Der britische Award-Gewinner und Singer/Songwriter Ben Howard begeisterte unlängst in der randvollen Wiener Arena Open Air mit seinem neuen Album „Is It?“ und sanften Songs der früheren Jahre. Im „Krone“-Talk sprach er über seine zwei vor einem Jahr erlittenen Herzinfarkte, wie sie das Album geprägt haben und wie sich sein Leben seither verändert hat.
Daheim im familiären Bereich rotierten die Platten von Van Morrison, Bob Dylan oder Joni Mitchell. Der schüchterne Ben Howard wurde im südenglischen Bantham schon früh mit Musik infiziert und tauchte tief in selbige ein. Ein begonnenes Journalismus-Studium schmiss er sechs Monate vor der Fertigstellung hin, um sich voll und ganz auf seine Karriere als folkloristisch angehauchter Singer/Songwriter zu konzentrieren. Bereits mit seinem 2011 veröffentlichten Debüt „Every Kingdom“ gelang ihm ein Start nach Maß, der Nachfolger „I Forget Where We Were“ landete 2014 dann schon auf Platz eins der britischen Charts.
Howard heimste zwei Newcomer-BRIT-Awards ein und wurde schnell zum Helden von Glastonbury. Beharrlich ging er die folgenden Jahre seinen Weg weiter und erfand sich immer wieder neu. Er arbeitete etwa mit The Nationals Aaron Dessner oder präsentierte seine neuen Songs bei Jools Holland. 2022 erlitt der damals erst 34-Jährige quasi aus dem Nichts zwei kleine Herzanfälle. Die beeinträchtigen anfangs seine Sprache und sein Erinnerungsvermögen und sorgten dafür, dass er das Rauchen aufgab. Das neue Album „Is It?“ behandelt nicht nur, aber hauptsächlich diese schwierige Lebensphase, die er musikalisch zumindest versucht zu verarbeiten. Darüber sprach er mit uns unlängst vor seinem Auftritt am ausverkauften Open-Air-Gelände der Wiener Arena.
„Krone“: Ben, dein Konzert am Open-Air-Gelände in der Wiener Arena war das erste in Österreich nach neun langen Jahren, als du damals im Gasometer gespielt hast.
Ben Howard: Ja, unglaublich. Ich bin unheimlich froh, dass ich endlich wieder in Österreich und dann auch gleich in dieser schönen Location gespielt habe.
Vor einigen Wochen hast du dein wundervolles neues Album „Is It?“ veröffentlicht, das einem weit weniger wundervollen Ereignis zugrunde liegt. Vor einem Jahr hast du zwei Mini-Herzinfarkte erlitten, die auch dein Sprach- und Erinnerungszentrum angriffen …
Seltsame und schwierige Umstände fördern in gewisser Weise auch die Kreativität. Das habe ich in dem Fall am eigenen Leib erfahren. Diese Vorfälle haben es mir leichter gemacht, die Themen zu kontextualisieren und zusammenzufassen. Anders wäre das Album möglicherweise noch gar nicht fertig. Aus sonderbaren Gründen waren diese Infarkte für meine Musik sogar etwas Gutes. Das hätte ich vor einem guten Jahr natürlich noch nicht so gesagt, aber ich habe mein Leben umgestellt und bin sehr froh darüber, dass ich dieses Album fertigstellen konnte.
Du hast schon am Album geschrieben, bevor es passierte?
Ja, viele Songs waren schon vorher geschrieben, aber wir waren erst direkt nach den Infarkten im Studio. Ich habe dort extrem viel geschlafen, weil ich mich noch erholen musste und ständig müde war. Einerseits waren wir extrem produktiv, aber mein Heilungsprozess erforderte Geduld und ich musste mich oft entkoppeln und hinlegen. Das wiederum hat eine angenehme Ruhe hineingebracht, die man im Studio sonst nicht hat. Ich hatte schon viele Gitarrenparts fertig und im Studio haben wir schnell alles zusammengepackt.
Jedes deiner Alben war bislang eine starke Veränderung bzw. eine Neuerfindung deiner Kunst. Suchst du immer nach dem Unbekannten? Ist dir das selbst herausfordern besonders wichtig?
Es ist weniger die Suche nach etwas Neuem und mir Unbekannten, sondern mehr der Versuch jedes Mal eine neue Variante meiner Persönlichkeit und meiner Musik auf ein Album zu bannen. Ich war auf der Welt viel unterwegs, was mich immens beeinflusst hat und dazu kommt die ständige Angst, dass die Menschen vielleicht gar nicht bemerken, wie sehr ich mich in verschiedenen Teilen des Lebens veränderte oder weiterbewegte. Ich habe längst akzeptiert, dass mich jede Erfahrung und jede neue Kultur anders prägt und versuche nicht in meiner eigenen Vergangenheit stecken zu bleiben, aber auch nicht zu weit nach vorne zu schauen. Ich reagiere auf das, was in der Gegenwart passiert.
Exakt im Moment zu leben ist aber schwieriger als so mancher glaubt, denn nur allzu gerne flüchten wir Menschen uns in die Vergangenheit oder strecken uns nach Dingen, die weit entfernt wirken.
Ich sehe das nicht aus einer buddhistischen Sicht, denn irgendwie fühle ich mich ständig in Bewegung. Beim Songwriting versuche ich bewusst die Unmittelbarkeit einzufangen. Das kann auch mal ein kurzer Wutanfall sein. Wichtig ist nur, dass man den Moment wahrnimmt oder etwas davon mitnimmt. Es ist jedenfalls immer der Versuch da, den Moment einzufangen. Gelingen tut es mir nicht immer. (lacht)
Gilt diese Momentaufnahme auch als Inspiration für das neue Album. Den Vorgänger „Collections From The Whiteout“ hast du mit Aaron Dessner erarbeitet und offen darüber gesprochen, dass du ähnlich wie Bon Iver klingen wolltest. Dem lag also eine Vorlage zugrunde.
Es war bislang noch immer so, dass ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wie mein Album klingen soll, nur klang das Ergebnis stets anders. Je eher du akzeptierst, dass es nie genau so sein wird, wie du es gerne hätte, umso schneller kannst du mit deiner Musik und dem daraus resultierenden Album Frieden finden. Man lernt, sich fallen zu lassen und sich nicht so auf seine Wünsche und Ziele zu versteifen. Wenn das Album dann trotzdem einzigartig und anders klingt, bin ich happy - auch wenn die Grundintention eine andere war. Wenn man meist an die 18 Monate an einem Album schraubt, muss man diese Momente der Einsicht genießen können.
Für „Is It?“ bin ich in New York gesessen und die Jahreszeiten zogen während der Entstehung an mir vorbei. Gleichzeitig war es interessant zu sehen, wie mein Produzent Nathan Jenkins die Musik spürt und fühlt. Er hat die Gabe, einen ganzen Song gleich visualisieren und in die passende Produktion verpacken zu können. Das war auch für mich neu und sehr spannend zu sehen. Während ich schlief, hat er den Rahmen jedes Songs geschaffen, wodurch wir dann nur noch die Details regeln mussten. Wir haben jeden Tag einen Song fertiggestellt, das war verrückt. Aber auch eine wundervolle und für mich neue Art, an einem Album zu arbeiten.
Fällt es dir leicht, deine Visionen mit anderen zu teilen und Kompromisse einzugehen oder kommt das auf das jeweilige Gegenüber an?
Musik ist ein ständiger Kompromiss, damit muss man früh klarkommen, sonst hat man es schwer. Ich hatte bislang immer das große Glück, dass die anderen meine Ideen verstanden und weitergetragen haben. Ich selbst habe über die Jahre gelernt, anderen zuzuhören und zu vertrauen. Für mich ist jeder erste Gang ins Studio aufs Neue etwas, das mich nervös macht. Wie ein Schuljunge, der mit seiner Jausenbox die Klasse betritt und gerne teilt, so fühle ich mich. (lacht) Wenn dann dein Gegenüber sehr angenehm und unterstützend reagiert, sich auf deine Ideen einlässt, dann ist das schön und öffnet. Es ist okay, wenn man sich mit seinen ersten Songideen sehr intim und verängstigt fühlt, solange man den anderen im Studio vertrauen kann.
Du hast dich im Laufe deiner mehr als zehnjährigen Karriere schon unzählige Male bewiesen. Warum herrscht da bei neuen Songs noch immer eine solche Form der Unsicherheit?
Es ist eine Art von angenehmer Unsicherheit, sehr schwer zu beschreiben. Jeder neue Schritt ins Studio ist von einem großen Fragezeichen in meinem Kopf geleitet. Aber so funktioniert die Musik für mich. Ich habe niemals schon am Anfang gleich die Antworten, sondern sehr viele Fragen, die im besten Fall zu musikalischen Antworten werden. In neun von zehn Fällen des Lebens hat man nicht gleich die richtige Antwort auf alles, aber das muss man auch erlernen.
Zum Thema Fragen - was war die wichtigste und elementarste Frage, die du dir beim Prozess zu „Is It?“ gestellt hast?
Ich finde, dass „It Is?“ die Tür zur Liebe und zur Zuneigung extrem weit geöffnet hat. Das habe ich anfangs nicht so bemerkt und hat mich sehr überrascht, aber ich bin diesem Impuls einfach blind gefolgt. Ich hatte keine Angst vor der Liebe und habe sie nicht von mir weggeschoben, sondern umarmt. Dieses Gefühl ist in sehr viele Songs gekippt. Ich wurde oft gefragt, ob sich das Album aufgrund meiner Herzinfarkte stark um das Thema Tod drehen würde, aber das war nie die Intention. Es ist eher das Gegenteil der Fall und darüber bin ich sehr glücklich. Die Liebe hat den Tod besiegt. (lacht)
Ich finde das Album sehr warm und beseelt. Vor allem auch die elektronischen Parts strahlen eine heimelige Atmosphäre aus. War das klanglich so dein Ziel?
Das hat natürlich vor allem mit Nathans Produktion zu tun, der aus meinen Songs genau diese Klänge geformt hat. Wir beide wollten vor allem instrumental eine Welt erschaffen, in der man sich sehr gerne bewegt. Wir haben schon ein paar exzentrische Parts auf dem Werk, aber sie sind nie unzugänglich oder zu kompliziert ausgefallen. Man findet immer einen guten Zugang, weil der Klang an sich sehr schön ist und ein gutes Gefühl in den Menschen heraufbeschwört.
Die Songs an sich handeln aber schon von deinen Erfahrungen und Erlebnissen der letzten zwei Jahre?
Die Themen sind recht eindeutig und es ist sicher das persönlichste Album meines Lebens. Ich habe mich in den Songs aber auch ein bisschen von mir gelöst, obwohl das trotzdem ganz ich bin. Es ist schwer zu erklären, aber genau so fühle ich darüber.
Wenn du dich mit jedem Album neu ausrichtest und veränderst, fällt es dir dann nicht schwer, dich selbst auf den alten Alben zu erkennen und wiederzufinden?
In der Musik kannst du mehr als irgendwo anders zu deinem älteren Selbst zurückgehen, indem du gewisse Songs spielst oder singst. Das hat oft eine eigene Form von Magie, weil man sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen kann. Es funktioniert aber nicht mit allen Songs, so viel ist klar. Die Musik ist eine seltsame Profession. Man sucht nach Gefühlen, Emotionen und Erfahrungen und teilt sie mit anderen. Es ist manchmal auch schön, die naiven oder auch depressiven Momente des Lebens wiederzusehen. Das ist ein bisschen so, wie du an bestimmten Tagen vielleicht gerne ein Shirt trägst, dass dir vor vielen Jahren viel bedeutet hat, heute aber nur mehr in deiner Nostalgie vorkommt. Es ist sehr stimmungsabhängig. Ich verändere mich jeden Tag. Ob ich will oder nicht. (lacht)
Verändert sich für dich die Bedeutung deiner alten Songs über die Jahre? Manchmal schreibt man so persönlich, dass man gar nicht mehr an diesen Platz im Leben zurückgehen möchte.
Die Bedeutung verändert sich und muss auch flüssig sein. Das ist ein Teil des Ganzen. Die Reflexionen von früher verändern sich auch und mit jedem neuen Lebensabschnitt sieht man einen Teil seiner Vergangenheit aus einer anderen Perspektive. Manchmal kann man sich selbst von früher umgehen, manchmal weniger. Das ist immer abhängig von der Tagesverfassung. Dafür gibt es kein endgültiges Rezept.
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