"Arme Reiche"

Steuerbetrug kostet Italien satte 130 Mrd. Euro im Jahr

Ausland
11.01.2012 16:26
Italiens neuer Premier Mario Monti spart, erhöht die Steuern und kürzt bei den Renten. Doch Monti hätte noch eine weitere Möglichkeit, mit der sich der Schuldenberg der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone in wenigen Jahren beseitigen ließe - einen effektiven Kampf gegen Steuerhinterziehung. Diese ist in Italien eine Art Volkssport vor allem von Reichen, die sich beim Finanzamt ungerührt als arm deklarieren. Bis zu 130 Milliarden Euro gehen dem Staat dadurch jährlich an Einnahmen durch die Lappen.

Diese sagenhafte Summe nannte der Chef des nationalen Steueramtes, Attilio Befera, am Mittwoch. Monti hat dem Phänomen zwar bereits den Kampf angesagt und neue Instrumente dafür angekündigt - doch wird er die Italiener umerziehen können?

Bei spektakulären Razzien im mondänen Dolomiten-Wintersportort Cortina d'Ampezzo förderten 80 angereiste Steuerinspektoren zum Jahreswechsel Erstaunliches zutage: Als sie 251 Besitzer von Ferraris und anderen Superboliden überprüften, gaben 42 von ihnen an, so eben über die Runden zu kommen mit ihren versteuerten 30.000 Euro brutto jährlich. Dutzende Autos mit Kaufpreisen im sechsstelligen Bereich waren auf Firmen angemeldet, die in den vergangenen Jahren angeblich Verluste gemacht oder nur sehr mäßig verdient hatten. Außerdem stellen Händler in dem edlen Ski-Ort offensichtlich nur wenige ordnungsgemäße Rechnungen aus.

"Ein in Europa einzigartiges Ausmaß an Hinterziehung"
"So viele Arme im Mercedes", spottete die Mailänder Tageszeitung "Il Giornale". Andere Medien prangerten "Fantasie-Abrechnungen" in Restaurants oder Luxusgeschäften an. Einig waren sich alle, dass in dem Dolomiten-Ort nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden ist, auf die der Staat zeigen wolle: "Das Wichtigste an Operationen wie in Cortina ist der Abschreckungseffekt", sagte Befera. Das Problem jedenfalls ist gewaltig. Es sei "ein in Europa einzigartiges Ausmaß an Hinterziehung", stellte die liberale Turiner Zeitung "La Stampa" fest. Zu lange hätten in Italien der politische Wille und die Instrumente gefehlt, um Steuersünder zu fassen.

Jetzt verstärken die Inspektoren ihre Kontrollen öffentlichkeitswirksam. Zudem sollen die Finanzen der Bürger künftig mit einem softwaregestützten Verfahren - einem "redditometro" - genauer erfasst werden. So wollen die Finanzfahnder all jene Personen aufspüren, die gut leben, dem Fiskus aber bisher ein minimales Einkommen vorgegaukelt haben. Noch wird an der Software für präzise Finanzkontrollen gearbeitet. Sie soll etwa Kontobewegungen nachprüfen können. Doch laut Befera wird es damit allein nicht gehen: Mehr "Gemeinsinn" - und nicht nur der Reichen - sei ebenfalls notwendig.

Mafia eben erst zur "solidesten Bank Italiens" gekürt
Es geht also nicht nur um jene, die ein Zwölfzylinder-Auto fahren oder in Portofino eine Zehn-Meter-Jacht liegen haben und gleichzeitig angeblich nahe der Armutsgrenze leben. Das Land scheint außerdem auch weiter fest im Griff der Mafia zu sein. Die wurde einer aktuellen Studie zufolge mitten in der Wirtschaftskrise mit einer Liquidität von 65 Milliarden Euro zur "solidesten Bank Italiens" (siehe Infobox).

Die Mafia kann die kriminell erwirtschafteten Milliarden wieder investieren, der Staat kümmert sie nicht. Dabei ist die organisierte Kriminalität enorm flüssig, nimmt von Tausenden Betrieben halsabschneiderische Zinsen für dringend benötigte Kredite - und treibt viele letztlich in den Ruin. Die kleinen und mittleren Firmen sind ihre ersten Opfer.

Trotz punktueller Erfolge im Kampf gegen die "Krake Mafia" dürfte das Vorgehen gegen den allgemeinen Steuerbetrug wohl mehr zur erhofften schnellen Sanierung der Staatsfinanzen beitragen. Denn wenn die Instrumente der Fahnder besser werden, lassen sich viele der grotesk anmutenden Hinterziehungsfälle künftig rascher bearbeiten.

Zehntausende "Arbeiter" als Super-Jacht-Besitzer
Denn wie "La Stampa" aus der Zentralen Steuerkartei erfuhr, fahren auf Italiens Straßen mehr als 200.000 Superschlitten, deren Besitzer gerade mal ein Einkommen zwischen 20.000 und 50 000 Euro gemeldet haben. Zudem besitzen Zehntausende Staatsbürger eine Super-Jacht - und versteuern das Gehalt eines Arbeiters. Schließlich gaben Hunderte Steuerzahler an, sie verdienten etwa 20.000 Euro jährlich, trotzdem können sie sich zugleich ein Flugzeug oder einen privaten Helikopter leisten.

Nun ist der Staat den "armen Reichen" auf der Spur - doch Monti wird massive Durchsetzungskraft brauchen.

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