45 Seiten der Schande
Trump am Ende? Was den USA bis zur Wahl droht
Donald Trumps zweite Anklage auf Bundesebene stellt alles Bisherige in den Schatten. Jetzt geht es um den Kapitolsturm, Lügen, Erpressungsversuche, Verschwörung und die Frage: Wie weit darf ein Staatschef gehen, selbst wenn ihn die Wähler ablehnen?
„Obwohl er verloren hat“, steht im Vorwort der Anklageschrift von Sonderstaatsanwalt Jack Smith, „war der Angeklagte entschlossen, im Amt zu bleiben“. Auf 45 schändlichen Seiten wird illustriert, wie Trump und seine sechs nicht namentlich genannten Mitverschwörer wider besseres Wissen versucht haben, einen Staatsstreich zu organisieren.
Wie weit sie dabei gingen, zeigen neue Details. So wird geschildert, wie eine dieser sechs Personen einem Offiziellen des Weißen Hauses damit droht, Trump könne das Militär auf die Straßen entsenden, sollte es zu Protesten dagegen kommen, dass er das Amt an sich reiße. Es habe in der Geschichte der USA Momente gegeben, „in denen Gewalt nötig war, um die Republik zu schützen“.
Präzedenzfall für amerikanische Seele
Trump selbst war während der Kapitolaufstände aus sicherer Entfernung offenbar damit beschäftigt, Abgeordnete telefonisch zu erpressen, während diese um ihr Leben bangen mussten. Das Ziel laut Anklageschrift: „Die Anerkennung des Wahlergebnisses hinauszuzögern, bezugnehmend auf wissentlich falsche Behauptungen über Wahlbetrug.“ Nun wird Trump der Prozess gemacht. Auf die einzelnen Anklagepunkte stehen bis zu 20 Jahre Haft.
Was wird Trump genau vorgeworfen?
- 1 Anklagepunkt wegen Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten: In der Anklageschrift gegen Trump werden die Methoden beschrieben, mit denen er und seine sechs Mitverschwörer versucht haben, die Ergebnisse der Wahlen im Jahr 2020 zu verfälschen.
- 2 Anklagepunkte im Zusammenhang mit den Bemühungen, das Wahlprüfungsverfahren zu behindern: Trump werden zwei Anklagen im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Wahl im Kapitol am 6. Januar 2021 zur Last gelegt. Eine wegen Behinderung dieses Verfahrens und eine wegen Verschwörung dazu.
- 1 Anklagepunkt wegen Verschwörung zur Verletzung der Bürgerrechte: Im Zusammenhang mit Trumps Versuchen, die Wahl in Bundesstaaten mit knappen Ergebnissen im Jahr 2020 umzukehren.
Wenn man so will, wird der Fall Trump nun zum Präzedenzfall für die amerikanische Seele. Über der Demokratie der Vereinigten Staaten schwebt die düstere Frage: Darf ein amtierender Präsident Lügen über eine Wahl verbreiten und versuchen, die Autorität der Regierung zu nutzen, um den Willen der Wähler umzustoßen, ohne dass dies Konsequenzen hat?
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Welche Folgen dieses diktatorische Verhalten hatte, wurde in den Tagen seit dem 6. Januar deutlich. Extremisten erdrücken die Republikanische Partei, Verschwörungsideologen sitzen in wichtigen Ausschüssen und Trumps Lügen wurden für Millionen Amerikaner zur Wahrheit. Und ein Großteil der Partei macht mit. Eine Abkehr von Trumps Lügenkonstrukt würde wohl zu gewaltigen Stimmverlusten oder einer Zersplitterung der Republikaner führen.
Fakten sind nicht mehr in Mode
Nicht einmal Trumps innerparteiliche Konkurrenten um die Präsidentschaft trauen sich, die Anklage für ihre Zwecke zu nutzen. Stattdessen schwadronieren etwa Ron DeSantis oder Vivek Ramaswamy von der „Regierungsmacht als Waffe“ oder „systematischer und allgegenwärtiger Zensur der Bürger“.
Einer aktuellen Umfrage der Monmouth University zufolge konnte seit der US-Wahl nur ein Bruchteil der Republikaner überzeugt werden, dass der Erdrutschsieg von Joe Biden nicht „gestohlen“ war. Dürre 21 Prozent glauben, dass der aktuelle US-Präsident durch faire Wahlen ins Oval Office eingezogen ist. Wenige Wochen nach der Wahl waren es 18 Prozent.
Fakten sind in den USA nicht mehr in Mode. Das beste Beispiel hierfür ist Mike Pence. Der Ex-Vizepräsident stellt sich seit dem Sturm auf das US-Kapitol offen gegen Trumps Lügengeschichten. Sein Präsidentschaftswahlkampf läuft desaströs. In Umfragen liegt er aussichtslos zurück. Das mag auch mit seiner wenig charismatischen Art zu tun haben, bei öffentlichen Auftritten wird Pence jedoch immer wieder angefeindet, als „Volksverräter“ gebrandmarkt.
Trump sieht „Fest der Liebe“
Eine erste Reaktion von Trump und seinem Team zur Anklageschrift lässt erahnen, worauf sich die USA in den nächsten 15 Monaten bis zur Wahl einstellen müssen. Die Ankläger des Ex-Präsidenten werden als „gestört“ diffamiert und wenig appetitliche Vergleiche zu Nazi-Deutschland angestellt. Den Sturm auf das Kapitol bezeichnet Trump immer wieder als „Fest der Liebe“. Zur Erinnerung: Fünf Menschen starben während oder kurz nach dem Vorfall, etwa 140 Beamte wurden verletzt. Mehr als 1000 Personen sind inzwischen im Zusammenhang mit der Erstürmung angeklagt worden.
Trotz gegenteiliger Prognosen haben die vergangenen beiden Anklagen seine Attraktivität bei den Republikanern nur noch gesteigert, wie Umfragen zeigen. Experten prognostizieren bei dieser - der schwerwiegendsten - Anklage ähnliche Effekte. Es darf davon ausgegangen werden, dass der 77-Jährige noch radikaler auftreten wird. Sein Team und rechte US-Medien propagieren Trumps regelmäßige Dates mit Justitia als „Hexenjagd“, gesteuert von Drahtzieher Biden, versteht sich. Der US-Präsident wird sonst gerne als „senil“ und „not fit for Office“ dargestellt.
Sollte Trump gewinnen, droht Verfassungskrise
Trump, der bereits mehr als 40 Millionen Dollar für Anwälte ausgegeben hat, wird nun versuchen, die anstehenden Prozesse so lange wie möglich hinauszuzögern. Denn mittlerweile kann ihn wohl nur noch ein Wahlsieg vor dem Gefängnis bewahren. Sollte er allerdings noch vor dem Einzug ins Weiße Haus verurteilt werden, würde das die USA im Fall seines Sieges an den Rand einer Verfassungskrise bringen.
Sollte Trump in einem Bundesverfahren verurteilt werden, würde er sich wahrscheinlich selbst begnadigen. Das sei eine Macht, die er mit „absoluten Recht“ ausüben könnte, wie er 2018 behauptete. Es ist nicht klar, ob eine Selbstbegnadigung rechtmäßig wäre. Es gibt keinen Text in der Verfassung, der einem Präsidenten dies verbietet.
1974 gab das Justizministerium laut „New York Times“ ein Gutachten heraus, in dem es hieß, dass Präsident Richard Nixon offenbar nicht befugt war, sich selbst zu begnadigen, „gemäß der Grundregel, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf“. Rechtsexperten sind sich in dieser Frage uneinig, da sich noch nie ein Gericht damit beschäftigt hat.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass er im Fall einer Inhaftierung zu Beginn seiner zweiten Amtszeit nach dem 25. Verfassungszusatz seines Amtes enthoben werden könnte, da er „unfähig ist, die Befugnisse und Pflichten seines Amtes auszuüben“. Doch auch hier ist vieles schwammig.
Was ist erlaubt?
Mit der Veröffentlichung der Anklageschrift hat der Wettlauf zwischen Trump und der Justiz endgültig begonnen. Am Ende wird wohl darüber entschieden werden, was sich Verlierer einer Wahl erlauben dürfen - Staatsstreich inklusive.
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