Album „Unhealthy“

Popstar Anne-Marie sucht nach ihrer Natürlichkeit

Musik
29.07.2023 09:00

Nach den persönlichen Schwierigkeiten mit der Pandemie und ihren Lockdowns suchte die britische Pop-Sängerin Anne-Marie wieder nach Gefühlen und Emotionen. „Unhealthy“ ist eine musikalisch bunte Abrechnung mit einer mürben Lebensphase, scheitert aber am Anspruch aus einer glattgebügelten Künstlerin ein naturbelassenes Mädl zu formen.

(Bild: kmm)

Was ist schon ungesund? Diese Frage muss jeder selbst für sich beantworten. Das eine Taferl Milka-Schokolade, dass einen so lasziv anblickt, dass man nicht mehr die Hände davon lassen kann? Das eiskalte Kozel, das der Wirt des Vertrauens ins passgenaue Glas gießt, obwohl es schon ein paar davor gab? Oder der 281. Versuch des Tages, beim Scrollen durch die Social-Media-Plattformen irgendwas Sinnvolles zu finden, womit man sich nicht zumindest ansatzweise wertvoller Lebenszeit beraubt hat? Im Falle der britischen Pop-Sängerin Anne-Marie Rose Nicholson geht es einerseits um die Essgewohnheiten, andererseits aber um ihre Gedankenwelt, die schnell ins Obsessive abgleitet und das eigene Dasein mitunter ganz schön erschweren kann.

Anfänglicher Findungsprozess
Ihre Karriere nahm vor knapp zehn Jahren mit der britischen Drum-&-Bass-Band Rudimental Fahrt auf und leitete sie aufgrund ihrer markanten Stimme und des untrüglichen Gespürs für geschicktes Mainstreampop-Songwriting schnell in Richtung Solokarriere. 2018 folgte das Debütalbum „Speak Your Mind“, mit dem sie im Gegensatz zu Lady Gaga oder Katy Perry nicht gleich den Pop-Globus im Sturm eroberte, sich mit markanten Ohrwürmern der Marke „Alarm“. „Perfect“ oder „Heavy“ aber sofort in den Gehörgängen der wachsenden Fanschar festsetzte. Ganz neue Facetten zeigte sie 2021 auf ihrem Corona-Album „Therapy“, das sich mit den vielen Stunden in ebenjener befasste und die Künstlerin von einer fragilen, nahbaren Seite zeigte.

So richtig aus dem Kanon des kommerziellen Pop-Kokons konnte sich Anne-Marie damit aber nicht freistrampeln. Zudem war die Livesituation aufgrund der Corona-Pandemie zu dieser Zeit noch immer prekär, weswegen das für Künstler oft so prägende Zweitwerk deutlich unter dem Radar lief. Mit dem Eröffnen ihrer Ängste, Sorgen und der ADHS-Krankheit begann eine neue Zeitrechnung im Songwriting. Offener, direkter, echter und greifbarer sollte Anne-Marie werden. Während der Lockdowns litt die Künstlerin laut eigenem Bekunden daran, keine richtigen Emotionen mehr zu verspüren und in eine gewisse Form von Taubheit und - auf gut Deutsch - Wuaschtigkeit zu verfallen. War das zweite Album stark angeleitet von ihren seelischen Fortschritten, versucht sich Anne-Marie auf „Unhealthy“ nun bewusst davon abzugrenzen.

Selbstsicher mit dem Songmaterial
Das Eröffnungstrio mit den Titeln „Sucks To Be You“, „Sad B!tch“ und „Psycho“ lässt keine Fragen offen - hier wird wieder einmal auf das im musikkulturellen Bereich so populäre Seelenreinigen gesetzt und dabei etwas härter mit sich selbst ins Gericht gegangen. Besagtes „Psycho“ hat Anne-Marie mit dem britischen Rapper Aitch eingesungen. Der Track war die erste Single-Auskoppelung und diente letzten Herbst quasi als Leitfaden für alles Weitere. Insgesamt vier Songwriting-Camps hat sich die Britin für „Unhealthy“ gegönnt und dann aus den Ideen und Skizzen innerhalb von nur einer Woche ganze 19 Songs geschrieben. Dass (inklusive Bonustracks) 16 davon auf dem Album landeten, zeugt jedenfalls davon, dass sich die Künstlerin und ihr Team ob der Qualität des Dargebotenen sehr sicher waren.

Gestärkt vom Ende der Pandemie, des Aussetzens ihrer Therapie-Stunden und der Suche nach der Rückkehr von Empfindungen und Gefühlen ließ Anne-Marie ihren Ideen freien Lauf und limitierte sich überhaupt nicht mehr. Ermächtigende Hymnen wie „Trainwreck“ oder „Grudge“ treffen auf verletzlich-balladeske Momente („Kill Me To Love You“) und wagen sich in unterschiedlichste Sphären, die auch Rock und Rap streifen. Ganz wie es die Generation Spotify-Playlist liebt, bewegt sich Anne-Marie mit federnder Leichtigkeit zwischen den Genres und lässt sich längst nicht mehr so stringent kategorisieren, wie das früher der Fall war. Eines der überraschendsten Highlights der insgesamt leider etwas dahinplätschernden Platte ist nicht nur das angesprochene Halb-Rap-Stück mit Aitch, sondern vor allem der Titeltrack, der breitbeinig in den Country abbiegt und für den Anne-Marie niemand Geringeren als die US-Legende Shania Twain ins Boot holte.


Nach einer unverfänglichen Nachricht an die Country-Königin Anfang des Jahres kam tatsächlich eine positive Antwort und Anfang März stand man schon gemeinsam im Londoner Studio. In mehr oder weniger gelungenen Songs rekapituliert Anne-Marie auf „Unhealthy“ diverse Beziehungen in ihrem Leben, blickt noch einmal auf das eigene Befinden während der Pandemie zurück und reflektiert sich selbst und eingeprägte Gewohnheiten. Auf ihrem dritten Album zeigt sich die Künstlerin ungezügelter und wilder, in manchen Momenten aber angepasster, als sie es gerne sein würde. Das sympathische Cover mit der humorigen Schweinderlnase auf der Duschwand soll den Fans Natürlichkeit suggerieren. Das mag optisch gelingen, klanglich ist „Unhealthy“ stellenweise aber so dermaßen glatt und auf den Formatradio-Markt produziert, dass der schale Beigeschmack bleibt, es würde einem eine hochstilisierte Modeschau als uriges Zeltfest verkauft werden. Das geht sich am Ende halt nicht ganz aus.

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