Kolumne

Die gute Regierung

Ein kleiner Ausschnitt des Freskos von Ambrogio Lorenzetti

(Bild: Siena Tourismus)

„Krone“-Kolumnist Robert Schneider hat vor einiger Zeit im „Sala dei Nove“ des Rathauses von Siena den berühmten Freskenzyklus des Malers Ambrogio Lorenzetti bewundert. Das Werk spricht für sich.

Bisweilen ist es wohltuend, ja ein ganz großer Erkenntnisgewinn, wenn man sich aus dieser lärmenden, so gegenwartszentrierten Zeit herausnimmt und die Zeugnisse längst vergangener Jahrhunderte betrachtet. So erging es mir, als ich im alten Rathaus von Siena in der „Sala dei Nove“ den atemberaubenden Freskenzyklus des Ambrogio Lorenzetti betrachtete, der in den Jahren 1338 bis 1340 eine riesenhafte Allegorie auf die „gute Regierung“ und die „schlechte Regierung“ schuf. Vor 685 Jahren hat da ein Maler auf seine Zeitgenossen geblickt und an drei Wänden in einem unglaublich großartigen Figurenprogramm ihre Gegenwart erzählt, die menschlichen Sehnsüchte, aber auch deren Abgründe.

Das monumentale Fresko stellt zwei Mal die Stadt Siena mit ihrem Umland dar. Zum Einen, wie ihr Gemeinwesen aufblüht, wenn Concordia herrscht, also die Eintracht. Eine liebliche Landschaft mit Äckern und Weinbergen ist zu sehen, mit tanzenden Mädchen, fleißigen Bauern und regem Handel zwischen Stadt und Land. Der Friede, eine weiß gewandete Dame, sinkt mit aufgestütztem Kopf entspannt in ein weiches Kissen und betrachtet die Szene. Engel assistieren Justitia und geben den Händlern geeichte Maßinstrumente, damit keiner in der Stadt übers Ohr gehauen wird.

Wie fürchterlich nimmt sich da zum Anderen das Fresko der „schlechten Regierung“ aus. In der Stadt herrschen Hochmut, Angst, Geiz und unbeschreibliche Gier. Das Umland ist verwüstet und zerschunden, die Häuser brennen, die Weinberge sind verdorrt. Eine marodierende Soldateska zieht über die kahlen Hügel. Die Natur ist ein einziger Aufschrei. Als ich über das Fresko des Lorenzetti nachdachte, wurde mir klar, dass sich die Fragen der Menschheit niemals ändern: Bewahren wir unsere Welt oder lassen wir sie untergehen?