Bergkarabach-Konflikt

Schallenberg warnt vor großflächiger Eskalation

Ausland
20.09.2023 07:49

Nach Beginn des groß angelegten aserbaidschanischen Militäreinsatzes in der umstrittenen Kaukasusregion Bergkarabach sind nach armenischen Angaben mehr als 7000 Zivilisten evakuiert worden. Am ersten Tag des Militäreinsatzes starben schon mehr als zwei Dutzend Menschen. Der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach, Gegam Stepanjan, sprach von mindestens 27 Toten. Darunter seien mindestens sieben Zivilisten - darunter zwei Kinder.

Darüber hinaus seien in der Konfliktregion mehr als 200 Menschen verletzt worden, erklärte Stepanjan am Dienstagabend auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter). Die evakuierten Menschen seien aus 16 Gemeinden in den Regionen Askeran, Martakert, Martuni und Schuschi in Sicherheit gebracht worden. Ein großes Problem bei den Evakuierungsmaßnahmen ist den Angaben von vor Ort zufolge der massive Treibstoffmangel, den eine monatelange aserbaidschanische Blockade der Region verursacht hat.

Russland fordert Stopp der Feindseligkeiten 
Die armenische Schutzmacht Russland forderte die Konfliktparteien am frühen Mittwochmorgen auf, zivile Opfer zu vermeiden und die Feindseligkeiten unverzüglich zu stoppen. „Wegen der schnellen Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Bergkarabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergießen sofort zu beenden, die Kampfhandlungen einzustellen und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden“, hieß es in einer am frühen Mittwochmorgen veröffentlichten Mitteilung des russischen Außenministeriums, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtete.

In diesem vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Video steigt Rauch über einem Gebiet auf, in dem sich laut Aserbaidschan Stellungen der armenischen Streitkräfte befinden. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
In diesem vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Video steigt Rauch über einem Gebiet auf, in dem sich laut Aserbaidschan Stellungen der armenischen Streitkräfte befinden.

Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen 
In New York wurde unterdessen für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, wie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) anlässlich der UNO-Generaldebatte in New York sagte. Zuvor hatte Aserbaidschans Nachbarland Armenien den UNO-Sicherheitsrat um Hilfe gebeten. Das angegriffene Bergkarabach wird nämlich vorwiegend von ethnischen Armeniern bewohnt. Am Rande der UN-Vollversammlung traf sich zudem Italiens Außenminister Luigi Di Maio separat mit seinen Kollegen aus Aserbaidschan und Armenien und bot einer Mitteilung zufolge eine italienische Vermittlung an. Auch der Iran bot sich als Vermittler an.

Als Bedingung für das Ende des jetzigen Militäreinsatzes nannte Aserbaidschan die Niederlegung der Waffen und die Abdankung der armenischen Führung in der Region Bergkarabach. International wurde Aserbaidschan für sein gewaltsames Vorgehen kritisiert.

Schallenberg ortet große Gefahr 
Schallenberg schätzte die jüngsten Entwicklungen in der Region als sehr explosiv und brandgefährlich ein. „Wir sehen jetzt seit 24 Stunden eine massive Zusammenziehung aserischer Truppen.“ Zudem gebe es etwa Angriffe mit Drohnen. Dies sei sehr beunruhigend und habe das Potenzial, einen „massivem Brand auszulösen im Südkaukasus“, sagte Schallenberg.

Während des Beschusses in Stepanakert in Bergkarabach schlafen Kinder in einem Unterschlupf. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Während des Beschusses in Stepanakert in Bergkarabach schlafen Kinder in einem Unterschlupf.

Es drohe eine großflächige Eskalation, erklärte Schallenberg in New York weiter. „Wir fordern Aserbaidschan ganz dringend auf, zu deeskalieren, den Militäreinsatz zu beenden und die Truppen zurückzuziehen.“ Er werde sich bemühen, bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York noch entsprechende Gespräche zu führen. „Es ist vielleicht etwas zynisch, wenn das genau zu dem Zeitpunkt stattfindet, während die Weltgemeinschaft in New York zusammenkommt und genau daran arbeitet, dass solche Situationen nicht entstehen“, fuhr Schallenberg fort. „Aber das zeigt vielleicht auch irgendwo die Grundproblematik, die wir momentan haben, beim Multilateralismus und bei der internationalen Zusammenarbeit.“

Große Sorge im UN-Headquarter 
Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte, im UN-Headquarter habe sich „große Sorge für die dortige armenische Bevölkerung“, die aber auf aserbaidschanischem Staatsgebiet lebe, breit gemacht. Es sei momentan nur zu hoffen, dass zumindest ein „Fluchtkanal“ nach Armenien offen bleibe.

„Anti-Terror-Einsatz“ durch Aserbaidschan
Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte Dienstagfrüh einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung der auf seinem Staatsgebiet gelegenen Region begonnen. Die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan streiten seit Jahrzehnten um die Kaukasus-Region. Das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, von dem es sich 1991 lossagte. Dort herrscht eine autonome Regierung mit engen Beziehungen zu Armenien. Der Konflikt führte immer wieder zu kurzen Kriegen zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken. Nach einem von Moskau vermittelten Waffenstillstand nach einem sechswöchigen Krieg mit vielen Toten im Jahr 2020 wurden russische Truppen in der Region stationiert.

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