60.000 Fans jubelten an einem heißen Sommerabend zum vielleicht letzten Mal in Österreich dem großen Bruce Springsteen zu. Der Boss und seine fantastische E Street Band sorgten mit Spielfreude, grandiosen Songs und der richtigen Portion Humor für einen unvergesslichen Abend.
Seit mittlerweile fast drei Monaten ist Bruce Springsteen auf großer Europa-Tour und spielt im Schnitt alle drei Tage jeweils drei Stunden - und das mit fast 74 Jahren. Der „Boss“ trägt seinen Spitznamen, obwohl einst aus anderen Gründen verliehen, völlig zurecht. Wohin er auch kommt, liefert er mit seiner 15-köpfigen E Street Band Abende für die Ewigkeit und sorgt schon im Vorfeld für Kreischalarm, wie sonst nur die jüngere Musikergeneration. Vor seiner Abfahrt zum Happel-Stadion musste nachmittags sogar der Platz vor seinem Innenstadt-Hotel abgesperrt werden, so wild ging es dort zu. Um nichts weniger wild sind die Konzertabende von Springsteen, auch wenn das musikalische Chaos mit fortlaufendem Alter einer kontrollierten Zugangsweise gewichen ist. So geht der Boss nicht mehr auf die auf Fanschildern montierten Songwünsche ein, sondern zieht sein Programm starrer durch.
Der Motor schnurrt
Die Setlist hat er im Laufe seiner Tour mehrmals adaptiert, verändert oder erweitert. Mit Aufkommen des Hochsommers wurden hier und da aber auch schon ein paar Nummern gestrichen, um der Altherrentruppe etwas Regeneration zu gewähren. Rund 60.000 Fans befinden sich im ausverkauften Prateroval und treten Dienstagabend zur Frühschicht an. Kurz nach 19 Uhr bittet Bruce - wie immer ohne Vorband - zum Tanz und bringt Werktätige damit zusätzlich ins Schwitzen. Nebenbei zeigen auch die Wiener Linien ihr gewohntes Sommergesicht und die U2 stockt über einen längeren Zeitraum hinweg beträchtlich. Der Motor der E Street Band hingegen schnurrt von Beginn weg fehlerfrei. Mit „No Surrender“, „Ghosts“ und „Prove It All Night“ leitet die Bande aus munteren Pensionären bei grellem Tageslicht in den Abend und beweist schnell, dass sie einmal mehr tadellos werkt.
Über alle Zweifel erhaben sind nicht nur die Bläser und Backgroundstimmen, sondern vor allem die drei zentralen Figuren neben dem Chef. Schlagzeuger Max Weinberg sieht zwar wie ein gediegener Steuerberater mit Golf-Jahreskarte aus, verdrischt seine Felle aber mit Wumms und Präzision. Der mit Fedora bestückte Nils Lofgren sorgt für die angestaubten und schrägeren Gitarrenlicks und darf beim famosen „Because The Night“ auch zu einem Solo samt Tanz antreten. Und dann wäre da noch Little Steven alias Steven Van Zandt. Gitarrist, Piraten-Look-A-Like und wichtigster Sidekick im Springsteen-Universum. Man könnte ihn auch die zweite Hälfte des Bosses nennen, denn die Kommunikation zwischen den beiden funktioniert verbal und nonverbal blind. Jeder Einsatz stimmt, der Wechselgesang ist von höchster Qualität und auch zum Schmähführen bleibt genug Zeit.
Die Herzen erspielt
Die gute Laune Springsteens fällt schon früh auf. Immer wieder grinst er freudig von den zwei wuchtigen Videowalls, beginnt bereits früh im Set auf direkte Tuchfühlung mit dem Publikum zu gehen und schenkt einem glücklichen Kind während des ersten großen Abendhighlights, „My Promised Land“, kurzerhand seine Mundharmonika. Die Magie eines Springsteen-Konzerts besteht aus der Mischung aus seinem hemdsärmeligen Charisma, den grandiosen Liedern und seiner fehlerfreien, mit unheimlich viel Freude und Motivation agierenden E Street Band. Das Wiener Publikum braucht zwar etwas Zeit, um richtig in Fahrt zu kommen, doch ab der zweiten Konzerthälfte des fast dreistündigen Treibens brechen nicht nur bei den Hartgesottenen zusehends die Dämme. Die Amerikaner haben sich die Herzen endlich redlich erspielt.
Der 73-Jährige braucht keine opulenten Raketen, bunte Konfetti oder heiße Pyro-Effekte, sondern überzeugt schlichtweg mit seinem grandiosen Liedgut. Nach 50 Jahren Karriere könnte der Boss mühelos drei Sets spielen und es würde einem keine Sekunde langweilig werden. Country-Touch mit Midwest-Feeling bei „Darlington County“, die prägnanten Keyboards in „Kitty’s Back“ und das soulige Commodores-Cover „Nightshift“ geben einen Vorgeschmack auf den nicht enden wollenden Hit-Reigen der folgen sollte. Eine mitreißende Version von „Mary’s Place“ leitet über zum emotionalen Highlight „The River“, bei dem auch gestandenen Mannsbildern Tränen der Rührung/Freude/Nostalgie in die Augen schießen. Zu „Last Man Standing“ erzählt Bruce ergriffen die Geschichte seiner allerersten Band und dass er der allerletzte Überlebende aus dieser Zeit ist.
Segen oder Affront
Eine gewisse Wehmut lässt sich beim topfitten Frontmann nicht wegleugnen. In den wenigen Momenten, in denen er aktiv mit dem Publikum interagiert und in Konversation tritt, wabern immer ein kleines Stück Trauer und eine Prise Endlichkeit mit. Es ist nicht zuletzt der Songauswahl zu verdanken, dass die Gänsehaut- und Tränen-Momente nicht überhandnehmen. „Badlands“, „Wrecking Ball“ oder „Born To Run“ bringen immer wieder Stimmung, für den Zugabenteil dreht Springsteen sogar das komplette Stadionlicht an. Er will seine Jünger sehen und ihnen nahe sein. Heute feiern wir „Glory Days“, morgen gilt vielleicht schon wieder „Dancing In The Dark“. Das totgespielte „Born In The USA“ lässt der Boss weg, was so mancher als angenehm, andere wiederum als Affront empfinden. Dafür huldigt er während „Tenth Avenue Freeze-Out“ traditionell den verstorbenen Ex-Mitgliedern der E Street Band und verabschiedet sich solo und akustisch mit dem sanften „I’ll See You In My Dreams“.
Das Publikum bleibt beseelt und erfreut zurück. Für hiesige Verhältnisse hat sogar der Sound im Happel-Stadion gut mitgespielt und die Performance dieser einzigartigen Könner erwies sich als indiskutabel großartig. Drei weitere Europa-Auftritte stehen noch an, dann geht es in eine kurze Pause und bis Jahresende in Nordamerika weiter. Ob wir den „Boss“, der vor diesem glanzvollen Abend ganze elf Jahre lang nicht mehr in Österreich zu sehen war, noch einmal zu Gesicht bekommen, steht in den Sternen. Bei einem Auftritt in Schweden versprach er während einer Konzerteuphorie eine Rückkehr, doch der Zahn der Zeit nagt auch an dieser famosen Combo erbarmungslos weiter. Es bleibt auf jeden Fall die Erinnerung an diesen magischen Abend, der ohne Pomp und Firlefanz bewies, was man schon früher wusste: Das Notwendigste, nämlich die Musik, reicht völlig aus, wenn die Ausführenden sie beherrschen. Der Boss wird eben nicht umsonst so genannt.
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