Dieser Text wurde lange aufgeschoben. Nie schien der Zeitpunkt wirklich ideal. Den heutigen Tag der Festspieleröffnung hielt ich für geeignet, diese überfällige Kolumne über Helga Rabl-Stadler zu schreiben. Es ist ein vollkommen subjektiver Text. Da werden Erkenntnisse eigenen Erlebens mit der legendenhaft lange amtierenden Festspielpräsidentin widergespiegelt, Emotionen nicht hinter der Maske der Scham verborgen.
Dieser Stil ist im Journalismus etwas aus der Mode gekommen, weil jeder Mangel an oft ohnehin nur vorgegaukelter Distanz zwischen Medienleuten und Spitzenrepräsentanten der Gesellschaft einen in den Verdacht unpassender Nähe bringen können. Das wäre bei Helga Rabl-Stadler umso nahe liegender, fehlen ihr doch dieses Misstrauen und die Verachtung gegenüber den Medien, die Überlebenseigenschaften in der Berufspolitik zu sein scheinen. Rabl-Stadler hat sämtliche Kränkungen und Verwundungen politisch überlebt.
Eine ungesunde Nähe gab es nie zwischen Rabl-Stadler und mir. Dazu hatte ich zu viel Angst vor ihr. Nicht einfach Respekt, den sowieso, sondern Angst. Nicht nur wegen ihrer scharfzüngigen Unerbittlichkeit, auch vor ihren Fähigkeiten zur manipulativen Theatralik bleibt oft nur die Kapitulation.
Helga Rabl-Stadler beherrscht das gesamte Repertoire verinnerlichter Schauspielkunst. Sie brilliert in den Rollen der charmanten Gastgeberin, der strengen Gouvernante, der still leidenden Dulderin, der geduldigen Übermutti, der naserümpfenden Konservativen, der machtbewussten Bildungsbürgerin, der demütigen Königin von Salzburg.
Streitgespräche mit Rabl-Stadler enden verlässlich in Niederlagen. Einmal, wir waren in einem schönen Salzburger Restaurant, wollte sie mich von der Dringlichkeit der notwendigen Sanierung der Festspielhäuser überzeugen. Mein Versuch, ihr zu erklären, dass es in wirtschaftlich schwieriger Lage nicht trivial sei, für die 300 Millionen Euro teuren Arbeiten massenhaft Begeisterung zu wecken, quittierte sie mit Missbilligung und Wehklagen: „Wollen Sie, dass es den Gästen auf die Kleider regnet?! Wollen sie das?!“ Am Ende des dreistündigen Gesprächs gab ich auf. Ermattet verließ ich das Lokal. Nicht überzeugt, aber bezwungen.
Ein anderes Mal sah ich ihr Beharren skeptisch, in der Pandemie an den Festspielen festzuhalten. Eines Abends bekam ich eine Nachricht auf das Handy: „Ich fürchte mich nicht. Ich mache es.“ Gezeichnet war die Botschaft mit HRST - ihr Namenskürzel in Großbuchstaben. Kleiner gibt sie es nicht. Rabl-Stadler hatte sich - wieder einmal durchgesetzt und Recht behalten. Seitdem trifft mich bei jeder Begegnung zwischen Café Bazar, Hofstallgasse und Rupertus-Buchhandlung ihr triumphierend blitzender Blick.
Helga Rabl-Stadler verkörpert alles, was man heute an der Partei, der sie sich verbunden fühlt, vermisst: Klasse, Wortgewandtheit, Stilsicherheit und eine fast anachronistische Prinzipientreue, die in dieser wirren Zeit noch Halt und Orientierung zu geben vermag. So wusste sie in Würde abzutreten. Ihr Thron bleibt leer.
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