Großer Personalmangel

Stehen Schulklassen im Herbst ohne Lehrer da?

Politik
20.07.2023 10:15

Die Lehrergewerkschaft geht angesichts des zunehmenden Personalmangels nicht davon aus, dass im kommenden Schuljahr alle Stunden gehalten werden können. Die Aussage von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) diesbezüglich, klingt für den obersten Lehrervertreter Paul Kimberger (FCG) aktuell „illusorisch“.

Schon im vorigen Schuljahr habe man - regional sehr unterschiedlich - an manchen Schulen nur mit großem Aufwand und vielen Provisorien den Unterricht einigermaßen aufrechterhalten können. In Wien gab es etwa über Monate Probleme, für alle Volksschulklassen fixes klassenführendes Personal zu finden. Dabei ist die Spitze des Lehrermangels laut Berechnungen der Gewerkschaft wegen der demografischen Entwicklung erst für 2027 zu erwarten. Gleichzeitig produziere das System in den Pflichtschulen durch die extreme Belastung des Lehrpersonals immer mehr Ausfälle, warnte Kimberger.

Dringende Maßnahmen gefordert
Wie stark der Personalmangel schlussendlich ausfallen wird, hänge davon ab, wie sich die Zahl der Lehramtsstudierenden und Quereinsteiger entwickelt, und welche Maßnahmen von Bildungsministerium und Ländern gesetzt werden, „um endlich wirksam und nachhaltig auf die extremen Situationen in unseren Schulen zu reagieren“, so der Lehrervertreter.

Schon Anfang Juli hat die Pflichtschullehrergewerkschaft der Bildungspolitik die Rute ins Fenster gestellt: Bei der letzten Bundesleitungssitzung wurde einstimmig eine Resolution mit Forderungen u.a. nach Maßnahmen gegen den Personalmangel, mehr Unterstützungspersonal, weniger Bürokratie und einem Stopp praxisuntauglicher Reformen beschlossen und mit Protestmaßnahmen bis zum Streik gedroht. „Wenn sich wirklich nichts tut, müssen wir uns entsprechende gewerkschaftliche Maßnahmen überlegen“, erneuerte Kimberger nun seine Warnung. Die nächste Bundesleitungssitzung mit Gewerkschaftern aus ganz Österreich ist zu Schulbeginn angesetzt.

Keine Entlastung - eher Gegenteil?
Die bisherigen Maßnahmen des Bildungsministeriums reichen Kimberger jedenfalls nicht. „Das sind sehr viele Ankündigungen, die an den Schulen bisher im Wesentlichen nicht die Wirksamkeit entfaltet haben, die wir uns erhoffen.“ Deshalb werde nun der Druck erhöht.

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Das sind sehr viele Ankündigungen, die an den Schulen bisher im Wesentlichen nicht die Wirksamkeit entfaltet haben, die wir uns erhoffen.

Paul Kimberger (Bild: Markus Wenzel)

Oberster Lehrervertreter Paul Kimberger (FCG)

So würden die Schulen immer noch erdrückt von Verwaltungsaufgaben. Die vom Ministerium mehrfach von den Bildungsdirektionen eingeforderte Entlastung sei bisher nicht an die Schulen weitergegeben worden, teilweise seien sogar neue Aufgaben dazugekommen. Kimberger verlangt deshalb für Herbst von Polaschek, die Entlastungsschritte per Erlass anzuordnen.

Kritik an „Qualitätssicherung"
Ausgemistet gehört aus Sicht der Gewerkschafter zudem bei der „sogenannten Qualitätssicherung“. Hier würden Papiere für Behörden erzeugt, die Schulen keinen konkreten Nutzen brächten. „Das können wir uns in einer Situation mit viel zu wenig Personal einfach nicht mehr leisten.“ Die Schulleiter sollten sich zudem um Personalentwicklung und gute Pädagogik kümmern und nicht um „irgendwelche Schulverwaltungsprogramme oder sinnlose Abfragen“.

Geld in die Hand nehmen!
Viel zu tun sei auch noch beim Unterstützungspersonal: Bei der neu geschaffenen Möglichkeit, über den Finanzausgleich vom Bund kofinanzierte Sekretariatskräfte, Schulsozialarbeiter und -psychologen anzustellen, stünden Länder auf der Bremse, „weil sie einfach nicht zahlen wollen“. Um das Arbeiten in der Schule attraktiver zu machen, sollten laut Kimberger auch die Gehälter für Lehr- wie Unterstützungspersonal angehoben werden. Diese sind für ihn nicht mehr konkurrenzfähig, in Regionen wie Vorarlberg oder an der Grenze zu Bayern drohe die Abwanderung ins Nachbarland.

Reform bei Ausbildung
Enttäuschend findet Kimberger, dass zur schon lange geforderten Reform der Lehrerausbildung weiter kein Beschluss vorliegt. Polaschek will die Novelle im Herbst vorlegen. Dadurch könnten die Hochschulen aber noch immer nicht mit Vorarbeiten für eine „effektivere, praxisnähere“ Ausbildung beginnen. Geplant ist, dass der Bachelor künftig drei statt vier und der Master zwei Jahre dauert, für die Sekundarstufe (Mittelschule, AHS, BMHS) wäre das eine Verkürzung um ein Jahr. Für Kimberger werden die Lehrer mit dem derzeitigen, „praxisfernen“ Modell nicht gut auf das Unterrichten vorbereitet, deshalb brauche es auch die „eigenartige“ Induktionsphase als Berufseinführungsjahr.

Um die Schulen schneller zu entlasten, fordert Kimberger zusätzlich zur Reform auch Umstiegsmöglichkeiten aus der bestehenden in die neue Ausbildungsform. „Es gibt hier intelligente Modelle, damit Ausbildung und Unterricht gut abgestimmt parallel laufen kann.“

Mehr Augenmerk auf Sonderpädagogik
Unbedingt notwendig wäre auch die Wiedereinführung einer eigenen Ausbildung in Sonderpädagogik (seit der Reform 2015 gibt es stattdessen einen Schwerpunkt Inklusion). Eine eigene Ausbildung sei wegen der Ausdifferenzierung des Bereichs „alternativlos“, dazu komme der große Personalmangel in dem Bereich.

Dabei würden nicht einmal alle Schüler mit Behinderung die benötigte Unterstützung bekommen, so Kimberger. Derzeit gibt es höchstens für 2,7 Prozent der Pflichtschüler, die wegen körperlicher oder psychischer Einschränkung spezielle Unterstützung im Unterricht benötigen, zusätzliche Mittel über den Finanzausgleich. Der tatsächliche Bedarf wird jedoch auf das Doppelte, in Ballungsräumen noch höher geschätzt. Allein um diese Kinder zu versorgen, wären 3000 zusätzliche Sonderpädagogen nötig, rechnet Kimberger vor. Er befürchtet allerdings, dass der Deckel auch im neuen Finanzausgleich erhalten bleiben wird, der aktuell verhandelt wird. Immerhin scheine sich alles nur um Gesundheit und Pflege zu drehen.

Lob für Quereinsteiger
Die neuen Quereinsteiger-Angebote für die Sekundarstufe bewertet Kimberger grundsätzlich positiv, jede zusätzliche Person bringe Entlastung. Er wünscht sich ein solches Modell aber auch für die Volksschulen, hier gebe es schließlich einen „eklatanten Mangel“. Welche Personen hier als Quereinsteiger infrage kämen, ließ Kimberger offen. Klar sei aber: „Das darf sicher kein Programm sein, um Elementarpädagoginnen abzuwerben.“ Immerhin hätten die Kindergärten selbst mit Engpässen zu kämpfen.

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