Unternehmer wüten
Anlocken und abzocken? Schikane à la Viktor Orbán
Kaum ein anderes Land in Europa hat aktuell so mit der Wirtschaft zu kämpfen wie Ungarn. Immer häufiger müssen für die hausgemachte Misere ausländische Investoren herhalten. Unternehmer wie Politiker kritisieren eine Schikane nach Orbáner Art: zuerst anlocken, dann abzocken.
Die Vize-Chefin des EU-Parlaments, Katarina Barley, warnt ausländische Firmen davor, in Ungarn unter Viktor Orbáns Regentschaft zu investieren. Wer die Gewinnzone erreicht, werde daraufhin von der ungarischen Regierung „drangsaliert“, erklärte die SPD-Politikerin dem „Münchner Merkur“ am Montag.
Die Methode sei immer die gleiche: „Es gibt zahlreiche Unternehmen - und es werden immer mehr - die erst von der ungarischen Regierung ins Land gelockt und dann abgezockt werden.“ Barley spricht von Sondersteuern „von bis zu 90 Prozent“, die auf die Gewinne der Unternehmen erhoben werden würden.
Unternehmer berichten von Schikane
Zudem berichteten Firmen von Drohungen gegen Mitarbeitende, sagte Barley. Mehrere Unternehmer haben bereits mangelnde Investitionssicherheit in Ungarn angeprangert. „Die Regierung greift alle Firmen an, die keine Beine haben, um wegzulaufen“, sagte der Vertreter eines Großkonzerns dem „Handelsblatt“. Ausländische Unternehmer seien über Jahre ins Land gelockt und nun zur Kasse gebeten worden.
Internationale Unternehmen in Ungarn, zu denen auch die OMV oder Spar gehören, stehen unter dem Eindruck, durch die Sondersteuern aus strategisch wichtigen Branchen hinausgepresst zu werden. Ausländische Investoren kritisieren, dass es bei Orbáns nationalistischer Kampagne nicht ausschließlich darum gehe, den Wohlstand im Land breiter zu verteilen. Vielmehr strebe er danach, Verbündete mit guten Investments zu beglücken, berichtet die Wirtschaftszeitung. Barley zufolge handele es sich dabei vor allem um Oligarchen.
Das führte im vergangenen Jahr dazu, dass die EU der Fidesz-Regierung Gelder in Milliardenhöhe aus dem europäischen Gemeinschaftshaushalt eingefroren hat. Für die eher arme ungarische Bevölkerung war das ein finanzieller Tiefschlag, die wirtschaftliche Lage im Land ist desolat.
Orbáns gescheiterte Preisdeckel
Kein anderer EU-Staat hat eine derart hohe Inflationsrate wie Ungarn. Im Juni 2023 waren es 20,1 Prozent. Der Autokrat versucht neben der Erhebung von Sondersteuern, die hohe Teuerungsrate mit Preisdeckeln unter Kontrolle zu bekommen. Bisher ohne Erfolg. Im Einzelhandel wurden etwa die Preise für Eier, Kartoffeln, Zucker, Mehl und Hühnerbrüste eingefroren.
Die Konsequenz: Die Regale mit den Grundnahrungsmitteln blieben leer oder mussten rationiert werden. Viele Ungarn sind aber auf diese „eingefrorenen“ Produkte angewiesen, weil sie sich nichts anderes mehr leisten können. Handelsketten versuchen, die Preisobergrenzen bei anderen Gütern auszugleichen. Die Inflationsrate im Lebensmittelbereich explodierte teilweise auf mehr als 44 Prozent. Im Mai waren es immerhin „nur noch“ 33 Prozent.
Besonders heftig waren die Turbulenzen am Benzinmarkt. Zwar wurde durch den Preisdeckel einerseits die Nachfrage beflügelt, andererseits drosselten die Ölfirmen das Angebot. Was dazu führte, dass Orbán die Regelung Ende 2022 wieder aufhob und die Preise seither gehörig angezogen haben.
Ende von Irrweg nicht in Sicht
Die wirtschaftlichen Probleme Ungarns wurzeln neben Russlands Angriffskrieg und Jahren der Pandemie in der Politik Orbáns, der seit 2010 an der Macht ist. Ein Beispiel: Vor der vergangenen Parlamentswahl beglückte der Nationalist Pensionisten, Familien mit Kindern und junge Erwachsene mit Wahlgeschenken im Wert von umgerechnet 4,5 Milliarden Euro. Die Einmalzahlungen hatten kurzfristig einen positiven Effekt auf die Kaufkraft, waren aber für die langfristige Preisentwicklung ein absolutes Horrorszenario.
Praktisch die gesamte Geldsumme floss in den Konsum, was die Teuerung dementsprechend anheizte. Das ausgezahlte Geld ist nun aufgebraucht und die ungarische Regierung - die von der heimischen FPÖ häufig als Vorbild genannt wird - kann aufgrund von Budgetdefiziten nichts nachschießen. Erstmals seit vielen Jahren sinken die Reallöhne in Ungarn wieder. Die schlecht konzipierten Preisdeckel verzerren das Marktgefüge und ausländische Investoren werden schikaniert. Wirtschaftsprognosen reihen 2023 sogar Russland vor Ungarn (siehe Grafik oben).
Selbst Nationalbank-Gouverneur György Matolcsy, der Orbán sehr nahesteht, musste im März bei einer Anhörung im ungarischen Parlament zugeben: Ein Ende des wirtschaftspolitischen Irrwegs ist nicht in Sicht.
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