Harris & Ford, Finch, Electric Callboy - am zweiten Frequency-Tag stand das Motto „Party“ noch viel dicker auf der Liste als zum Auftakt. Neben geschmacklich fragwürdigen Nachmittagshighlights zeigten die Imagine Dragons, dass sie vielleicht das Highlight des Festivals waren. Kraftklub lassen den Reigen heute ausklingen.
Die müden Knochen vom anstrengenden ersten Tag entschüttelt, geht es für die Feierwütigen bei noch höheren Temperaturen am Freitag munter weiter. Ein bisschen zäh geht das erste Konzertdrittel des Tages über die Bühne. Das lag sicher an der Müdigkeit einer wilden Partynacht, vielleicht aber auch am Line-Up. Eine tiefergehende Studie wurde dahingehend nicht durchgeführt. Auf der Space Stage eröffnet die österreichische Künstlerin Filly mit ihrer Mischung aus DJing und Hyperpop den Reigen. Der bekannteste Song, „Cowgirl“, ist eine Mischung aus einem ruralen Befindlichkeitsballett und Scooter-Hardstyle-Geballer. Filly tobt in weißem Hemd und rosaroter Krawatte über die Bühne, die über Nacht plötzlich einen Steg bekam - den braucht später am Abend Imagine Dragons-Frontmann Dan Reynolds, um seinen Stahlkörper ins rechte Licht zu rücken.
Zähes Eröffnungsprogramm
Die Entscheidung, ob Space oder Green Stage fällt jedenfalls schwerer als am Eröffnungstag. Das deutsche Popstudiums-Kollektiv ClockClock probiert es auf der Hauptbühne direkt nach Filly, ein paar Dutzend mehr Leute finden sich am staubigen Gelände ein und Frontmann Bojan Kalajdzic wagt sich als erster auf den neuen Steg. Die Hits „Someone Else“, „Over“ und vor allem „Sorry“ kennt man totgenudelt aus dem Formatradio, live schafft es das Trio auch nicht unbedingt, dem glattgebügelten Treiben eine Zusatzkante zu verfassen. Auf der Green Stage hüpft indes Morgan Parriott aka Call Me Karizma herum, als hätte man ihm drei Adrenalinspritzen gleichzeitig verpasst. Als eine Art Machine Gun Kelly-Verschnitt reüssierte er unlängst im Wiener Flex, doch mit Matschsound und einem zurückhaltenden Publikum ist heute nicht viel Land zu gewinnen. Auf wiederholte Aufforderung gibt es einen amtlichen Circlepit, aber so richtig will das Treiben nicht in die Gänge kommen.
Pop der traditionelleren Sorte sorgt danach auf der Space Stage für einen Stilbruch. Durchstarter Calum Scott ist mit seinen sanften Songs voll Hitcharakter der erste richtige Höhepunkt des Tages. Während er schon fleißig an seinem dritten Studioalbum schraubt, liefert er im mintgrünen Anzug und mit viel Bewegungsfreudigkeit eine wundervolle Pop-Show, wie man sie so auch gerne einmal indoor sehen möchte. Zu seinem Top-Hit „You Are The Reason“, in England längst ein Dauerbrenner, macht Patrick seiner Freundin gar einen Heiratsantrag - mit Happy End. Direkt danach bringt sich Landsmann Tom Odell in Stellung für eine Elton-John-Nachfolge. Was dafür fehlt? Die großen Songs, das Charisma und eine gehörige Portion Verrücktheit. Doch wollen wir so streng nicht sein, der Blondschopf brilliert mit Sonnenbrille am Piano und hat mit „Best Day Of My Life“, „Money“ und „Another Love“ richtig schöne Hits im Köcher. Das gefällt auch einer Heerschar an Fans, die das Festival-Hauptfeld am Frühabend erstmals üppig belagern.
Kurze Ausruhphase
Österreich-Power herrscht derweil auf der Green Stage. Das erfolgreiche DJ-Duo Harris & Ford hämmert seine ballernden Preziosen über den ungemütlichen Steinboden, kurz danach sorgt Mathea für etwas Pop-Grandezza. Wie immer auffällig gekleidet, hat sie einen leuchtenden Schmetterling auf der Bühne und verstärkt ihre Deutschpop-Songs mit Raketen und Feuersalven. Die Band dient ihr dabei nur als Staffage, bei Songs wie „2x“, „Tut mir nicht leid“ und dem Hit „Chaos“ ist die Stimmung auf einem guten Level angelangt. Dem schwülen Wetter müssen zwar einige Fans Tribut zollen, aber es ist auch am zweiten Tag längst nicht so heiß, wie man den ersten Vorhersagen nach befürchten musste. Doch Matheas poppiger Auftritt war nur ein kurzes ruhiges Häppchen zwischen den Partybands.
Der ostdeutsche Proletenrapper Finch dreht das Festivalniveau direkt danach auf die unterste Garstufe. Das Bühnenbild besteht aus einem Dixi-Klo, einer Werbesäule und einer Art Trailerpark, über dem „Dorfdisko“ steht. Finch steht mit Union-Berlin-Shirt auf der Bühne und dirigiert die bis weit nach hinten reichenden Massen unmissverständlich: „Die Älteren nehmen jetzt die Jüngeren an die Hand und dann ficken wir. Ich will mit euch allen Geschlechtsverkehr, ungeschützt.“ Die Vorbildwirkung verfehlt Finch, der sein Attribut „Asozial“ vor geraumer Zeit offiziell ablegte, dabei in konstanter Regelmäßigkeit. Bei seinem „letzten Festivalauftritt für zwei Jahre“ greift er noch einmal in die tiefste Schublade und feuert seine Songs zwischen Rap, Asi-Pop und Hardstyle in die Menge. Bei „Spaceman“ sind gar die nachfolgenden Electric Callboy zu Gast, ansonsten sind Securitys und Polizei permanent beschäftigt.
Rustikale Ader
„Da drüben stehen Bullenschweine“, skandiert er und bekommt dabei lautstarken Applaus und Jubel mit, „ob ich jetzt die Polizei meine oder RB-Fotzen, das sage ich natürlich nicht.“ Bei Songs wie „Freitag, Samstag“, „Bassdrum“ oder „Keine Regeln“ tobt das Feld und es staubt in alle Richtungen. Zwischendurch werden drei Bengalen gezündet. Security-Mitarbeiter und Polizei sind im Dauereinsatz, während Finch sein Publikum dazu animiert, „jeder Bulle ist ein Hurensohn“ zu skandieren. Finch trägt seine rustikale Ader nicht als Image, sondern lebt sie aus vollem Herzen und mit größter Leidenschaft. Beim charmanten „Liebe auf der Rückbank“ singt er im Refrain „ich hoff‘, wir werden nie mehr nüchtern“. Damit spricht er auch seinen Fans aus der Seele. Eine kurzweilige Messe des schlechten Geschmacks. Aber voller Herz und Inbrunst. Ein Dropkick in das Gesicht der Woke-Kultur und dann doch wieder ironisches Manifest. Irgendwie alles und nichts.
Ebenso wie die Ärzte waren auch Electric Callboy zuletzt beim Nova Rock zu Gast. Redundanz als Prinzip, aber im Gegensatz zu den alten Hasen aus Berlin funktioniert der jüngere Hype perfekt. So voll wie beim Rockfestival ist das Feld vor der Bühne beim Frequency zwar nicht, die Stimmung aber ständig am Überkochen. Den „Spaceman“ mit Finch gibt es gleich noch einmal unter umgekehrten Vorzeichen, dazu mäandert die mittlerweile welterfolgreiche Band so geschickt zwischen Metalcore, Zeltfest-Disco und Jägermeister-Druckbetankungsbeschallung, dass selbst die müdesten Glieder zum Zappeln kommen. Mit dem Briten Central Cee auf der Space Stage gelang den Veranstaltern ein richtiger Coup. Der Brite gehört zu den angesagtesten Rappern der Welt, was die Fans, die heuer weniger Rap als letztes Jahr kriegen, bis weit nach hinten goutieren. Mit einer verkürzten und wenig emotionalen Show reißt er zwar nicht unbedingt den Titel als „Act des Festivals“ an sich, ein Wiedersehen ist angesichts des immensen Hypes eher unwahrscheinlich.
Beeindruckende Hit-Dichte
Nun ist der Boden bereitet für den Headliner des Tages und der eindeutig größten Band des Festivals. Die Imagine Dragons, im Sommer 2022 noch vor 40.000 Fans im Wiener Happel-Stadion zu Gast, gehören längst zu den opulentesten Rock-Acts und überzeugen beständig mit guten Leistungen. Frontmann Dan Reynolds nützt - wie eingangs erwähnt - den extra aufgebauten Bühnensteg, um seinen gestählten Körper zu präsentieren. Schon vor dem vierten Song „I’m So Sorry“ fällt das Shirt, zu dem Zeitpunkt hat das Quartett aus Las Vegas bereits zwei wuchtige Konfettisalven in den Himmel geblasen. Die Hit-Dichte der Band ist beeindruckend. Songs wie „Thunder“, „Believer“, „Follow You“ oder „Whatever It Takes“ knallen im Minutentakt durch die Menge. Es wird getanzt, gesungen, sich einfach des Lebens erfreut. Wo die Ärzte sich am Vortag in Lustlosigkeit verrannten, merkt man Reynolds und Co. trotz der langen Touren immer noch Feuereifer an.
Während der Vater auf Tour ist und sich von Tausenden Menschen bejubeln lässt, feiert Töchterlein Arrow ihren elften Geburtstag. Ein „Happy Birthday“ verlangt er nicht, doch angesichts seiner familiären Abwesenheit pendelt der Frontmann sichtlich zwischen Wehmut und Konzertfreude. Die Imagine Dragons erfassen mit ihrer emotionalen, aber trotzdem vorwärts gerichteten Musik verschiedene Gefühlslagen ihrer Fans und gelangen damit sehr gut in deren Herzen vor. Nach den eher rustikalen Vorstellungen auf der Green Stage sind die Dragons so etwas wie ein später Safe Space, der die Anwesenden mit einer wohligen Umarmung in die Nacht entlässt, damit man am letzten Tag noch einmal alle Reserven mobilisieren kann. Acts wie Kraftklub, K.I.Z. oder Nina Chuba verlangen auch danach. Einmal geht’s noch!
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