Fremd daheim?

Oksana Fischer: Durch das Leben tanzen

Vorarlberg
23.07.2023 11:55

Die gebürtige Ukrainerin Oksana Fischer ist einst der Liebe wegen nach Vorarlberg gezogen. Aber schon lange ist sie hier heimisch - was auch ihrer großen Leidenschaft, dem Tanzen, zu verdanken ist.

Geboren wurde sie in Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine. Aufgewachsen ist sie in einer Industriestadt mit Namen Krementschuk im Süden der zentralukrainischen Oblast Poltawa, wo ihre beiden Eltern als Physiklehrer unterrichteten. Auch sie selbst hat maturiert und ein Studium im Ingenieurwesen absolviert, das sich auf die Wartung medizinischer Geräte spezialisierte. Jedoch hat sie nie in dem Beruf gearbeitet, weil sie schon als junge Frau nach Dornbirn kam, wo sie ihren Mann heiratete und mit ihm eine Familie gegründet hat. Das ist über zwanzig Jahre her.

Ich treffe Oksana Fischer in ihrem Haus oberhalb von Dornbirn. Das Rheintal breitet sich vor unseren Augen in seinen verschwenderischen Sommerfarben aus. Über den Schweizer Bergen hängen bedrohliche Gewitterwolken. Frau Fischer sagt, dass ihr Leben doch kein Interview wert sei. Sie habe gar nicht viel über sich zu berichten. Ich ermutige sie dennoch, von sich zu erzählen, weil die kleinen Geschichten oft die wirklich berührenden sind.

Als junge Frau hat Oksana Fischer das Tanzen für sich entdeckt - es ist ihr bis heute geblieben. (Bild: Mathis Fotografie)
Als junge Frau hat Oksana Fischer das Tanzen für sich entdeckt - es ist ihr bis heute geblieben.
(Bild: Mathis Fotografie)

Robert Schneider: Waren Sie ein Einzelkind?
Oksana Fischer: Nein, ich habe noch einen jüngeren Bruder, der in der Ukraine lebt. Er ist unser Sorgenkind. Als der Krieg begann, hat er sich freiwillig an die Front gemeldet, um unser Land zu verteidigen. Er dachte, dass das schnell zu Ende geht, aber jetzt kommt er nicht mehr raus. Seine Frau und seine Familie leben zum Glück bei meiner Mutter in Deutschland. Aber lassen wir bitte den Krieg. Darüber möchte ich nicht reden.

Dann reden wir darüber, wie Sie Ihren Mann kennen gelernt haben und nach Vorarlberg kamen. Wann war das?
Das war Anfang der 2000er-Jahre. Mein Vater arbeitete damals bei einem Notar in Krementschuk, und ich half dort während meines Studiums im Büro aus. Dort habe ich meinen Mann kennen gelernt, der Anwalt ist. Er hat mich nach Vorarlberg eingeladen. So ergab eins das das andere. Wir haben zwei Söhne, 15- und 19-jährig.

Wie haben Sie die erste Zeit in Vorarlberg in Erinnerung?
Das war schwierig. Nicht so sehr die Sprache, sondern die Mentalität. Ich hatte großes Heimweh. Ich erinnere mich noch gut. Wenn ich jemanden meine Muttersprache reden hörte, bin ich ihm fast nachgelaufen, um ins Gespräch zu kommen. Die digitalen Medien steckten damals ja noch in den Kinderschuhen. Ich fand aber heraus, dass es bei der Martinskirche am Marktplatz eine Webcam gab. Ich bat meine Mutter, zu einer bestimmten Uhrzeit ins Internet zu gehen und die Webcam aufzurufen. Dann stellte ich mich zur verabredeten Zeit auf den Marktplatz und winkte Mama zu.

Würden Sie sagen, dass Sie hier in Vorarlberg angekommen sind?
Ja, und das schon lange. Ich habe mir einen großen Freundeskreis aufgebaut, auch durch meine ganz große Leidenschaft, nämlich das Tanzen. Wissen Sie, bei uns in der Ukraine ist das Tanzen wie für Sie das Skifahren. Ich kam eigentlich mehr zufällig dazu, weil der Schularzt eine beginnende Skoliose, also eine Wirbelsäulenverkrümmung, feststellte. Also schickte mich meine Mutter zum Tanzunterricht. Und meinen Bruder gleich mit. Drei Mal in der Woche. Erst viel später habe ich begriffen, wie sehr das die Disziplin und Ausdauer trainiert.

Oksana Fischer (Bild: Mathis Fotografie)
Oksana Fischer

War das klassischer Balletttanz?
Nein. Sport- und Turniertanzen. Standard und Lateinamerikanisch. Wir haben da in der Formationsgruppe wirklich sehr hart trainiert. Natürlich, als ich auf der Uni war, wollte ich das nicht mehr, wie viele junge Leute in diesem Alter. Erst viel später, als ich schon in Dornbirn lebte, kam ich wieder durch einen Zufall zum Tanzen. Der Auslöser war eine Krankheit, die ich wahrscheinlich verschleppt hatte und die kein Arzt diagnostizieren konnte. Ich litt an Atembeschwerden, merkte es beim Treppensteigen. Zwei Wochen lag ich mit einer Kortison-Behandlung im Spital. Als die Ärzte nicht mehr helfen konnten, konsultierte ich einen Homöopathen. Wir führten lange Gespräche, und plötzlich sagte er zu mir: „Oksana, mir fällt auf, wenn Du über das Tanzen redest, fangen deine Augen plötzlich zu leuchten an. Willst Du es nicht über diesen Weg versuchen?“ Das war tatsächlich der Schlüssel. Die Krankheit verschwand. Ich versuchte, wieder an das anzuknüpfen, was ich in meiner Jugendzeit getan hatte, informierte mich über Tanzschulen hier in Vorarlberg, merkte jedoch bald, dass die anders ausgerichtet sind. Ich war auch verblüfft, dass sich so wenig junge Menschen für den Tanz interessieren.

Die Vorarlberger schwingen nicht so gern das Tanzbein?
Nein, das meine ich nicht. Tanzen ist für mich etwas Ganzheitliches, eine Lebenshaltung. Es bildet nicht nur die Körperhaltung, es bildet auch die Seele. Besonders für Kinder wäre das so wichtig. Die Mädchen lernen eine schöne Haltung, die Buben lernen, im Paartanzen mit den Mädchen umzugehen. Tanzen hat etwas mit Respekt, Gefühl für Takt, Nähe, Abstand und Anstand zu tun. Außerdem hat der Tanz, wie ich ihn verstehe, auch eine sehr professionelle und sportliche Komponente. Selbst im Spitzensport wird ja immer häufiger auf Elemente des Tanzes zurückgegriffen, um Körperbeherrschung zu trainieren, sei es im Fußball oder im Turnierreiten.

Sie haben auch einige Titel im Paartanzen gewonnen.
Ja, darauf bin ich schon ein wenig stolz. Wir waren mehrmals Klassensieger bei den Österreichischen Meisterschaften der Senioren im Lateintanz, und in den Jahren 2020 und 2022 Vorarlberger Landesmeister in Latein und Standard.

Tanzt Ihr Mann?
Nein.

Und Ihre Söhne?
Der Jüngere fing an, aber dann kam Corona dazwischen. Danach wollte er nicht mehr.

Dann sind Sie ziemlich allein auf weiter Flur?
Ich hatte das Glück, als aktives Mitglied im „Tanzsportclub Blau-Gold“ in Lustenau Anschluss zu finden, wo ich auch jeden Sonntag eine Gruppe kriegsvertriebener ukrainischer Kinder trainiere. Ich würde mir aber sehr wünschen, dass auch Kinder aus Vorarlberg, Mädchen wie Buben, ermutigt werden, das Tanzen nicht nur als alten Hut zu betrachten, sondern als Sport, den man mit viel Disziplin erlernen muss und der einen durch das ganze Leben begleiten kann. Dieses Stück Herz, das ich vielleicht aus meiner ukrainischen Heimat mitgebracht habe, möchte ich gerne verschenken. Darf ich dafür Werbung machen?

Bitte, gern!

Den „Tanzsportclub Blau-Gold“ finden Sie im Internet unter: www.tanzsport.co.at.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

Vorarlberg Wetter
17° / 23°
starker Regen
16° / 24°
starker Regen
17° / 25°
starker Regen
17° / 25°
starker Regen



Kostenlose Spiele