Wahlen in Russland

Westlicher Beobachter: „War absurdestes Erlebnis!“

Ausland
11.09.2023 21:50

Angesichts massiver Repressionen gegen Oppositionelle in Russland bezeichnen unabhängige Experten die Abstimmungen vom vergangenen Wochenende als die unfreiesten Wahlen seit Beginn der Herrschaft von Präsident Wladimir Putin vor rund 24 Jahren. krone.at hat mit einem ehemaligen unabhängigen Wahlbeobachter in Russland gesprochen, der aufgrund von Sicherheitsbedenken anonym bleiben möchte. Ihm zufolge versucht der Kreml, der Welt mit sogenannten „Wahlen“ Normalität vorzugaukeln und damit die in Wirklichkeit herrschende Diktatur zu verschleiern.

Die Bewegung zum Schutz der Wählerrechte Golos (deutsch: Stimme) berichtete am Samstag auf Telegram von Druck, der auf Wähler ausgeübt werde, und davon, dass Golos-Beobachter teils keinen Zugang zu Wählerverzeichnissen erhielten. Unabhängige Wahlbeobachter gibt es in Russland mittlerweile keine mehr. krone.at hat mit einem Experten gesprochen, der die letzte große Wahl in Russland - die Präsidentschaftswahl 2018 - hautnah mitverfolgen konnte. Heute ist so etwas unvorstellbar. Aber auch damals, wird uns erzählt, sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Putin-Apparatschik zeigte „vorbildliche Wahlen“
Es war ein typischer kalter russischer Wintertag mit Schnee und Eis, so weit das Auge reicht. Unser Gesprächspartner war als unabhängiger Wahlbeobachter zur Präsidentschaftswahl 2018 nach Moskau gereist. Sie fand am 18. März 2018 statt - am vierten Jahrestag der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland. In Begleitung eines sogenannten „Putin-Apparatschiks“, eines dem russischen Präsidenten Wladimir Putin besonders hörigen und loyalen Staatsdieners, ging es von Wahllokal zu Wahllokal. Für den Experten war es ein Versuch, jemandem aus dem Westen zu zeigen, wie vorbildlich und demokratisch Russland sei.

Der Blick auf den Kreml in Moskau (Bild: APA/AFP/Alexander NEMENOV)
Der Blick auf den Kreml in Moskau

Manipulation war offensichtlich
Dabei sei damals schon alles offensichtlich manipuliert gewesen, gesteht er gegenüber krone.at. Der Apparatschik habe versucht, abzulenken. Für ihn sei der russische Präsident Putin wie ein Gott gewesen, schildert der Insider. Etwa habe er ihm im Wahllokal mit Begeisterung erzählt, dass er sogar das Rauchen und Trinken aufgegeben habe, weil Putin das nicht gut fände.

Lobeshymnen auf Putin
Mit dieser Indoktrinierung ging es durch den Tag. Immer wieder sei ihm versichert worden, dass Putin der „beste Kandidat auf der ganzen Welt“ sei, so der Experte. Das Volk gehe „unglaublich gerne“ wählen, schwadronierte der Apparatschik. Es sei früher schon „so eine Farce“ und mit Abstand sein „absurdestes Erlebnis“ gewesen, so der Insider. Denn während der Lobeshymnen des Beamten sei es nicht möglich gewesen, nach links oder rechts zu schauen. Kritische Stimmen seien keine zugelassen gewesen.

Expertin war „undercover“ mit dabei
Eine weitere westliche Expertin, die anonym bleiben möchte, schilderte gegenüber krone.at, dass sie zweimal „undercover“ bei russischen Wahlen dabei gewesen sei. Sie habe sich als Russin ausgegeben und sei aufgrund ihrer Sprachkenntnisse nicht aufgefallen. Auf den ersten Blick habe alles „wie bei uns gewirkt“, berichtet sie. Es habe eine Wahlkabine gegeben, eine Kommission und eine Urne. Unschlagbar sei der Schmäh gewesen. Beim Einwerfen des Stimmzettels meinten ihr zufolge ein paar anwesende Russen mit Augenzwinkern: „Es ist eh egal, die werden eh nie ausgezählt.“

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