Gondel-Stillstand

„Hätte in Katastrophe mit Toten enden können“

Tirol
19.07.2023 11:00

Brenzlige Szenen gab es am Dienstagnachmittag im Ski- und Wandergebiet Schlick 2000 im Tiroler Stubaital. Aufgrund eines technischen Defektes standen die Gondeln still, eine zum Glück leere Kabine donnerte sogar auf den Boden, etliche Wanderer samt Kindern saßen in den Gondeln fest - die „Krone“ berichtete. Jener Augenzeuge, mit dem die „Krone“ währenddessen in Kontakt stand, übt einen Tag später herbe Kritik: „Es hat nur wenig gefehlt und das Ganze wäre in einer Katastrophe mit vielen Toten und Schwerverletzten geendet.“

Ab ca. 15 Uhr saß der Tiroler, der anonym bleiben möchte, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Alter von zehn und 13 Jahren in der Gondel fest. „Wir haben das Unwetter von hier aus hautnah miterlebt. Das war wahrlich kein Spaß. Es hat uns gefühlt einen Meter nach links und nach rechts herumgeschleudert. Das war extrem beängstigend“, schilderte er am Dienstagnachmittag gegenüber der „Krone“. Über Lautsprecher, die an den Masten hingen, seien sie von den Verantwortlichen der Bergbahn auf dem Laufenden gehalten worden. „So haben wir unter anderem auch erfahren, dass das Führungsseil durch den Sturm, der mit mehr als 100 km/h durch die Luft fegte, entgleist ist“, erzählte er. Eine Gondel stürzte sogar zu Boden. „Sie war unbesetzt“, heißt es seitens der Exekutive.

Ausdrücklicher Dank an Retter Paul
Mehr als drei Stunden musste der Tiroler mit seiner Familie in der Gondel ausharren - so wie auch viele andere Betroffene in anderen Gondeln -, ehe die Situation gelöst wurde. „Gegen 18.30 Uhr wurden wir schließlich abgeseilt. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Paul bedanken, der mit seinen Bergretter-Kollegen trotz Sturms am Seil zu den Gondeln balancierte und alle festsitzenden Personen gerettet hat.“

Bei Regen und Sturm wurden die Betroffenen abgeseilt. (Bild: zVg)
Bei Regen und Sturm wurden die Betroffenen abgeseilt.
Ganze Äste blieben an den Gondeln hängen. (Bild: zVg)
Ganze Äste blieben an den Gondeln hängen.
Die Gondeln standen stundenlang still. (Bild: zVg)
Die Gondeln standen stundenlang still.
Auch ein Hubschrauber war im Einsatz. (Bild: zVg)
Auch ein Hubschrauber war im Einsatz.

„Kein Kriseninterventionsteam, keine Psychologen, nichts“
Einen Tag nach diesen schier unglaublichen Szenen äußert der Tiroler allerdings auch kritische Worte. „Trotz der Rettungsaktion bedarf es in derartigen Situationen eines umfassenden neuen Rettungskonzeptes. Es kann nicht sein, dass Erwachsene und Kinder, ja sogar Kleinkinder, in Gondeln bei weit über 100 km/h für mehr als zwei Stunden alleine gelassen werden“, betont er. Die Einsatzkräfte seien mit der Situation „massiv überfordert“ gewesen. „Wir wissen bis heute nicht, wann der erste Notruf eingegangen ist. Wir haben den ersten Anruf gegen 15.20 Uhr abgesetzt - also rund zehn Minuten nach Beginn des heftigen Unwetters“, erzählt der Betroffene. Es habe keine Kriseninterventionsteams gegeben, auch keine Psychologen und keinen Raum, in dem man nach der Bergung hätte herunterkommen können. 

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Was dieses Erlebnis mit Kindern macht, kann sich jeder ausmalen.

Der betroffene Tiroler

Doch dem noch nicht genug: „Es gab absolut kein Verständnis für die Situation all jener, die in den Gondeln festgesessen sind. Von einer Entschädigung ganz zu schweigen. Wir haben auch kein einziges Mal einen Verantwortlichen der Schlick 2000 gesehen, der uns beispielsweise nach der Rettungsaktion in Empfang genommen hat.“ Und: „Es haben nur wenige km/h gefehlt und das Ganze wäre in einer Katastrophe mit vielen Toten und Schwerverletzten geendet“, ist der Familienvater überzeugt. 

In seinen Augen benötige es in jeder Kabine einen Lautsprecher, denn nur so kann man die Durchsagen und Anweisungen auch bei einem derartig heftigen Sturm verstehen. „Und da war dann noch das Problem mit der Notdurft: Kleine Ursache, aber große Wirkung“, sagt der Tiroler. 

Runder Tisch mit Seilbahnbetreiber und Co. gefordert
Er würde sich „sehr gerne“ mit den Verantwortlichen zusammensetzen, auch mit dem Seilbahnsprecher Franz Hörl und mit den zuständigen Politikern im Landhaus. „Um ein umfassendes Krisenmanagement zu entwickeln. Wir saßen in jener Gondel, die an einer der exponiertesten Stellen der Schlick 2000 - rund zwei bis drei Minuten Fahrzeit vom Kreuzjoch - zum Stillstand gekommen ist. Ich könnte vieles beitragen“, betont der Tiroler, „was dieses Erlebnis mit den Kindern macht, kann sich jeder ausmalen. Auch viele der anderen Betroffenen haben Todesängste ausgestanden. Der nächste Orkan kommt bestimmt und ob das dann auch so ,glimpflich‘ für die Menschen ausgeht, wage ich zu bezweifeln. Mit der ,wird schon‘-Mentalität ist in einer Gondel bei einem derartig heftigen Sturm nichts zu holen. Es geht um Menschenleben. Das Gondelunglück von Italien war jedenfalls sehr präsent.“

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Ich möchte nicht der Betreiber sein, der tote Kinder bergen muss, weil die Rettungskräfte zu spät vor Ort waren und die Anwesenden falsch reagiert haben!

Der betroffene Tiroler

Und dann wird der Tiroler richtig direkt: „Es geht hier ganz klar um Menschenleben. Ich möchte nicht der Betreiber sein, der tote Kinder bergen muss, weil die Rettungskräfte zu spät vor Ort waren und die Anwesenden falsch reagiert haben!“

Seilbahn-Verantwortliche: „Die Rettungskette hat gut funktioniert“
Auf „Krone“-Nachfrage meldet sich auch die Geschäfts- und Betriebsleitung der Schlick 2000 zu Wort. „Nach dem Stillstand der Gondelbahn wurden laufend Durchsagen über die Lautsprecher auf den Streckenmasten eingespielt. In den einzelnen Gondeln befinden sich keine extra Lautsprecher, dieses System ist behördlich genehmigt und stellt keine Ausnahme dar. Durch den starken Wind kann es aber sein, dass die Durchsagen erschwert verstanden wurden“, heißt es.

Zudem wird betont, dass die Bergung „sofort eingeleitet“ geworden sei. „Diese war aber aufgrund des anhaltenden, starken Sturmes per Hubschrauber aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Somit mussten die Gäste aus den Gondeln vom Boden aus geborgen werden. Hier waren aufgrund der zahlreichen, umgestürzten Bäume die Zufahrtswege total blockiert und mussten zuerst mit Baggern freigeräumt werden. Dies hat einige Zeit in Anspruch genommen. Die Bergung war bis 20 Uhr abgeschlossen“, betonen die Verantwortlichen. Es seien sowohl ein Kriseninterventionsteam vor Ort als auch Bergrettung, Polizei, Feuerwehr, Notärzte und Versorgungsteams vor Ort gewesen. „Die Rettungskette hat auch laut allen Einsatzleitern gut funktioniert“, heißt es abschließend. 

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Hier waren aufgrund der zahlreichen, umgestürzten Bäume die Zufahrtswege total blockiert und mussten zuerst mit Baggern freigeräumt werden.

Die Geschäfts- und Betriebsleitung der Schlick 2000

Umgestürzter Baum streifte Gondel
Auch bei anderen Seilbahnen in Tirol war es aufgrund des Unwetters zu brenzligen Situationen gekommen. In Serfaus (Bezirk Landeck) streifte gegen 15 Uhr ein umgestürzter Baum eine besetzte Gondel und brachte diese zum Schaukeln. „Eine 31-jährige Belgierin in der Gondel wurde dabei am Fuß verletzt“, erklärt die Polizei. Und in der Zillertal Arena mussten Wanderer - wie berichtet - am Berg ausharren. Am frühen Nachmittag fiel dort der Strom aus, danach standen die Gondeln still.

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