Korruptionsskandal

Verkaufte Polens Regierung Hunderttausende Visa?

Ausland
18.09.2023 10:35

Knapp einen Monat vor den Parlamentswahlen ist die polnische Regierung von einem massiven Korruptionsskandal erschüttert worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Personen - darunter auch Außenminister Zbigniew Rau und sein Stellvertreter Piotr Wawryzk - wegen des Verdachts, sie hätten gegen Bezahlung die Vergabe von Arbeitsvisa beschleunigt. Die Rede ist von 350.000 Arbeitsmigranten, die in den vergangenen drei Jahren illegal in die EU geholt worden sein sollen.

Ende August war der für konsularische Angelegenheiten zuständige Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk entlassen worden. Zur gleichen Zeit wurde seine Abteilung von der Antikorruptionsbehörde CBA durchsucht. Nach Berichten des Portals „Onet“ und der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ soll Wawrzyk der Drahtzieher hinter einem System gewesen sein, bei dem Zwischenfirmen für hohe Geldsummen polnische Visa anboten. Häufig seien die Migranten aus Asien und Afrika auf der Basis ihres polnischen Visums im Schengenraum weitergereist - etwa nach Deutschland.

Gegen Außenminister Zbigniew Rau wird offenbar ebenfalls ermittelt. (Bild: APA/AFP/NTB/Hanna Johre)
Gegen Außenminister Zbigniew Rau wird offenbar ebenfalls ermittelt.

Versuchte sich Vizeminister, das Leben zu nehmen?
Besonders begehrt waren demnach Mehrfachvisa. Denn wer ein Mehrfachvisum für den Schengenraum hat, darf auch nach Mexiko einreisen - und kann so in die USA gelangen. Den Angaben nach sollen Menschen in Indien an Zwischenfirmen bis zu 40.000 US-Dollar (rund 37.300 Euro) gezahlt haben, um in den Besitz eines polnischen Mehrfachvisums zu kommen.

Laut Justizminister Zbigniew Ziobro liegt der stellvertretende Außenminister nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus. Sein ehemaliger Arbeitgeber weist aber jegliche vertragliche Vereinbarungen mit den verdächtigen Zwischenfirmen bzw. Agenturen zurück.

Vor der Parlamentswahl am 15. Oktober setzt das Thema Visa-Vergabe die Regierungspartei PiS unter Druck. Denn Warschau widersetzt sich dem EU-Asylkompromiss, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Die Regierung will parallel zur Parlamentswahl in einem Referendum darüber abstimmen lassen.

Polen weigert sich auch seit Jahren, Migranten, die über sein Territorium in die EU gekommen sind, zurückzunehmen. Das zum Teil gewaltsame Abweisen von Migranten an der weißrussisch-polnischen Grenze, wo auch ein massiver Zaun steht, gehört auch zum Repertoire der polnischen Asylpolitik.

Polnische Polizisten und Soldaten an der Grenze zu Weißrussland (Bild: AP)
Polnische Polizisten und Soldaten an der Grenze zu Weißrussland

„Visa-Affäre könnte PiS-Regierung stürzen“
Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), der bei der kommenden Parlamentswahl triumphieren und wieder ins Regierungsamt zurückkehren möchte, griff die Berichte über den Skandal dankend auf und warf der regierenden PiS angesichts ihrer harten Haltung gegen die EU-Asylpolitik Heuchelei vor.

Die Regierung ging aber sofort in den Gegenangriffsmodus über und beschuldigte Tusk, während seiner Amtszeit von 2007 bis 2014 selbst dafür gesorgt zu haben, dass zahlreiche konsularische Abteilungen Polens im Ausland geschlossen und von privaten Auftragnehmern ersetzt worden seien. Die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ schrieb nach Bekanntwerden des Skandals in der Vorwoche: „Die Visa-Affäre könne die PiS-Regierung stürzen.“

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