In ihrer Geburtsstadt Berlin sagen sie wohl Wuchtbrumme zu diesem gewaltigen Stück Motorrad: Die BMW R18 Roctane bietet gerade in diesem Mattschwarz einen derart lässigen Auftritt, dass sie sogar Nicht-Cruiser-Fans ein anerkennendes Augenbrauenhochziehen entlockt. Und das sogar noch bevor man den mächtigen 1,8-Liter-Boxer anwirft.
Der bollert dann unruhig grollend vor sich hin, wenn man den Fahrmodus „Rock“ angewählt hat, und verheißt gelassene Power aus dem Keller. In der Ruhe liegt die Kraft. Das Triebwerk hat die Roctane mit den vier anderen Modellen der Reihe gemeinsam, die Optik ist dann aber doch recht eigenständig.
In der Choppersprache ist sie ein Low Rider, der aussieht, als hätte er einen starren Rahmen, außerdem ein Bagger, denn die schmalen 27-Liter-Koffer sind fest montiert und Teil dieses ebenso monumentalen wie fließenden Designs. Der Tank ist mit nur 16 Liter kleiner als bei anderen R18-Modellen, dadurch wirkt der Motor noch größer, als er ohnehin ist.
Die Teleskopgabel mit Gabelhülsen führt ein 21-Zoll-Vorderrad, der Lenker ragt hoch auf und lässt den Fahrer den Wind umarmen. Wunderschön ist der Analogtacho, der in dem Einzelscheinwerfer sitzt, wie einst beim Vorbild, der BMW R5 aus den 1930er-Jahren. Die hatte allerdings noch kein Digitaldisplay integriert, in dem man sich die aktuelle Drehzahl anzeigen lassen kann. Oder Verbrauch, Kilometer, Reifendruck und noch einiges andere. Oder auch das Erreichen der Tankreserve, denn eine Tankuhr gibt es nicht. Was man beim Durchklicken angezeigt bekommt, kann man im Setup einstellen - das hilft der Übersichtlichkeit.
Das wirkt alles sehr puristisch, dabei ist die R18 Roctane gar nicht schlecht ausgestattet - vor allem wenn man, wie beim Testbike - ein paar Extras mitbestellt. Der supereasy bedienbare Tempomat und Keyless Ride sind serienmäßig; Reifendruckkontrolle, Heizgriffe, Berganfahrhilfe und adaptives Kurvenlicht kosten Extra. Und für einen abschließbaren Tankdeckel verlangen sie 59 Euro. Na ja.
Gewöhnungsbedürftige Ergonomie
Der breite, auf 72 Zentimeter Höhe gelegene Dragster-Sattel lädt richtig zum Platznehmen ein, und man sitzt auch gut darauf, sogar auf langen Strecken. Die Sitzergonomie ist zwar angesichts des Fettboxers der Weisheit letzter Schluss, aber trotzdem nicht jedermanns Sache. Für groß gewachsene Fahrer ist der Kniewinkel zu eng, was das Schalten anstrengend macht. Gut, dass man dank Schaltwippe mit der Ferse raufschalten kann, denn man bringt die Fußspitze schlecht unter den vorderen Hebel. Dieser ist ebenso wie der Bremshebel zu tief angebracht - aber das geht wohl wegen der Zylinder nicht anders. Deren Ansaugrohre beleidigen etwas die Unterschenkel.
Rangieren ist bei 374 kg Leergewicht eine Herausforderung, vor allem wenn auch noch der Soziusplatz besetzt ist. Um 1145 Euro die Rückfahrhilfe zu ordern, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Intelligenz. Hebel links seitlich betätigen - schon rollt man per Druck auf den Anlasserknopf elektrisch rückwärts. So gesehen hat die BMW R18 Roctane sogar Elektroantrieb, gewissermaßen.
Verwöhntes Raunzen
Dank Keyless Ride bleibt der Schlüssel in der Tasche. Es sei denn, man will die Lenkersperre aktivieren. Oder die Koffer auf- oder absperren. Vielleicht bin ich von anderen Modellen verwöhnt, aber wenn ich auf einer BMW Keyless Ride habe, will ich eine Zentralverriegelung, welche zumindest die Koffer integriert (wenn schon der massive, aber unversperrte Tankdeckel für jeden Witzbold Tag und Nacht abschraubbar ist). Mit der extrigen Lenkersperre werden sich Harley-Fahrer zu Hause fühlen, die natürlich zur Zielgruppe der R18 Roctane gehören.
Noch immer bollert der Motor, jeder Gasstoß im Stand ist eine Gleichgewichtsübung. Losfahren verlangt Gefühl in der Kupplungshand, denn der erste Gang ist megalang übersetzt. Bei langsamer Fahrt oder zum Abbiegen wird man immer wieder auf ihn zurückkommen, man will nicht riskieren, dass es in Schräglage drehzahlmäßig eng wird. Wenn dieses Trumm kippt, kommt man mit der tiefen Sitzposition in Bedrängnis.
Mit ihrem langen Radstand (1,72 Meter) und der flachen Gabel wehrt sich die Roctane etwas gegen das Abbiegen. Im Stadtverkehr ist sie schwerfällig. Und natürlich schwer.
In der Ruhe liegt die Kraft
Cruisen ist ihr Metier. Da surft man dann auf einer Drehmomentwelle, die zwischen 2000 und 4000 Touren immer über 150 Nm bereithält. Maximal sind es 158 Nm bei 3000/min. Als Maximalleistung werden 91 PS bei 4750/min. angegeben. Es ist ein Traum, wie der Boxer von unten heraus anschiebt. Jedes Beschleunigen zum Überholen auf der Landstraße fühlt sich an, wie wenn einen eine mächtige Welle vorwärts spült. Dazu der immer wieder sprotzelnde Sound, herrlich!
Im Modus Roll läuft der Motor zwar ruhiger und unauffälliger, wirkt wegen der flacheren Gaskennlinie aber zugeknöpfter. Einen Rain-Modus gibt es auch.
Straff muss sein
Während der Fahrt ist von der Starrrahmenoptik nichts zu spüren, schlechte Straßen werden vom straffen Fahrwerk erstaunlich gut weggebügelt (Federweg vorne 120, hinten 90 mm). Die Schräglagenfreiheit ist größer als bei den anderen R18, weil die Räder zwei Zoll größer sind, aber dennoch geringer, als man sich das angesichts des guten Einlenkverhaltens wünschen würde. Bergaufkehren verlangen nach einem geübten Fahrer (trotzdem ist eine 35-kW-Version für A2-Neulinge erhältlich).
Auf der Autobahn wird man sich gerne grob ans österreichische Tempolimit halten, alles andere ist wegen der aufrechten Sitzposition und des fehlenden Windschutzes auf Dauer sehr anstrengend. Wer das Maximaltempo von 180 km/h ausnutzen will, sollte ein Mindestmaß an Muskulatur in Armen, Schultern und Oberkörper mitbringen. Der Tacho zeigt dabei knapp 190 km/h an, genauer ist das nicht zu sagen, weil er bei dem Tempo stark zittert. Der Tempomat arbeitet übrigens bis 160.
Eine Drehzahl von 3000 Touren ist der beste Kompromiss zwischen Tempo und Entspannung, das sind laut Tacho gut 130 km/h, also wahrscheinlich exakt echte 130.
Der Normverbrauch von 5,6 l/100 km ist absolut realistisch und entspricht dem Testverbrauch.
Die Traktionskontrolle ASC (Automatic Stability Control) ist Serie, außerdem die Motorschleppmomentregelung, die praktisch die Funktion der Anti-Hopping-Kupplung erweitert. Das teilintegrale ABS (Handhebel bremst beides, Fußhebel nur hinten) hat keine Kurvenfunktion.
Preisfrage
Ab 31.900 Euro steht die BMW R18 Roctane in der Preisliste. Das Testbike kommt mit Extras auf 35.500 Euro. Da ist auch das Mattschwarz um 400 Euro dabei (Metallic-Schwarz ist Serie).
Fahrzit
Customized ab Werk, und es gibt noch viele Möglichkeiten der hauseigenen Individualisierung. Das ist für den Wiederverkaufswert allemal besser, als externe Teile zu verbasteln. Ein beeindruckendes Bike, die BMW R18 Roctane. Fette Optik, coole Koffer, feine Details und ein Hammer von einem Motor. Großartig. Wenn nur die Ergonomie nicht wäre.
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