sogar auf dem Dach des Kulturzentrums gibt es eine.“
Österreich vor Weltöffentlichkeit blamiert
Im Moment sei die österreichische Position in Europa peinlich, meint ein westlicher Geheimdienstmitarbeiter. Doch die aktive Verzögerung einer Gesetzesverschärfung durch die Regierung würde Österreich vor einer noch größeren Blamage bewahren: „Wenn sie das Gesetz ändern würden, müssten sie versuchen, es durchzusetzen - und Tatsache ist, dass sie das wahrscheinlich nicht können.“
Neben Österreich gilt auch die Schweiz als „Hochburg“ für Spionage. Laut dem schweizerischen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll von den 220 Personen, die in den russischen Vertretungen in Genf und Bern arbeiten, rund ein Drittel für russische Nachrichtendienste tätig sein. Putin würde zudem versuchen, über „verdeckte Kanäle“ Waffen aus der Schweiz zu kaufen, schreibt der NDB.
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