Warum haben Kinder Angst vor der Schule, warum sorgen sich Eltern dermaßen um Noten? Warum ist unser Bildungssystem nicht kinderfreundlich? André Stern, „Botschafter der Kindheit“, versuchte am Samstagabend in der Kulturbühne AmBach in Götzis Antworten zu geben.
„Es geht um Haltung. Welche Haltung nehme ich gegenüber meinem Kind ein?“ Mit diesem Satz umschreibt André Stern, seines Zeichens Journalist, Buchautor, Gitarrenbauer und selbsternannter „Botschafter der Kindheit“, den Kern seiner Thesen. Es gehe dabei auch um Respekt auf Augenhöhe, um Vertrauen und „bedingungslose Liebe“. Vertrauen darin, dass unsere Kinder selbst wissen, wie und wann sie Entwicklungsschritte setzen. Und bedingungslose Liebe als Werkzeug zur Orientierung. Vom Setzen klar definierter Grenzen hält Stern indes wenig. „Ich setze meinem Partner ja auch keine Grenzen. Das wäre respektlos.“ Das soll aber keineswegs bedeuten, die Kinder einfach machen zu lassen - etwa wenn sie im Restaurant schreien, mit Essen um sich werfen oder grundlos auf stur stellen - denn natürlich brauchen Kinder Anleitung und den elterlichen Weitblick.
Stern betont, dass auch er über kein Allheilmittel für die Kindererziehung (Stern: „Was für ein abstoßendes Wort!“) verfüge. Vielmehr gehe es ihm darum, eine andere Sichtweise auf Althergebrachtes zu vermitteln. „Es ist bereits ein Erfolg, wenn man reflektiert und sich Gedanken darüber macht, wie wir mit unseren Kindern umgehen.“
Bereits die Eltern waren „systemkritisch“
André Stern sieht sich als Sprachrohr der Kinder und deren Interessen. Er wurde 1971 in Paris geboren und ist das Kind des „Malort“-Begründers Arno Stern und der Pädagogin Michelle Stern. „Meine Eltern sind bei ihrer Arbeit mit Kindern zu der Überzeugung gelangt, dass Kinder alles mit auf die Welt bringen und dass sie perfekt und bestens ausgerüstet sind. Somit war es für sie undenkbar, die natürliche, spontane Veranlagung ihrer Kinder irgendeinem System unterzuordnen.“ In seinen Vorträgen geht es vor allem um Lernen aus Begeisterung. „Kinder sind Riesen der Potenziale“, betont Stern. Jedoch würden diese Potenziale unterdrückt. Etwa in der Schule. „Das ist ein System, das sich Erwachsene ausgedacht haben und das sich in keinster Weise an den Bedürfnissen der Kinder orientiert. Vor allem fehlt es an Entfaltungsmöglichkeiten.“ So werde etwa mathematisches Denken erst in einem Alter von zehn bis 12 Jahren entwickelt, dennoch müssten Kinder das Rechnen bereits viel früher lernen. „Kinder lernen am liebsten spielerisch und wenn sie aus eigenem Antrieb etwas erfahren wollen.“
Es ist bereits ein Erfolg, wenn man reflektiert und sich Gedanken darüber macht, wie wir mit unseren Kindern umgehen.
André Stern
Am schlimmsten sei, wenn man die kleinen Individuen in ein System hineinpresse, weshalb Stern auch keine alternativen Bildungsmethoden empfehlen will. Denn diese würden ebenfalls ein Raster vorgeben und sich lediglich auf andere Methoden stützen. „Es treffen sich irgendwelche Experten, die über Maßnahmen diskutieren, die Menschen betreffen, die nie selbst zu Wort kommen dürfen. Das ist unglaublich. Wir Erwachsene wissen nicht, was Kinder brauchen - das wissen nur diese selbst.“
Die Schule an sich will Stern aber nicht verteufeln. Er verteidigt sie sogar. „Jedoch ist das, was dort gemacht wird, zu überdenken.“ Angesprochen auf die aktuellen Diskussionen rund um das Schulsystem in Österreich sieht Stern gute Ansätze zur Verbesserung der Situation. Als besonders wichtig erachtet er eine flächendeckende Abschaffung des Notensystems. Das würde Druck von den Kindern nehmen und zudem das Konkurrenzdenken mindern.
Kinder sind Riesen der Potenziale
André Stern
„Meine Erfahrung ist, dass sowohl Kinder wie Lehrer glücklich darüber wären. Die Lehrer müssten nicht mehr diese unangenehme Rolle einnehmen, Kinder zu bewerten. Die Kinder wiederum werden nicht mehr bestraft, weil sie etwas nicht verstanden haben.“ Noten würden zudem missbraucht, um Kinder vergleichbar zu machen. „Das schürt Neid und teils sogar Hass aufeinander.“ Dass die Eltern die Abschaffung des Notensystems befürworten würden, bezweifelt Stern: „Wahrscheinlich werden sie vor den Schulen demonstrieren und sagen: Hey, wir wollen wissen, wo unsere Kinder stehen. Und wenn wir keine Noten haben, dann wissen wir nicht, ob wir drücken oder ziehen müssen.“
Befürworter der Gemeinsamen Schule
Stern ist übrigens ein Befürworter der Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen: „An einem Ort, an dem es keine Noten gibt und wo Kinder altersgemischt zusammenkommen, würden wir viele Probleme los. Denn dieser Ort ähnelt dem normalen Leben. Und genau an diesem normalen Leben wollen Kinder teilhaben.“ Prüfungen oder Examen sollten an diesem Ort ebenfalls keinen Platz haben - „dann würden die Kinder auch freiwillig und mit Freude in die Schule gehen.“
Ob Kinder letztlich zu glücklichen Erwachsenen werden, würde nicht zuletzt davon abhängen, wie wir ihnen begegnen, also von unserer Haltung ihnen gegenüber: „Unsere Kinder werden so, wie wir sie sehen! Sehen wir sie als kleine Dinge und notdürftige Nullpunkte der menschlichen Entwicklung, dann werden sie zu solchen. Wenn wir sie aber als Riesen der Potenziale sehen, dann steht ihnen die Welt offen. Kinder kommen auf die Welt und können alles lernen und werden, was sie wollen. Es gibt nichts, was ein Kind nicht werden könnte!“
Der zweite Schlüssel sei die bedingungslose Liebe. “Wir hören immer wieder, ich habe dich lieb, aber ich hätte dich noch lieber, wenn du dein Zimmer aufräumen würdest oder was auch immer. Das hört ein Leben lang nicht auf.„ Was Kinder jedoch viel lieber hören würden, sei: “Ich habe dich lieb so wie du bist." Wenn sich ein Kind richtig gesehen von bedingungsloser Liebe getragen fühlt, dann wird es seine Potenziale voll entfalten und seine eigene Geschichte schreiben.Philipp Vondrak
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