„Krone“-Interview

Saint Agnes: Harte Klänge dienen der Katharsis

Musik
24.07.2023 09:00

Als Vorband von Monster Magnet überzeugte in der Wiener Szene unlängst das junge Kollektiv Saint Agnes. Mit seinem neuen Album „Bloodsuckers“ will das Quartett nun etwas Corona-verspätet den großen Durchbruch schaffen. Sängerin Kitty A. Austen und Gitarrist Jon Tufnell gaben uns nähere Einblicke in das brüchige Wesen der Band.

So mancher erinnert sich noch an die eigene Teenager-Zeit zurück oder macht gerade eine ähnliche Phase durch. Die Welt scheint wie aus den Angeln gehoben, man fühlt sich permanent missverstanden und weiß nicht so recht, wohin mit sich und seinem Leben. Für genau diese Phasen wurden Acts wie Korn, Marilyn Manson oder die Deftones ursprünglich ins Leben gerufen. Musik von Außenseitern für Außenseiter. Ein Safe Space für all jene, die sich vom Tempo und den Normen des Lebens abgehängt fühlen. 2014 trafen Sängerin Kitty A. Austen und Gitarrist Jon Tufnell in East London aufeinander und fühlten sich sofort verbunden. Kitty war bis dahin als Lola Colt im regionalen Underground unterwegs, Tufnell Mitglied des Lost Souls Club. „Ich ging vorher jedem auf die Nerven und war unglaublich schwierig“, erinnert sich Tufnell im „Krone“-Talk vor dem Auftritt mit Monster Magnet in der Wiener Szene daran zurück.

Am Sprung nach oben
„Ich fühlte mich nirgends zugehörig. Ich höre gerne Metal und Rock, merkte in den lokalen Metal-Pubs aber, dass die Leute in dieser Szene einfach nicht mein Fall sind. Es war ungeheuer hart zu bemerken, dass die Musik zwar die richtige war, ich mich in der Szene aber trotzdem nicht wohlfühlte.“ In Kitty A. Austen fand Tufnell eine Seelenverwandte. Der Sängerin sind Depressionen und Kämpfe gegen innere Dämonen nicht fremd, woraufhin die beiden die Band Saint Agnes gründeten und schnell zum Quartett anwuchsen. Mit dem 2019 veröffentlichten Album „Welcome To Silvertown“ und einer Mischung aus Industrial, Nu Metal, Groove und düsterem Rock mit sanften Goth-Anleihen war man auf dem Sprung nach oben - bis die Pandemie den Fahrtwind ausbremste. 2021 folgte mit „Vampire“ ein starkes Zweitwerk, dass die aufstrebende Band aber nicht ausreichend betouren konnte.

„Wir haben die Zukunft von Saint Agnes nie in Zweifel gezogen“, erklärt Austen, „aber wir leben diese Band wirklich zu 100 Prozent. Als die Lockdowns kamen, wurde uns der Boden unter den Füßen weggezogen und wir hinterfragten, ob wir überhaupt noch Musiker seien. Wir stellten unsere Identität infrage, weil wir wirklich alles in die Band werfen.“ Zur globalen Krise kam bei der sympathischen Frontfrau auch noch eine ausgewachsene persönliche hinzu. Als ihre geliebte Mutter starb, wurde Kitty noch einmal der Boden unter den Füßen weggezogen. In gewisser Weise war dieses tragische Ereignis aber auch der Startschuss für das nun erscheinende Drittwerk „Bloodsuckers“. Tufnell erinnert sich gut zurück: „Kitty musste etwas sagen und wir drei Jungs in der Band hatten den Job, ihren Emotionen und Ausdrücken so gut wie möglich zu dienen. All das hat uns gegenseitig noch näher gerückt.“

Todesfall als Zäsur
War vor der Pandemie bei aller gebotenen Ernsthaftigkeit noch immer genug Raum für Spaß und so manch alkoholische Exzesse, haben Saint Agnes die Zeiger ihrer Uhr auch dahingehend wieder auf null gedreht. „Der erste Tag unserer letzten England-Tour war der Tag, an dem Kittys Mutter starb. Sie kommt aus einer Musikerfamilie und alle haben ihr geraten, hinauszugehen und nicht daheim zu sitzen. Wir hatten keine Ahnung, ob und wie es klappen würde, aber sie hat es durchgezogen und wir alle sind unheimlich stolz auf sie.“ Bei den Aufnahmen zu „Bloodsuckers“ war die Sängerin wortwörtlich am Boden. „Manche Songs waren so intensiv, ich brach direkt nach dem Einsingen zusammen. Ich klammerte mich irgendwie ans Mikrofon und direkt danach verließen mich meine Kräfte. Es ist noch immer hart, diese Songs auf Platte zu hören, aber ich habe es durchgezogen.“

Tufnell stand in dieser Phase vor einer schwierigen Aufgabe. „Besonders der Song ,Animal‘ war unheimlich intensiv. Pures Chaos. Heftige, echte Emotionen. Kitty hat das Mikrofon an die Wand geschmissen, sank in sich zusammen und brach in Tränen aus. Die eine Hälfte meines Gehirns machte sich riesige Sorgen um sie, die andere war begeistert von dieser echten Emotion, die wir im Kasten hatten.“ Besonders beim emotionaleren und weichen „This Is Not The End“ steht die Sängerin live immer noch vor einer großen Herausforderung. „Ich spüre jeden Abend, jeden Ton. Ich sehe aber auch, dass unsere Fans genauso schlimme Zeiten durchmachen und den Song für sich interpretieren können. Wir sitzen alle zusammen im selben Boot und können uns dadurch in gewisser Weise trösten. Wenn ich diese Songs heute singe, dann verspüre ich eine gewisse Katharsis.“

Einfach arbeiten lassen
Auf „Bloodsuckers“ zitieren Saint Agnes auch stark sich und ihre Fans. „Follow You“ dreht sich um Freundschaft und das Zueinanderstehen, „Forever And Ever“ ist eine Art „Vampir-Love-Song“, der sich um eine starke Bande dreht, die über das irdische Verständnis hinausgeht. Auch da schließt sich wieder der Kreis zu Kittys Mutter, wie Tufnell erklärt. „Eine Beziehung zu jemandem endet ja nicht mit dem Tod, sondern hat darüber hinaus Bestand. Das Album mag in erster Linie düster und depressiv wirken, aber es hat auch seine lichten Momente.“ Entfernt zusammengearbeitet hat die Band mit Produzent Sean Beavan, der unter anderem auch für Nine Inch Nails „Pretty Hate Machine“ mitverantwortlich zeichnete. „Sean ließ uns einfach sein. Er hat verstanden, dass Saint Agnes am besten funktionieren, wenn man uns alle Freiheiten lässt. So arbeitete er früher auch schon mit Trent Reznor zusammen.“

Ein schwerer Schlag war unlängst auch die Trennung von Langzeitbassist Ben Chernett, der durch Ryan Brown ersetzt wurde. „Bei uns geht es mehr darum, die richtige Person und nicht den richtigen Musiker zu finden“, so Austen, „die Musik kann jeder erlernen, wenn er sich hineinhaut. Aber mit dem Menschen dahinter stundenlang in einem klapprigen Van zu sitzen, beschissene Gigs ohne Stimmung zu spielen oder angespannte Situationen zu überstehen, das ist es, worauf es am Ende ankommt.“ Benannt hat sich die Band übrigens nicht nach einer historischen Figur, sondern einem kleinen Surfer-Dorf in Cornwall im Süden Englands. „Es hat sich aber schon so verselbstständigt, dass manche Fans Agnes zu Kitty sagen“, lacht Tufnell. Mit „Bloodsuckers“ will die Band nun verspätet durchstarten und der harten Szene einen neuen Stempel aufdrücken. 2024 darf man auch wieder mit einem Live-Wiedersehen in Österreich rechnen.

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