Im Guinnessbuch der Rekorde 2024 werden alpinistische Höchstleistungen nach neuen Richtlinien bewertet. Das erschüttert die Welt der Bergsteiger.
Jahrelang hat ein Team um den deutschen Berg-Chronisten Eberhard Jurgalski die Besteigungen der höchsten Berge recherchiert und festgestellt, dass viele Bergsteiger bereits vor dem Erreichen des echten Gipfels umgedreht hatten, weil sie der Meinung waren, bereits am Ziel zu sein. Besonders oft sollen die Gipfel von Annapurna (8091 Meter), Dhaulagiri (8167 Meter) und Manaslu (8163 Meter) von Bergsteigern nicht korrekt identifiziert worden sein.
65 Meter vor dem Ziel zu früh umgedreht
Jurgalskis Feststellungen sorgen seit Jahren für heftige Kontroversen in der Szene der Achttausender-Bergsteiger. Der Deutsche kann nämlich auch belegen, dass Reinhold Messner und Hans Kammerlander 1985 auf der Annapurna an einer Stelle des Gipfelgrates umgedreht haben, die 65 Meter vom höchsten Punkt entfernt liegt. Deshalb hat Messner in Jurgalskis 8000er-Liste nicht alle 14, sondern lediglich 13 Achttausender bestiegen, obwohl die beiden Südtiroler damals eine neue Route durch die Nordwestwand eröffnet hatten.
Und jetzt stürzt auch das Guinnessbuch der Rekorde mit seiner Neuklassifizierung die Bergsteiger-Legende vom Thron. Denn für eine Rekordbesteigung muss laut Guinnessbuch der „wahre Gipfel“, also der höchste Punkt, zu Fuß erreicht werden - und das beweisbar. Nach den neuen Richtlinien ist somit nicht mehr Reinhold Messner als erster Mensch auf allen Achttausendern gewesen, sondern der US-Amerikaner Edmund Viesturs.
1. Mount Everest - Nepal/Tibet - 8848 Meter
2. K2 - Pakistan/China - 8611 Meter
3. Kangchendzönga - Nepal/Indien - 8586 Meter
4. Lhotse - Nepal/China - 8516 Meter
5. Makalu - Nepal/Tibet - 8485 Meter
6. Cho Oyu - China/Nepal - 8201 Meter
7. Dhaulagiri - Nepal - 8167 Meter
8. Manaslu - Nepal - 8163 Meter
9. Nanga Parbat - Pakistan/Kaschmir - 8125 Meter
10. Annapurna - Nepal - 8091 Meter
11. Hidden Peak - Pakistan - 8080 Meter
12. Broad Peak - Pakistan/China - 8051 Meter
13. Gasherbrum II - Pakistan/China - 8034 Meter
14. Shishapangma - China - 8027 Meter
Auch österreichische Alpinistin betroffen
Auch die Oberösterreicherin Gerlinde Kaltenbrunner ist laut dem neuen Guinnessbuch 2024 nicht mehr die erste Frau, die ohne zusätzlichen Sauerstoff auf allen Achttausendern stand. Als erste Frau auf allen Achttausendern wird auch nicht mehr die Spanierin Edurne Pasaban geführt, sondern die Chinesin Dong Hong-Juan, der das unter Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff in der Zeit von 19. Mai 2013 bis 26. April 2023 gelang.
Craig Glenday schreibt in einer Stellungnahme auf der Onlineseite des Guinnessbuchs, dass die Rekorde, die von der Neuklassifizierung der echten Gipfel betroffen sind, zwangsläufig zurückgesetzt werden mussten. Dies sollte keinesfalls die unglaubliche Pionierleistung schmälern, die einige der bedeutendsten Bergsteiger in den vergangenen 50 Jahren erbracht haben.
„Allerdings verlangen wir von Marathonläufern, dass sie für einen Rekord die gesamte Strecke von 42,195 Kilometern zurücklegen, und von Weltumseglern, dass sie mindestens den Erdumfang von 40.075 Kilometern schaffen. Um sich für eine Bergbesteigung für einen Weltrekord-Titel zu qualifizieren, müssen wir gemäß den aktualisierten Richtlinien auf einen Aufstieg vom Basislager zum wahren Gipfel bestehen.“ Alle bisherigen Rekorde in der Bergsteiger-Szene, die nicht den neuen Richtlinien entsprechen, archiviert das Guinnessbuch seit Februar 2023 damit als Altrekord.
„Für Messner eine persönliche Tragödie!“
„Für Reinhold Messner ist dies sicherlich eine persönliche Tragödie, wenn ihm jetzt der Rekord offiziell genommen wird“, meint Hans Wenzl, der erfolgreichste österreichische Höhenbergsteiger: „Dennoch bleibt seine Leistung für mich ungebrochen, denn ich weiß es selbst, was es bedeutet, bei Sturm, Eis und schlechter Sicht auf den höchsten Bergen der Welt unterwegs zu sein.“
Unverständnis äußert auch Bergsteiger-Ikone Hans Kammerlander: „Dieser Jurgalski hat einfach alles durcheinandergebracht. Messner und ich waren uns damals auf der Annapurna sicher, dass wir den höchsten Punkt erreicht hatten. Jurgalski tut der Alpingeschichte nichts Gutes, und mir tun Gerlinde und Reinhold leid, weil es absolut sinnlos ist, ihre Besteigungen infrage zu stellen.“
Für Kammerlander ist der Alpinismus kaum messbar: „Wenn jemand eine Bergwand auswendig lernt, sich jeden Tritt und Griff einprägt , ist er sicher schneller als jemand, der zum ersten Mal die Wand durchklettert. Dessen Leistung ist aber höher zu bewerten.“
Anders sieht es der 8000er-Chronist Eberhard Jurgalski, dessen jahrzehntelange Arbeit jetzt vom Guinnessbuch der Rekorde gewürdigt wird: „Für mich ist es ein ungeschriebenes Gesetz: Nur der echte Gipfel zählt!“ Seit der Veröffentlichung seiner Daten, Zahlen und Fakten ist der Chronist nicht nur mit Anfeindungen, sondern sogar mit Todesdrohungen aus der Bergsteigerszene konfrontiert.
Reinhold Messner ist der Wirbel um die Rekorde inzwischen völlig egal: „Er interessiert sich grundsätzlich nicht für Eintragung oder Nichteintragung ins Guinnessbuch der Rekorde“, lässt die inzwischen 79-jährige Bergsteiger-Legende mitteilen. Messner und die weltweite Bergsteiger-Community wissen, welch eindrucksvolle alpinistische Leistungen er, aber auch Größen wie Jerzy Kukuczka und Erhard Loretan, die auf schwierigen Routen auf den Achttausendern unterwegs waren, vollbracht haben.
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