Salzburger Festspiele

„Nathan“ als Rasches rotierende Ringparabel

Salzburg
29.07.2023 16:30

Auf der Halleiner Pernerinsel drehte sich Lessings berühmtes Religionsstück am Freitag vier Stunden lang im Kreis. Fazit: Wenig Erkenntnis, doch viel Applaus.

Während am Freitag die „Jedermann“-Neuinszenierung auch beim vierten Termin wetterbedingt nicht am Domplatz, sondern im Großen Festspielhaus gespielt werden musste, hatte auf der Halleiner Pernerinsel mit Lessings „Nathan der Weise“ die zweite Schauspielproduktion der Salzburger Festspiele Premiere. In Ulrich Rasches Regie drehte sich das Religionsstück vier Stunden lang im Kreis und kam doch nicht so recht vom Fleck. Der Schlussapplaus war dennoch groß.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

2018 hatte der deutsche Regisseur „Die Perser“ des Aischylos mit großem technischen Aufwand als vierstündiges Überwältigungsspektakel ins Landestheater gewuchtet. Auch nun hieß die Devise: Immer in Bewegung bleiben! Dass die Welt für Ulrich Rasche eine Scheibe ist, wäre diesmal jedoch zu kurz gegriffen. Ganz wie in der berühmten Ringparabel gibt es auch in Rasches Drehscheiben-Bühnenbild drei Ringe. Diese können Richtung und Geschwindigkeit unabhängig voneinander ändern - eine nicht immer plausibel eingesetzte Finesse, die im Laufe des Abends allmählich ermüdete. Denn trotz unterschiedlicher Drehzahl hat Rasche den Dreh nicht heraußen.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Dabei gibt es an der Decke der ehemaligen Salinenhalle sogar drei weitere Ringe. Diese dienen als Aufhängung für schwebende Bühnenteile aus gestanztem Blech, die nicht nur als Raumteiler dienen, sondern ganze Scheinwerfer-Batterien tragen, die wahre Lichträume erzeugen können. Das beeindruckt ebenso wie die von Musikern links und rechts der Drehscheibe live gespielten Kompositionen von Nico van Wersch, die den Takt vorgeben, der für Rasches eigenwillige Inszenierungen so wichtig ist. Auch diesmal ist Lessings „dramatisches Gedicht“ unter seinem Zugriff vor allem Rhythmus und Sprache und kaum Psychologie und Handlung.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Rasche und sein Dramaturg Sebastian Huber haben Figuren gestrichen und dafür einen Chor eingeführt. Das funktioniert gut, in Ausnahmefällen wie bei der gemeinsamen christlichen Hetze gegen den vermeintlichen Frevler Nathan („Tut nichts, der Jude wird verbrannt.“) sogar hervorragend. Übrig bleiben fünf Protagonisten, zwischen denen sich jenes Spiel entfalten soll, das stets als Beispiel für gepredigte Toleranz zwischen den Religionen herhalten muss, sich in Wahrheit aber mittels am Ende aufgedeckter abenteuerlicher Verwandtschaftsverhältnisse davor drückt. Und genau hier enttäuscht diese Neuinszenierung.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Dass Rasche auf Abstraktion statt auf Aktualität setzt und keinen Kommentar zum Comeback religiöser Konflikte oder dem Ersetzen von Erkenntnis durch Glaubensfragen abgeben möchte, hat man ja akzeptiert. Bloß: Man weiß nicht so recht, zu welchem Zweck dieses Ringelspiel überhaupt in Bewegung gesetzt wird.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Mit der Besetzung eines weiblichen Nathan wollte Rasche Erwartungshaltungen unterlaufen und neue Sichtweisen schaffen. Die ehemalige Buhlschaft Valery Tscheplanowa ist in der Hauptrolle für Judith Engel, die aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, kurzfristig eingesprungen und macht ihre Sache auch so gut, dass einem ihre vielfache Anrufung als „mein Vater“ oder ihre Selbstcharakteristik als „reicher Mann“ durchaus egal ist. Doch neue Facetten der Figur entdeckt sie einem nicht.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Dafür bekommt man vom übrigen Quartett alles mögliche geboten: von der mit der Dauerrotation unsicher Schritt haltenden und als Sittah blass bleibenden Almut Zilcher über die konventionell, doch mit großer Überzeugungskraft agierenden Julia Windischbauer als Recha und Mehmet Ateşçi als Tempelherr bis zu Nicola Mastroberardino, der seinen Sultan Saladin so naiv zeichnet, dass das ganze durch die natürlichen Fliehkräfte dieser Inszenierung ohnedies bereits bedrohte Gefüge ganz auseinanderzufallen droht.

(Bild: SF - Monika Rittershaus)

Mit seinen hautengen Gymnastikdressen erinnert dieser „Nathan“ über weite Strecken mehr an schweißtreibende Turnstunden als an den Ethikunterricht. Nach der Pause schleichen sich zudem Pathos und Längen ein, während sich Rasches Welt unerbittlich weiterdreht. Ehe das Publikum Ringe unter den Augen bekam, fand der Abend eine halbe Stunde vor Mitternacht doch noch zu einem Ende. Der überraschend starke Schlussapplaus ließ vermuten, dass Rasche für „Nathan der Weise“ zwar nicht den Stein der Weisen, aber doch den echten Ring aus Nathans Parabel gefunden hat. Dieser sorgt bekanntlich dafür, dass seinem Träger die Sympathien zufließen. Vielleicht war es aber auch nur ein Applaus im Geiste der Olympischen Ringe: Dabeisein war alles.

Wolfgang Huber-Lang, APA

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