Nach dem Hype ist vor dem Hype - die US-Rocker Greta Van Fleet versuchen sich auf ihrem Drittwerk „Starcatcher“ endgültig und erfolgreich von den ewigen Led-Zeppelin-Vergleichen zu emanzipieren und wählen dafür eine bewusst rohe Herangehensweise. Doch merke: wer am Gipfel des Genres sitzt, dem nimmt man die Garage von früher nicht mehr so leicht ab.
Die Karriere der amerikanischen Rockband Greta Van Fleet passt eigentlich gar nicht mehr in die heutige Zeit. Als das Brüdertrio Kiszka samt Freund und Schlagzeuger Danny Wagner 2016 mit der Single „Highway Tune“ seinen breitflächigen Durchbruch feierte, wurde die üppig gefüllte Box der Superlative nicht nur geöffnet, sondern regelrecht zerfleddert. Wo die einen bei dieser Single (nicht ganz zu Unrecht) einen dreisten Led-Zeppelin-Rip-Off beanstandeten, freuten sich die anderen darüber, dass vier junge Burschen mit langen Haaren und dürren Körpern aus dem musikalischen Brachland Michigan plötzlich zur Rettung eines ganzen Genres beitragen sollten. Dass man nicht dauerhaft auf so breiten Schultern stehen kann, ist klar, doch Greta Van Fleet haben das Beste daraus gemacht und nach vielen Shows, Auszeichnungen und TV-Auftritten mit dem Debütalbum „Anthem Of The Peaceful Army“ 2018 die US-Rockcharts und vor allem die Herzen der Fans erobert.
Von der Ehrerbietung zur Progression
Ein knappes Jahr später folgte der bis dato immer noch einzige Österreich-Auftritt in der heuer kaum bespielten Metastadt in Transdanubien, bevor sich die mittlerweile zur A-Liga hochgespielten Jungerwachsenen ins Studio einschlossen, um mit dem Zweitwerk alle Grenzen zu sprengen. Am Druck von außen und wohl auch von innen wären Greta Van Fleet dann fast zerschellt. Das im Frühling 2021 veröffentlichte „The Battle At Garden’s Gate“ war wieder ein kommerzieller Erfolg, doch das Quartett wollte sich augenscheinlich besonders stark vom Ruf der frühen Tage wegbewegen und verstörte mit der klanglichen Kehrtwende so manchen Jimmy-Page-Enthusiasten. Anstatt anstandslosem 60er-Rock-Worship zu zelebrieren, fand man sein Heil im Progressiven. Die Yes- oder frühen Genesis-Einflüsse entfalteten mit der Zeit immer mehr Wirkung, doch das durch einige Erfolgssingles auf leichte Zugänge ausgerichtete Publikum musste erst einmal schwer durchatmen.
Auch wenn Greta Van Fleet aus ihrer Seele die Musik von gestern quetschen, müssen sie mit den Schwierigkeiten des Heute klarkommen. Auf gut Deutsch gesagt: Will man der permanent schrumpfenden Aufmerksamkeitsspanne der jungen Hörer dienen und sich lieber wieder ins gemachte Bett der frühen Songs legen, oder zieht man den Stiefel jetzt durch, büßt dafür vielleicht ein paar Mitläufer ein, entwickelt sich aber langsam zu einer ernsthaften und beständigen Rockband im obersten Bereich? Für „Starcatcher“ wollte die Band nach angeblich 250 ausverkauften Konzerten auf fünf Kontinenten und insgesamt rund einer Million verkaufter Konzerttickets wieder zurück zur Basis. Es ist nicht neu in der reichhaltigen Geschichte des Hard Rock, dass Musiker nach Jahren des ständigen Emporsteigens bewusst ihre Mitte suchen, um sich nicht vom Hype zerreiben zu lassen.
Widersprüchliche Rückbesinnung
„Starcatcher“ klingt im Titel bewusst hochtrabend, beruft sich klanglich aber tatsächlich auf die frühen Tage. „Zurück in die Garage“ war dabei das Motto der vier Vollblutmusiker, doch bei all den hehren Zielen und Wünschen darf man nicht vergessen, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vergleichbar sind. In die Garage gehen Greta Van Fleet anno 2023 nämlich als Multimillionäre und gestandene Rockstars. Die Garage riecht auch nicht mehr nach ranzigem Diesel, sondern trägt das Odeur einer Austern-Schlemmerei mit reichlich Sekt. Und einen Produzenten wie den US-Country-Helden Dave Cobb (u.a. Chris Stapleton oder Jason Isbell) hätte man sich in den Frühtagen natürlich nicht einmal im Ansatz leisten können. Wer über diese, zugegeben harmlosen, Widersprüchlichkeiten hinwegsehen kann, der kriegt auf „Starcatcher“ tatsächlich eine Band auf der Suche nach Rückbesinnung und sich selbst zu hören.
Das Graben nach der Identität wird mit diesem ambitionierten und vielleicht wegweisenden Drittwerk jedenfalls nicht beendet sein, dafür bleiben zu viele Fragen offen. Das Songmaterial ist so vielseitig und bunt wie nie zuvor ausgefallen und auch die Protagonisten haben sich verändert und sind gealtert. Sänger Josh Kiszka etwa dringt noch immer gerne leidenschaftlich in den himmelhohen Eunuchen-Gesangsbereich vor, versucht sich mittlerweile aber auch etwas staubiger. Der absolute Held des Albums ist aber - und Fans wissen das ohnehin schon länger - Gitarrist Jake Kiszka, der sich in den zehn Songs dermaßen versatil und aufgeschlossen präsentiert, dass es eine helle Freude ist. Mal klingt er nach Page, mal nach staubtrockener Las-Vegas-Wüste, dann wieder rotzig-britisch und zwischendurch sogar beschwingt südländisch. Durch die ständige Abwechslung kommt auch niemals Langeweile auf.
Den Kosmos heruntergebrochen
Mehrmals wurden für das fertige „Starcatcher“-Album frühe Takes und Demos herangezogen, um den Klang der Band so ursprünglich wie möglich zu belassen. Besonders die zweite Albumhälfte ist interessant ausgefallen. Dort bewegen sich Greta Van Fleet zwischen atmosphärischem Rock’n’Roll („Frozen Light“), Bon-Jovi-Stadionmomenten („The Archer“), epischer Opulenz (die Single „Meeting The Master“) und klare Anleihen an den in den USA so populären Country-Sound („Farewell For Now“). „Starcatcher“ hört man nicht nur die Rückbesinnung auf das Ursprüngliche und Rohe an, das Album ist auch voller Experimente und mutiger Klangentwürfe. Ob sich Greta Van Fleet damit auch in der Außenwirkung zu einem eigenständigen Bandkonstrukt entwickeln können, bleibt fraglich, doch die Entwicklung der Band erscheint mehr als gelungen. Wie keine zweite Band können sich kosmische Themen auf ein rohes Konstrukt herunterbrechen.
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