Die gebürtige Peruanerin Melyssa Briceno ist in Tacna geboren und in der USA zur Schule gegangen. Doch inzwischen lebt sie schon lange in Europa und konnte sich trotz ihres reiselustigen Lebens dazu entscheiden, im Ländle sesshaft zu werden.
„Ich bin in Tacna geboren, aber niemand weiß, wo das ist, deshalb sage ich Lima, obwohl Tacna 1300 Kilometer von der Hauptstadt entfernt ist, also sehr weit weg. So behilft man sich halt, wenn man das hier jemandem erklären muss. Ich wusste damals ja auch nicht, wo Österreich liegt, geschweige Vorarlberg“, erzählt die 43-jährige Peruanerin Melyssa Briceno.
Ich sitze einer zierlichen, aber sehr sportlich und durchtrainiert wirkenden Frau gegenüber, die ein universales Gesetz des Miteinander geradezu internalisiert hat. Man muss in der Fremde auf die Menschen zugehen. Nicht umgekehrt. Melyssas auf Anhieb einnehmendes und fröhliche Wesen ist auch ein Stück weit Überlebensstrategie. Mit einem Lächeln und einem gerüttelt Maß an Zuversicht geht einfach vieles leichter. Und selbst ist sie davon überzeugt, ein Sonnenkind zu sein, jemand, der so viele Schutzengel in seinem Leben hatte und noch immer hat.
Robert Schneider: Sie stammen aus Peru. Erzählen Sie mir doch bitte etwas von Ihrem familiären Background.
Melyssa Briceno: Ich bin zwar wie vier meiner anderen Geschwister in Peru geboren, aber meine Eltern wanderten nach Amerika aus, als ich zwei Jahre alt war. An Tacna habe ich keine Erinnerungen mehr.
Dann sind Sie Amerikanerin?
Ja und nein. Wir sind nach Miami gezogen. Miami ist, wie Sie wissen, die heimliche Hauptstadt von Südamerika. Damit will ich sagen, dass meine Eltern überhaupt nicht Englisch sprechen mussten, weil wir Latinos ja alle in der südamerikanischen Community lebten. Wir Kinder haben natürlich die amerikanischen Schulen besucht und Englisch gesprochen. Aber daheim sprach man Spanisch.
Leben Ihre Eltern noch in Miami?
Sie sind leider beide schon gestorben. Meine Mutter starb an Krebs, und mein Vater starb im Jahr 2021 an Corona.
Was haben Sie studiert?
Ich habe in Miami „Public Relations und Communication“ studiert, bin dann nach Brasilien und schließlich nach Argentinien gezogen, wo ich zwei Jahre im Marketing für eine Holzfirma gearbeitet habe. Danach war ich in einem amerikanischen Übersetzungsbüro tätig.
Wie kamen Sie nach Vorarlberg?
Ich kam zuerst nach München. In der Zeit in Buenos Aires hatte ich eine Freundin aus Deutschland, die dort Spanisch studiert hat. Normalerweise gehen Latinos entweder nach Italien oder nach Spanien, einfach der Sprache wegen. Deutschland war für mich ein komplett weißer Fleck auf der Landkarte. Tja, und so kam ich an Weihnachten 2009 nach München. Ich war unglaublich motiviert, muss aber auch sagen, dass ich wahnsinniges Glück hatte, weil ich immer auf Menschen traf, die mir weiterhalfen.
Sie haben also keine negativen Erfahrungen gemacht?
Ich habe mich nie, nicht einen Augenblick lang, diskriminiert gefühlt. Als ich noch in Miami lebte, trug ich stets lange Hosen und langärmelige Shirts, weil ich nicht braun werden wollte, weil ich mich eben als Immigrantin empfand. Aber hier bin ich ganz stolz, Südamerikanerin zu sein. Das hängt sicher auch mit dem Alter zusammen. Ich bin reifer geworden. Trotzdem achte ich noch immer darauf, dass meine Haut nicht zu viel Sonne abbekommt.
Wie haben Sie sich in München über Wasser gehalten?
Nachdem ich mein Arbeitsvisum erhalten hatte, arbeitete ich in Teilzeit als PR-Assistentin. Nebenbei habe ich auch als Babysitterin gearbeitet, da die Mutter wollte, dass ich Englisch mit ihren Kindern spreche. Das war großartig, denn so habe ich spielerisch mit ihnen Deutsch gelernt. Und wo lernt man eine Sprache besser, als von Kindern? Tja, und dann hatte ich wieder so viel Glück, arbeitete bei Louis Vuitton und schließlich drei Jahre bei Tesla. Als ich 2018 die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, stand mir die Welt endgültig offen. Ich ließ mich bei Tesla für drei Monate beurlauben und bereiste Japan, Australien und Neuseeland. Länder, in die ich mit meinem peruanischen Reisepass niemals oder nur sehr schwer hineingekommen wäre.
Sie wirken auf mich wie jemand, der seine Chance sofort sieht und auch ohne langes Zögern ergreift.
Das stimmt. Glück passiert dann, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft. Ich bin nicht eine, die lange zögert. Als man mir sagte: „Melyssa, möchtest du nach Argentinien?“, antwortete ich sofort: „Klar, doch!“
Das mit Vorarlberg haben Sie mir noch nicht beantwortet.
Ich erhielt im Dezember 2020 einen Job als Marketing Manager bei der Firma Obrist in Lustenau, einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Schlüsselkomponenten für Hybrid- und batteriebetriebene Fahrzeuge konzentriert. Seit kurzer Zeit arbeite ich nun an der Universität in Liechtenstein, wo ich Assistentin in der Abteilung für Weiterbildung bin. Ich muss sagen, ich war einfach immer ein Glückskind.
Sie bemühen sich auch sehr, ein Netzwerk von so genannten „Expats“ aufzubauen. Können Sie mir erklären, was das genau ist?
Das Wort „Expat“ ist die Abkürzung für „Expatriate", also für eine Person, die in einem fremden Land und in einer ihr unbekannten Kultur lebt. Es ist offensichtlich, dass jene, die zum ersten Mal nach Vorarlberg kommen, oft Schwierigkeiten haben und sich lange Zeit sehr allein fühlen, besonders, wenn sie die deutsche Sprache nicht kennen. Darum habe ich die Instagram-Seite @VORexpats gestartet, die auf Englisch ist, um Menschen dazu zu motivieren, ins Freie zu gehen und sich mit der Natur zu verbinden. Ich teile meine Wanderausflüge und beschreibe, wie man dorthin kommt, insbesondere mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da ich ein großer Fan des Klimatickets bin. Mein Ziel ist es einfach, Menschen - und nicht nur Expats - dazu zu ermutigen, sich durch Abenteuer miteinander zu verbinden.
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