Zu Rammstein-Gigs

„Eigenverantwortung hat einen fahlen Beigeschmack“

Wien
26.07.2023 06:00

Die Organisation #aufstehn rief vor knapp zwei Monaten eine Petition namens #KeineBühne für Rammstein ins Leben. An den Konzertabsagen in Wien sind sie zwar gescheitert, doch der Kampf gegen strukturellen Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt gehe weiter, sagt Kampagnensprecherin Philine Dressler. Am Mittwoch wird vor dem Happel-Stadion in Wien demonstriert.

Am 25. Mai twitterte die Irin Shelby Lynn über einen mutmaßlich sexuellen Übergriff von Rammstein-Sänger Till Lindemann im litauischen Vilnius. Begriffe wie „Row Zero“ dominierten die Frühjahrsschlagzeilen und was daraus folgte, sprengte alle Titelseiten und Kommentarspalten. Nur wenige Tage nach dem Tweet startete die Organisation #aufstehn die Kampagne #KeineBühne für Rammstein, um die beiden Konzerte im Wiener Ernst-Happel-Stadion am Mittwoch und Donnerstag zu verhindern.

17.000 Unterschriften gesammelt
„#aufstehn ist schon länger im Bereich Gewaltschutz aktiv, deshalb wussten wir von Anfang an, dass dieses Thema in unserer Community vielen Leuten wichtig ist“, erklärt Kampagnenleiterin Dressler im „Krone“-Interview. Bisher wurden etwas mehr als 17.000 Unterschriften gesammelt.

Fronten stehen sich gegenüber
Wie viele Menschen wirklich zu der auch von den Grünen Wien mitinitiierten Demo ab 17.30 Uhr erscheinen werden, ist nicht vorauszusagen. „Wir haben jedenfalls eine Demonstration für 100 bis 500 Menschen angemeldet“, so Dressler. „Wir wurden zu einem breiten Bündnis und viele andere Organisationen haben sich zum Aufruf an der Demo beteiligt, deshalb kann man nicht genau sagen, wie viele es wirklich sein werden.“

#aufstehn-Kampagnenleiterin Philine Dressler kämpft gegen die Rammstein-Konzerte an. (Bild: Alexander Gotter Jens Koch Krone KREATIV,Krone KREATIV,)
#aufstehn-Kampagnenleiterin Philine Dressler kämpft gegen die Rammstein-Konzerte an.

Ob mehr oder weniger - die Schar an Demonstranten steht am ersten Rammstein-Tag rund 55.000 Fans gegenüber, die teils seit Monaten auf den feurigen Auftritt ihrer Helden warten und die Nebengeräusche bewusst oder unbewusst ausgeblendet haben. Wie keine andere Band spaltet Rammstein seit Aufkommen der Missbrauchsvorwürfe (es gilt die Unschuldsvermutung) die Gesellschaft.

Auch wenn es noch keine strafrechtlichen Beweise für die Mutmaßungen gibt, kämpfte man bei #aufstehn vehement gegen die Durchführung der beiden Riesenkonzerte. „Unsere Petition hat sich an die Veranstalterinnen von Arcadia Live, aber auch an die Stadionbetreiberinnen, ein Subunternehmen der Stadt Wien, gerichtet. Wir haben die Absage der Konzerte gefordert, weil sie kein sicherer Ort für Besucherinnen sind. Wir haben uns schon vor einigen Wochen direkt an den Veranstalter gewandt, aber keine Rückmeldung bekommen.“ Eine Absage der Konzerte stand weder seitens der Veranstalter noch der Band oder der Stadt Wien jemals ernsthaft zur Debatte. Dass die Petition und damit einhergehend auch die Demonstration vor dem Happel-Stadion somit ihr Ziel verfehlt hätten, verneint Dressler aber vehement.

Nicht unkommentiert passieren lassen
„Wir wollten von Anfang an zeigen, dass wir Betroffenen glauben und ihnen den Rücken stärken. Oft werden Personen, die den Mut aufbringen, über diese Dinge zu sprechen, mundtot gemacht oder als Lügnerinnen abgestempelt. Wir stehen heute aber vor dem Stadion, um zu zeigen, dass wir hinter ihnen stehen, und lassen diese Auftritte nicht einfach unkommentiert passieren.“ Die berüchtigte „Row Zero“ sollte es nicht geben, nach den schweren Anschuldigungen einer Österreicherin bezüglich der Rammstein-Konzerte in Wien 2019 (wir berichteten) sei ein Konzert dennoch kein sicherer Platz, plädiert Dressler: „Solange all die Vorwürfe im Raum stehen, besteht immer die Gefahr, dass etwas passiert. Wir wissen von Aktivistinnen aus Bern und Berlin, dass sich weitere Betroffene bei ihnen gemeldet haben, die für eine Pre-Party angefragt wurden.“

Dass das Thema Rammstein seit exakt zwei Monaten hochkocht und potenzielle Opfer damit vorn vornherein vorsichtiger sein würden, sei kein Grund, um den Terminus Eigenverantwortung voranzuschieben. „Ich würde viel lieber über die Verantwortung der Musiker, also der mutmaßlichen Täter sprechen. Es gibt in diesen Fällen einen riesigen Machtunterschied, der in den diversen YouTube-Videos gut herausgearbeitet wurde. Die Fans sind viel jünger und ihnen gegenüber steht ihr Idol: ein Musiker mit Reichweite und Macht. Bei der Eigenverantwortung spielt oft der fahle Beigeschmack der Opferschmähung mit ein. Sich zu fragen, warum eine Frau in dieser Situation überhaupt mitgeht, ist die falsche Frage. Man sollte sich vielmehr fragen, warum Täter das überhaupt machen.“

Feurige Show auf der Bühne: Was dahinter und darunter abging, wissen nur die wenigsten. (Bild: Rob Lewis)
Feurige Show auf der Bühne: Was dahinter und darunter abging, wissen nur die wenigsten.

Kampf geht weiter
Auch wenn strafrechtlich noch nichts entschieden ist, hätten die Verantwortlichen von #aufstehn eine Absage der Tournee forciert. „Eine gute Reaktion seitens der Band wäre gewesen, die im Raum stehenden Vorwürfe ernst zu nehmen und sich so lange zurückzuziehen, bis sie aufgeklärt sind. Stattdessen gab es seitens der Band Klagsdrohungen und das Einschalten der Anwälte, die bei Medien und Aktivistinnen urgiert haben.“

Auch wenn der ursprüngliche Sinn der Petition, eine Absage der Konzerte, nicht erreicht wurde, geht der Kampf gegen gängige Strukturen für die Kampagnenorganisation unaufhörlich weiter. „Wir werden an den Themen sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch auf jeden Fall dranbleiben. Es ist hier noch viel zu tun und wir werden weiter dagegen vorgehen.“

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