Maya Müller ist in Nepal inmitten von Reisfeldern aufgewachsen und dennoch hat die junge Frau den ersten Schnee erst gesehen, als sie mit ihrer noch kleinen Tochter zum ersten Mal nach Vorarlberg kam.
Bei Nepal denkt man an eine Hochgebirgsregion, den Himalaya mit dem Mount Everest und an andere gigantische Berge dieser Welt. Dass aber der Süden des Landes einen Teil der fruchtbaren Ganges-Tiefebene bildet, der nur wenige hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt und sich durch subtropisches Monsunklima auszeichnet, ist kaum bekannt. Aus diesem Landesteil, nämlich aus der Region Chitwan, stammt mein heutiger Interviewgast, Maya Müller, geb. Tamang. Sie ist inmitten von fruchtbaren Reisfeldern groß geworden. Eine verschneite Landschaft hat sie nie gesehen. Wie sich Schneeflocken auf der Haut anfühlen hat sie erst erlebt, als sie mit ihrer noch kleinen Tochter Smriti zum ersten Mal nach Vorarlberg kam. Das sei ein unglaubliches Erlebnis gewesen, erzählt Maya und lächelt dabei ein zauberhaftes, fernöstliches Lächeln.
Ich treffe sie und ihren Mann Elmar in deren Haus in Muntlix. Elmar, der bis zu seiner Pensionierung als Zollbeamter tätig war, hat in seiner Freizeit eine hübsche Gartenlandschaft aus Bambusgewerken geschaffen, mit künstlich angelegtem Bächlein und überdachter Sitzecke, eine Art Oase, in der seine Frau und deren Tochter etwas von jener Heimat erahnen können, aus der sie ursprünglich gekommen sind. Wo er so viele Bambusrohre aufgetrieben habe, frage ich, und Elmar antwortet knapp, er sei einfach zum Gärtner Gehringer nach Rankweil gefahren. Der habe Bambus in rauen Mengen gehabt. Und die große Sitzecke, die habe er in Wien gekauft. Weil sie so groß war, habe er natürlich auch ein ordentliches Vordach aus Bambus bauen müssen.
Robert Schneider: Maya, wie waren die Verhältnisse, aus denen Sie kommen?
Maya Müller: Mein Opa war Bürgermeister des Dorfes, aus dem ich stamme, und mein Papa war ein einfacher Reisbauer. Leider ist er sehr jung gestorben. Ich bin die Älteste von insgesamt vier Kindern. Ich habe noch eine Schwester und zwei Brüder.
Die Mama lebt noch?
Ja, Gottseidank. Sie lebt wie meine übrigen Geschwister in Nepal. Zum Glück gibt es WhatsApp, wo wir uns austauschen können. Das ist schon toll. Wenn ich dran denke. Früher. Eine Minute telefonieren kostete einen Euro und sechzig Cent. Ich habe die High School, aber nicht die Matura, weil ich ganz jung geheiratet habe. Ich war erst sechzehn.
Durften Sie Ihren Mann selbst aussuchen oder hat das die Familie bestimmt?
Normalerweise bestimmt das die Familie. Aber ich war frech.
Sie haben den Mann geheiratet, den sie liebten.
Ob ich ihn geliebt habe, weiß ich nicht. Ich war so jung und hatte keine Ahnung vom Leben. Jedenfalls waren meine Eltern nicht damit einverstanden und haben ein Jahr lang nicht mehr mit mir gesprochen. Man muss allerdings dazu sagen, dass es eine sogenannte „Familienhochzeit“ war. Ohne Dokumente. Wenn ein Mann und eine Frau zusammenleben, gelten sie automatisch als verheiratet. Mit oder ohne Segen der Familie. Deswegen brauchte ich dann auch eine Nichtehelichkeitsbescheinigung, als ich den Elmar heiratete.
Mit Ihrem ersten Mann haben Sie eine Tochter. Wie haben Sie Elmar kennen gelernt?
Mein Ex-Mann arbeitete in Kambodscha. Wir haben uns jedoch getrennt. Ich blieb mit Smriti, unserer eineinhalbjährigen Tochter in Kambodscha und habe in einem Hotel als Köchin gearbeitet. Ja, und dort tauchte eines Tages Elmar als Rucksacktourist auf. Gemeinsam mit einem Arbeitskollegen, der dann später unser Trauzeuge geworden ist.
Wie? Liebe auf den ersten Blick?
Gar nicht! Ich sollte nur dolmetschen, weil ich die Einzige war, die Englisch konnte. Die beiden reisten dann weiter. Aber dann kam ein E-Mail aus Vorarlberg ins Hotel, wo ich arbeitete.
Die Begegnung mit Ihnen hat Elmar nicht losgelassen?
Ja, vermutlich. Jedenfalls richtete ich mir eine eigene Mailadresse ein. Ich hatte bis dahin noch gar keine eigene. So haben wir einander immer wieder geschrieben. Das war im Jahr 2001. Das mit dem Besuchsvisum war ein Mordsaufwand. In Kambodscha gab es ja keine österreichische Botschaft. Ich musste nach Bangkok. Am 12. März 2002 jedenfalls kam ich dann zum ersten Mal nach Vorarlberg. So nah habe ich verschneite Berge noch nie gesehen. Hier habe ich den Schnee kennen gelernt. Das war unbeschreiblich!
Vermutlich waren Sie die erste Nepalesin in Vorarlberg überhaupt.
Jedenfalls die, die hier sesshaft geworden ist.
Das war ziemlich mutig für eine junge Frau, sich so in fremde Hände zu geben.
Und noch dazu mit einer kleinen Tochter! Aber ich hatte wirklich Glück, in Elmar einen so anständigen und guten Mann zu treffen. Klar, meine Mama sagte, wenn es nicht gut gehe, könne ich meine Tochter jeder Zeit zu ihr geben. Aber Elmar meinte, dass ich ohne meine Tochter nicht glücklich wäre und wir alle nicht.
Das muss umgekehrt auch für Ihren Mann nicht einfach gewesen sein, sich mit einer nepalesischen Frau zu zeigen.
Ganz bestimmt. Er musste sich da viel Unverständnis und auch abschätzige Kommentare anhören. Zum Glück gelang es mir, mich sehr schnell zu integrieren, weil ich sofort bei der Arbeiterkammer einen Deutschkurs besucht habe. Auch durch meine Tochter, die ja hier in den Kindergarten und dann zur Schule gegangen ist. Sie ist jetzt 23 und studiert.
Also kein Heimweh?
Am Anfang schon. Ich habe die Mentalität nicht verstanden. Außerdem sind bei uns Zuhause die Türen immer offen. Man besucht die Nachbarn und Freunde, ohne vorher Termine abzusprechen. Das musste ich erst lernen. Auch das Lachen ist bei uns ganz normal und gehört einfach zu unserer Lebenseinstellung. Zum Glück sind wir jedes Jahr nach Nepal zu meiner Familie geflogen. Heute gibt es ja die modernen Medien wie Facebook. Da spielt Heimweh nicht mehr eine so große Rolle. Man kann sich ja gleich ein Bild schicken. Ich bin dort daheim, wo mein Mann und meine Tochter leben. Dort gehöre ich hin.
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