Drei Tage Party, Stumpfsinn und Leichtigkeit fanden Samstagabend im St. Pöltner Green Park ihr Ende. Das Frequency schloss mit DJ Armin van Buuren, dem Kraftklub und Durchstarterin Nina Chuba ab. Doch keine Sorge: 2024 geht es wieder munter weiter.
Die Sommerhitze kann manchmal herausfordernd sein und zu speziellen Ideen führen. Umweltministerin Leonore Gewessler etwa versprach all jenen Frequency-Besuchern, die sich vor Ort ein „Klimaticket“-Tattoo stechen ließen, selbiges zum Nulltarif. Die Aktion stieß schon vor eineinhalb Monaten beim Electric Love in Salzburg auf Anklang und wurde medienwirksam kurzerhand neu aufgelegt. Immerhin nachhaltig. Rein musikalisch gab es am dritten und letzten Frequency-Tag auch keine allzu großen Highlights zu bestaunen. Auch die Partypeople krochen teilweise schon am Zahnfleisch daher oder eben gar nicht mehr. Bei den brütend heißen Tagestemperaturen steht man aber auch nicht so gerne im ungeschützten Sonnenlicht, wenn man nicht gerade großer Fan des auftretenden Acts ist.
Party, Party, Party
Der gemütliche Feelgood-Pop des Briten Casey Lowry führte jedenfalls nicht dazu, dass man vor der Space Stage von einer Menschenmenge sprechen konnte. Etwas besser ging das dann beim Frankfurter Hip-Hop-Duo Mehnersmoos. Der Zuspruch bewies einmal mehr, dass Anspruch in St. Pölten keine Chance gegen stumpfe Party hat. Sozial- oder politkritische Töne wollen Kids beim dreitägigen Realitätseskapismus längst nicht mehr hören, mittlerweile scheinen auch gemütliche Themenkomplexe wie Liebe und Zwischenmenschlichkeit keinen Hund mehr vor dem Ofen hervorzulocken. Mehnersmoos haben Lieder mit Titel wie „Pennergang“, „Oktoberfest“ oder „99 Puffs“ und sind im Niveaulimbo auf einer Stufe mit ihrem Kumpel Finch oder Ski Aggu.
Das Talent des Berliners, der als bereits dritter Act auf der kleineren Green Stage auf die Bühne ging, besteht in erster Linie aus dem Tragen einer Skibrille. Danach kommt die Vokuhila-Matte, später nichts und irgendwann auch einmal Ballermann-Rap-Hits wie „Party Sahne“ oder „Mietfrei“. Der große Sprung gelang August Jean Diederich, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, diesen Frühling mit dem Otto-Waalkes-Cover „Friesenjung“, das ihn in Österreich und Deutschland auf Platz eins der Charts spülte. Nach dem ersten Sechsertragerl beim örtlichen Feuerwehrfest lässt sich gut mitgrölen, aber spätestens beim harten Kater danach wird man eine gewisse Substanzlosigkeit nicht in Abrede stellen können. Ja eh.
Highlights auf der kleinen Stage
Ein fast unbeachtetes Highlight ist alle Jahre die im VAZ-Indoorbereich liegende Red Bull Stage, bei der sich Künstler wie der spätere Weltstar Anderson Paak einst ihre ersten Sporen in Mitteleuropa verdienten. Am Abschlusstag war der Musikerauftrieb ganz besonders geschickt gewählt. Die am Berlin-Rap angedockte Kärntnerin Kitana wärmte die fünf Handvoll Anwesenden mit impulsivem Rap auf. Die Britin Hannah Grae, in ihrer Heimat längst als nächstes Supertalent hochgehandelt, schreibt die derzeit ehrlichsten und besten Coming-Of-Age-Songs und mischt akustische Feinheiten mit Rock-Ausritten. Landsmann Ewan Mainwood traut sich als Alleinunterhalter vor nicht einmal 30 Leuten ans Werk, gleicht seinem Idol Ed Sheeran stellenweise aber zu sehr. Das Red-Bull-Stage-Abschlusstrio hingegen gehört zum Besten, was das medioker kuratierte Festival heuer zu bieten hat.
Die aus dem Mormonenstaat Utah stammende All-Girl-Band The Aces verirrte sich endlich erstmals nach Österreich. Der mal eruptive, mal sanfte Powerpop erinnert nicht zuletzt an die großen Idole von Paramore, dazu mischen sie sozialkritische Texte, die sich mit Religionskritik, Queerness und dem schwierigen Aufwachsen in einer unwirtlichen Gegend befassen. Das britische Kollektiv von Daisy Brain hat sehr genau bei Nirvana zugehört und vermengt diese Einflüsse mit etwas Punk, Alternative Rock und vielen Emotionen und Gefühlen. Zum Leidwesen vieler Bühnenpendler ist schon zehn Minuten früher Schluss. Abgeschlossen wird die Indoor-Bühne mit den Feelgood-Poppern von AJR, die gerade im Vorprogramm der Imagine Dragons über den Kontinent tingeln. Sie pendeln zwischen fröhlichen Coversongs und kurzweiligen Eigenkompositionen und bespielen damit in den USA bald Arenen.
Den Hype bestätigt
In der frischen Luft war der Rap am letzten Tag vorherrschend. Die an eine Taxinummer erinnernden 01099 wärmten die steinige Green Stage für den heimlichen Headliner des Tages auf: Nina Chuba. Vor fast genau einem Jahr erreichte sie mit dem Sommerhit „Wildberry Lillet“ Platz eins der Charts, seither wurde sie über Nacht zu einem der größten Superstars im deutschsprachigen Raum. Das für das kleine B72 geplante Wien-Konzerte wurde in die später ausverkaufte Simm City verlegt - für das kommenden Frühling angesetzte Gasometer-Konzert gibt es schon lange keine Karten mehr. Dementsprechend wenig überraschend war, dass sich das Gelände bis weit nach hinten füllte und sich für die spät Gekommenen die alkoholgesponserte Disco-Nebenbühne klanglich mit Chuba schlug. Die wiederum nützte die knappe Konzertstunde für eine Hit-Revue von „Mangos mit Chili“ über „Ich hass dich“ bis zum angesprochenen Smash-Hit „Wildberry Lillet“. Chubas Rap-Pop setzt auf Melodien und Zugänglichkeit und unterscheidet sich dadurch angenehm vom Gros des Mitbewerbs. The Hype Is Real.
Auf der Hauptbühne hoffte indes der puerto-ricanische Superstar Farruko auf die großen Massen und stand einer sehr spärlichen Kulisse gegenüber. Rein von den Streamingzahlen her gehört der Latin-Star zu den allergrößten Musikern der Welt, doch wie es in diesem Segment so üblich ist, nimmt man im deutsch- und englischsprachigen Europa wenig Notiz davon. Mit seinen schwungvollen Reggaeton-Hymnen „Esta vida“, „Calma“ oder „Delincuente“ bringt er eine erfrischende Note in das Gros an Rap- und Deutschpop-Acts, die hintereinander aufgereiht ähnlicher klingen als man glaubt. Nicht nur Farrukos Background-Tänzerinnen merkt man der eher seichten Laune an, dass sie größere Kulissen gewohnt sind, doch sein Publikum muss man sich eben manchmal auch noch als Weltstar erspielen.
Spätpubertär, aber schwungvoll
Frei nach dem Motto „Rap über Hass“ gaben sich auch die rarer gewordenen Berliner Rapper K.I.Z. wieder einmal ein Stelldichein in St. Pölten. Bloße Songtitel wie „Urlaub fürs Gehirn“, „Unterfickt und geistig behindert“ oder „Filmriss“ können wahlweise als Zustandsbeschreibung oder Lebenseinstellung herangezogen werden. Das Bühnenbild mäandert zwischen Nervenheilanstalt und Kioskbude. Ein paar zwischenmenschlich-politische Ansagen sollen dem Unterhemd-Geschwader offenbar eine tiefere Metaebene attestieren, was nur spärlich funktioniert. Bei „Ich ficke euch (alle)“ gibt es Feuersalven und der „Kinderkram“ schließt die spätpubertäre Vorstellung, die auch schon mal mehr Menschen anzog. Indes beendeten zwei grundverschiedene Rap-Acts ihre Vorstellungen auf der Green Stage. UFO361 holte sich für einen Song Mathea auf die Bühne, der erst vor einem Jahr in New Jersey angeschossene Lil Tjay ließ noch ein Mal US-Feeling über das Gelände wabern.
Für ihren - wen wundert es noch - auch schon vierten Frequency-Auftritt wählten Kraftklub eine an Thomas Gottschalk angelehnte Familien-TV-Show-Umrandung und bewiesen, dass nicht nur die hüftsteifen Ärzte auf ein verzichtbares Element des Zusatzentertainments bauen, anstatt ganz auf die Musik zu setzen. Etwas unverständlich, denn die Songs der Karl-Marx-Städter haben genug Durchschlagskraft, um auch ohne addierte Bespaßung zu überzeugen. Die Hosenträger sitzen stramm, während Bengalen gezündet und politische Brandreden geschwungen werden. So werden „Unsere Fans“ zu einem „Teil dieser Band“ und manchmal braucht es auch ein paar „Randale“, wie Frontmann Felix Kummer linkem Aktivismus seinen uneingeschränkten Zuspruch gibt. Beim abschließenden „Songs für Liam“ glühen die Konfettikanonen. Wie heißt es so schön? Ein bisschen Lametta geht immer. Ein bisschen weniger Showkonstrukt aber auch.
Feuerwerk zum Abschluss
Wie schon in den letzten Jahren schließt das Frequency seine Tore auch heuer wieder mit einem DJ. Hollands „Trance-King“, Armin van Buuren, hat sich seit der Geburt seiner Kinder und einer zunehmenden Fixierung auf seine Familie rar gemacht. „Ich habe etwa die Teilnahme am Electric Love Festival abgesagt, weil es mir zu viel wird“, verrät er der „Krone“ im Interview vor seinem Auftritt, „aber das Frequency hat sich sehr gut angehört, das wollte ich unbedingt mitnehmen.“ Mit einer breiten Palette zwischen Trance und Hardstyle und Tracks von „This Is What It Feels Like“ über „Drugs From Amsterdam“ bis zu „Come Around Again“ sorgte er für einen würdigen Abschluss, bevor das obligatorische Feuerwerk einen letzten Schlusspunkt setzte. Doch das nächste Frequency naht auf Riesenschritten. Unter www.frequency.at gibt es schon jetzt Early-Bird-Tickets für die 2024er-Version, die von 15. bis 17. August über die Bühne gehen wird.
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