Einen höchstpersönlichen und zuweilen kontroversen Blick auf den Heavy Metal und seine einzigartige Szene wagt der deutsche YouTuber und Musiker Ernie Fleetenkieker in seinem ersten Buch „Metal-Manifest“. Das ist nicht nur für Experten und Genre-Insider interessant, sondern gibt auch dem fragenden Außenstehenden einen Einblick in eine ganze besondere Welt.
Wer hier überhaupt zu lesen beginnt, kennt das sowieso - ohne Leidenschaft geht in der Musik absolut gar nichts. Weder als Musiker, noch als Produzent, Crewmitglied oder Fan. Nun gibt es aber gewisse Unterschiede im gar nicht mal so kleinen Detail. Unterschiede bei den Antworten auf die oft gestellte Frage: „Was hörst du denn eigentlich?“ Weniger leidenschaftliche Geister antworten dann mit „Musik“ oder „Radio“ und können in der Realität Harry Styles nicht von Shania Twain unterscheiden. Solange man die Musik spürt, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden, doch dann gibt es auch noch die anderen. Jene, die sich von so einer simplen Frage herausgefordert fühlen, in sich zu gehen, jedes Wort genau abzuwägen und im Notfall herzhaft darüber zu streiten. „Die kanadische War-Metal-Band Blasphemy in der Frühphase, als sie noch nicht einmal in Europa einreisen durften und Darkthrone noch im Death Metal verankert waren“ wäre Antwortmöglichkeit zwei und genau für diese Zunft wurde das „Metal-Manifest“ (Index Verlag) verfasst.
Frei von der Leber weg
Hinter dem so breiten, wie auch ambitionierten Projekt steckt der Norddeutsche Ernie Fleetenkieker, halb nach der „Sesamstraße“ und halb nach einem dort vorhandenen Pfeifentabak benannt, der eigentlich Benjamin Feddern heißt, 43 Jahre jung ist, im deutschen Black-Metal-Underground mit seiner Band Fäulnis und dem lebensbejahenden Pseudonym Seuche einige interessante bis starke Alben veröffentlichte. Mit seinem YouTube-Kanal „Krachmucker.tv“ vereinte er eine stattliche fünfstellige Anzahl an Abonnenten bei sich und hob dieses eher brachliegende Gebiet mit einer einzigartigen Mischung aus tiefem Genrewissen, zynischem Humor, norddeutscher Plattschnauze und sympathischer Kauzigkeit in neue Höhen empor. Sein herzhaft verfasstes Buch ist angenehmerweise so geschrieben, wie ihm in seinen Videos der Schnabel gewachsen ist. Das heißt, Situationskomik, Doppelbödigkeit und die eine oder andere Ausschweifung ins Nerdige muss man mögen, um sich auf den gut 360 Seiten zwischen den Hardcover-Buchdeckeln heimelig zu fühlen.
Fleetenkieker warnt schon am Buchrücken davor, weder Journalist zu sein, noch ein Sachbuch zu liefern, was aber nichts macht, denn Musik im Generellen und der Heavy Metal im Speziellen sind ohnehin immer subjektiv zu betrachten. Der Hamburger wählt somit einen völlig ungezwungenen Ansatz, der auch beim Lesen Spaß macht. Er springt in seiner wild trabenden Leidenschaft wie ein unzähmbarer Mustang von Grundinformation zu Insider-Detailreichtum, vermischt seine Liebe für Fantasy-Artworks mit seiner Vergangenheit als okkulter Teufelsanbeter und verbindet Geschichten aus seiner ganz und gar nicht immer lustigen Jugend als klassischer Außenseiter mit der geballten Kraft einer Szene, die auf Unwissende immer ein bisschen ungepflegt und rüpelhaft wirkt, zu einem großen Teil aber voller Liebe und Enthusiasmus steckt. Don’t judge a book by it’s cover - auch wenn Vorurteile sich manchmal doch gerne bestätigen.
Pure Leidenschaft
Einen so weitläufigen und unfassbaren Bereich wie jenen des Heavy Metal stringent festzumachen, ist ein zum Scheitern verurteiltes Projekt. Dessen ist sich Ernie bewusst und versucht erst gar nicht, seine Gedanken zu einem Kompendium zu formen. Es geht um Liebe, Lust und Leidenschaft für eine Musik, die mehr als nur ein Genre ist. Einer Musik, die noch physische Einheiten verkauft, die mit Lederjacken, Jeanskutten und Band-T-Shirts markante Uniformen förderte und die wie keine zweite vom Hochschulprofessor bis hin zum Schulwart mit einer detailreichen und leidenschaftlichen Genauigkeit diskutiert wird, wie nichts anderes auf dieser Welt. Besonders mitreißend ist das Buch für all jene - wie etwa den Verfasser dieser Zeilen - der sich in den Jugenderzählungen des Autors selbst wiederfindet.
Fleetenkieker hält aber auch nicht mit Kritik und unpopulären Meinungen hinterm Berg. Nicht nur werden Judas Priests „Painkiller“ oder Emperors „In The Nightside Eclipse“ zu Recht als bahnbrechende Jahrhundertalben gefeiert, der Autor weiß auch geschickt an der stählernen Patina zu kratzen. Etwa, wenn er das snobistische „Metal-Arschloch“ in seiner Gatekeeping-Funktion kritisiert, wenn er von Depressionen und mentalen Krankheiten abseits der Leidenschaftsmusik referiert oder den Metal mit Inbrunst gegen Vorverurteilungen und platte Analysen verteidigt. In seiner eigenen ausufernden Leidenschaft weiß Ernie ebenjene auch bei anderen herauszukitzeln. Sein Versuch, die schönste Leidenschaft der Welt zu erklären, bleibt offen und persönlich. Wer unter dem Maskottchen „Eddie“ an ein Schäfchen im Tierpark oder bei „Spiritual Healing“ an die nächste Yogamatte mit Matcha-Tee denkt, der sollte sich woanders noch schnell das nötige Basiswissen aneignen, denn auch wenn Ernie stets das große Ganze einzufangen versucht, reitet das Expertisen-Pferd immer wieder mit ihm durch. Angenehm für die Fortgeschrittenen, aber ein bisschen heftig für den Einsteiger.
Metal der Karpaten
Die größte Stärke am „Metal-Manifest“ ist nicht nur die austrabende Leidenschaft für jede Zeile, sondern auch der zeitgemäße Zugang zu kulturpolitischen Themen. Nazis wird ein Riegel vorgeschoben, ein eigenes Subkapitel widmet sich den Frauen im Metal abseits jeglicher Klischees und Ernie schafft es auch ganz gut, die stets aufkommenden Widersprüche aufs Tablett zu bringen, ohne sich selbst dabei auszunehmen. Schließlich und endlich sind Heavy Metal und Black Metal, die zwei klar definierten Hauptthemen dieses Werkes, auch Sammelbecken für so manch Fragwürdiges und Absurdes, mit dem Fleetenkieker locker und zwanglos ins Gericht geht. Die Welt des Heavy Metal ist eben wie die Karpaten: riesig und in seiner Gänze ungreifbar, aber auch dicht besiedelt und voller Gefahren. All das mit - einmal geht es noch - so viel Leidenschaft zu verpacken, erfordert ein besonderes Talent. Schon lange nicht mehr war ein Buch über die ehrlichste Musikrichtung der Welt derart kurzweilig.
Lesetermine in Graz und Wien
Ernie Fleetenkieker kommt im Zuge seiner Lesetour im Herbst übrigens auch zweimal nach Österreich. Am 3. November ist er erstmals im Grazer Club Q zu Gast, am 4. November beehrt er nach einem erfolgreichen Besuch im Vorjahr zum mittlerweile zweiten Mal das Wiener Escape. Die Karten für die Events gibt es unter Silent Bookings oder direkt bei den beiden Clubs zu kaufen.
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