Album „Weedkiller“

Ashnikko: Hyperpop für eine bessere Gesellschaft

Musik
24.08.2023 09:00

Mit ihrem Debütalbum „Weedkiller“ erschafft die amerikanische Hyperpop-Durchstarterin Ashnikko eine fiktive Welt, die sich mit den Themen Umweltzerstörung, Gleichberechtigung und künstliche Intelligenz auseinandersetzt und dabei Industrial- und Rap-Zitate verwendet. Für die weitere Zukunft schwebt der 27-Jährigen eine Art musikalisches Theater vor. Willkommen zur Dystopie des Jahres.

(Bild: kmm)

Als Ashton Nicole Casey aka Ashnikko vor gut zwei Monaten ihre Österreich-Premiere am brandneuen Lido Sounds in Linz feierte, überzeugte sie mit einer der spannendsten Darbietungen des gesamten Festivals. Mit einer musikalisch zeitgemäßen Mischung aus Hyperpop, Industrial und Rap-Einlagen, wallenden blauen Haaren, Tanzchoreografien und einer enthusiasmierten Fanschar war sie eines der Highlights auf der Zeltbühne. Vier Stunden würden Make-Up und Haare vor jedem Auftritt veranschlagen, verrät sie der „Krone“ im Interview, „ansonsten versuche ich vor Konzerten zu meditieren, zu lesen, mich ein bisschen zu stretchen und mir selbst in einer netten Art und Weise zuzusprechen.“ So fragil und freundlich sie einem auch gegenübersitzt, so unmissverständlich und klar sind die Botschaften in ihren Liedern.

Persönliches und Fiktives vermischt
Ashnikko steht für Empowerment, für Gleichberechtigung, für Feminismus und für Umweltschutz. Optisch lehnt sie sich an die japanische Anime-Kultur und der Weltuntergangsstimmung von „Mad Max“ an, musikalisch kanalisiert sie ihre Wut und Ohnmacht in eruptive Songs wie „You Made Me Sick!“, das von einer intensiven Ehrlichkeit getragen ist. „Grob umrissen geht es um queere Liebe, queeren Sex, Naturverehrung und innere Wut, die man nach außen kanalisiert. Ich leide oft an blinder Wut und kann sie durch die Musik auf eine legale Art und Weise rauslassen“, lacht sie, „mir hat dieses Album eine Möglichkeit bereitet, persönliche Geschichten zu erzählen und sie mit fiktivem Storytelling zu vermischen.“ Ashnikkos Debütalbum hört auf den klingenden Namen „Weedkiller“, ist aber kein Manifest für den genussvollen Verzehr krautdurchsetzter Sportzigaretten.

„Weedkiller“ steht für ein eigens kreiertes Universum, das sich zur Hälfte aus einer dystopischen Fantasiereise und zur anderen Hälfte aus persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zusammensetzt. Diese Fantasiereise erzählt die Geschichte einer Feenzivilisation, die von Maschinen besetzt und zerstört wird, die sich von organischer Materie ernähren, und in der die Feenprotagonistin Rache sucht, indem sie selbst Teil der Maschine wird - eine poetische Antwort auf Umweltkatastrophen und die rasante Entwicklung der Technologie. In diesem postapokalyptischen Treiben propagiert Ashnikko ihre Liebe zur Natur und versucht, das innere Kind wiederzufinden. Mehr oder weniger verarbeitet die 27-Jährige somit verschiedene drängende Fragen und Probleme des Alltags zu einem Mahlstrom an beat- und raplastiger Gesellschaftskritik.

Frauenpower in der Kindheit
„Wenn ich Musik höre, dann will ich Geschichten hören, mit denen ich mich identifizieren kann. Die mit mir sprechen und Trost spenden. Mein Songwriting-Prozess läuft nach demselben Schema ab. In erster Linie muss ich mal all meine Sorgen und Probleme verarbeiten, erst dann kann ich an mein Publikum denken.“ Ashnikko wuchs im eher ruralen und weniger weltoffenen North Carolina auf. In der CD-Sammlung der Eltern befanden sich gleichermaßen Slipknot- wie Country-Scheiben, mit zehn hörte sie erstmals M.I.A.s „Arular“, was Ashnikkos musikalische Sichtweise für immer prägen sollte. Es waren starke Künstlerinnen wie Missy Elliott, Gwen Stefani, Avril Lavigne oder Björk, die sie prägten. „Björk hat einmal das Mischen von Karten als Percussion aufgenommen, sie ist ein verdammtes Genie.“ Erst mit 16 kam sie bewusst mit männlichen Künstlern in Berührung, weshalb die als pansexuell und genderfluid lebende Künstlerin früh ein starkes Empfinden für Feminismus entwickelte.

Mit dem Song „Stupid“ ging Ashnikko 2019 auf TikTok viral. Die Kooperation mit Baby Tate bereitete den Weg für ihre immer noch aufstrebende Karriere und war gespickt mit offensiver „Pussy Power“. 2021 folgte das Mixtape „Demidevil“ mit Songs wie „Daisy“, wo sie aus der Sicht einer Domina eine Bürgerwehr gründet, um Vergewaltiger zu demütigen und das Patriarchat zu zerstören. Ashnikko verwendet den in der Comic- und Gamer-Szene beliebten Gegensatz aus tabulosen und offensiven Texten und eines vermeintlich unschuldigen Äußeren, um als Sprachrohr ihrer Generation gegen Verwerfungen und Frechheiten dieser Welt vorzugehen. „Weedkiller“ ist in seiner subversiven Ausführung nun einfach die Erweiterung vom persönlichen auf den globalen Themenkosmos, ohne aber auf die selbst erlebten Schmerzen und inneren Dämonen in den Texten zu verzichten.

Vom Mikro- in den Makrokosmos
„Ich zeige mich in meinen Songs extrem verletzlich und das kostet mich einiges an Überwindung“, gibt sie unumwunden zu, „gleichzeitig versuche ich die Dinge aber nicht so ernst zu nehmen. Wir Menschen sind nicht mehr als ein Wimpernschlag der Evolution. In meiner Community gibt jeder jedem anderen genug Platz, um Fehler zu machen, daran zu wachsen und sich gut zu fühlen. Meine Texte mögen manchmal etwas hart und fordernd sein, aber meine Alben und Konzerte sind ein Safe Space für all meine Hörerinnen, um sich gut und frei zu fühlen und aus der harschen Realität ausbrechen zu können.“ Besonders auffallend: Ging es in Ashnikkos älteren Songs meist unmittelbar um das Persönliche und den Menschen, wurde diese Haltung nun von etwas Größerem abgelöst.

„Es macht mich immens traurig, dass wir all die wilden und unberührten Plätze auf diesem Planeten verlieren, weil wir sie aktiv zerstören. Für uns Menschen ist die Welt längst eine große Maschine, die wir nach unseren Wünschen und Sehnsüchten nützen, dabei ging aber der Gemeinschaftsgedanke verloren. Wir nehmen uns selbst viel zu wichtig und zerstören alles, was um uns herum existiert. Ich habe für ,Weedkiller‘die Verbindung zu meiner animalischen Seite und der Natur gesucht und versuche jeden Tag einen Baum zu umarmen. Ich verehre die Sonne, den Mond, die Sterne und die Erde. Die Natur steht bei mir über allem und ich tue alles, um mich für sie einzusetzen.“ „World Eater“ beschäftigt sich mit dem Weltenfresser Mensch, in „Cheerleader“ setzt Ashnikko ein Ausrufezeichen gegen den Schönheitswahn im Entertainmentbusiness und „Possession Of A Weapon“ ist ein direktes Statement zur Roe-V.-Wade-Entscheidung gegen Abtreibung in den USA.

Performatives Kunstprojekt
Mit „Weedkiller“ und ihrem weiterhin steigenden Erfolg kommt Ashnikko auch ihrem großen Traum eines echten Rocktheaters näher. „Mir schwebt eine Art Musiktheater vor. Ein performatives Kunstprojekt, das sich auditiv und visuell mit den Inhalten von ,Weedkiller‘ auseinandersetzt. Das kann ruhig ein bisschen in die Richtung von Björk gehen, denn sie ist in diesem Bereich die absolute Königin.“ In erster Linie ist „Weedkiller“ vor allem aber ein spätsommerliches Pop-Highlight, das man sich in seiner kompromisslosen Ehrlichkeit und bewussten Sperrigkeit erarbeiten muss, dessen Wirkung sich dadurch aber umso kräftiger entfacht. „Mit dem Album erschaffe ich eine Welt, die für alle offen ist und in der jeder willkommen ist“, so die Künstlerin, „ich habe keine großen Karriereziele, sondern will weiterhin Kunst erschaffen, die etwas bedeutet.“

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